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WINTER'S VERGE: Beyond Vengeance
von rls

WINTER'S VERGE: Beyond Vengeance   (Massacre Records)

Tonzeugnisse von Metalbands aus Zypern sind über Jahrzehnte hinweg selbst in den Plattenschränken von Exotensammlern eher spärlich vertreten gewesen, und wenn denn mal ein solches dort auftauchte, war die Wahrscheinlichkeit groß, daß es sich um die 1991er EP "Rev. 16:16" von einer der zahlreichen Bands der metallischen Welt, die den Namen Armageddon wählten, handelte. Anno 2005 gründete nun Sänger George Charalambous mit vier Gleichgesinnten die Band Winter's Verge, und Chris Ioannides, Drummer bei ebenjenen Armageddon, gehört mittlerweile auch bei Winter's Verge zur festen Besetzung. Das Quintett spielte nach zwei Eigenproduktionen (eine EP, die dann unter gleichem Titel zu einem vollen Album ergänzt wurde) ein Album für Limb Music Productions ein und wechselte dann innerhalb Deutschlands zu Massacre Records, für die bisher zwei Alben entstanden, von denen "Beyond Vengeance" das aktuelle ist. Wer Stratovarius auf ihrer 2010er Tour gesehen hat, der könnte sich an Winter's Verge erinnern, denn ebenjene spielten neben Tracedawn diese Tour als Support mit, und das dürfte auch stilistisch exzellent gepaßt haben. Die Zyprioten spielen nämlich feinen progressiven Power Metal, dem sie bei Gefallen durchaus einen stilistischen Schlenker in Richtung Stratovarius verpassen können, wie "Paper Is Blank" gleich an zweiter Position des neuen Albums unter Beweis stellt. Kopisten sind sie aber natürlich nicht, denn das Gros ihrer Songs siedelt in der klassischen Ausrichtung der Progpower-Sparte, wie man sie von Threshold, Symphony X oder der mittleren Schaffensphase von Lanfear kennt, um mal ein paar Rahmengrößen zu nennen, von denen sich Winter's Verge allerdings durch Georges Stimme unterscheiden, die sich zwar in ähnlichen Lagen bewegt wie Tobias Althammer weiland bei Lanfear, aber genügend eigenständige Merkmale aufweist und mit den hohen Lagen eines Russell Allen sowieso nichts gemeinsam hat. Manchem US-Metal-Altfreak wird gar der selige J. D. Kimball von Omen ins Gedächtnis springen, und auch Dark At Dawns Buddy Kohlrausch winkt nicht nur hinter den sieben Bergen. Stilerneuerer sind Winter's Verge nicht, aber das, was sie machen, das machen sie gut, und ein tadelsfreies Klangbild (produziert hat Roberto Dimitri Liapakis von Mystic Prophecy) unterstützt die Wirkung der elf Kompositionen, die gekonnt zwischen Melodie und Energie changieren, wobei vor allem die Rhythmusgitarren enorm druckvoll abgemischt wurden, ohne daß sie aber den Rest der Musik erdrücken. Generell sind die Zyprioten auch keine Freunde von überlangen Songs, sie halten ihre Arrangements für Genreverhältnisse überraschend kompakt und griffig, natürlich nicht ohne trotzdem hier und da verspielten Ausflügen Raum zu geben, wie gleich der vielschichtige Opener "Cunning Lullabies" unter Beweis stellt. Betrachtet man ihr Gesamtwerk, kommt übrigens ein seltsames Phänomen zutage: Auf dem eigenproduzierten Album stand noch ein Song, der über sieben Minuten dauerte, während der längste Song auf allen drei bisher erschienenen Folgealben "nur" über sechs Minuten dauerte und jeweils auf Trackposition 10 stand. Aber die Parallelen gehen noch weiter: Diese drei Alben besitzen je 11 Songs und dauern jeweils zwischen 53 und 54 Minuten. Offenbar sind Winter's Verge nicht nur Metaller, sondern auch (Hobby-)Mathematiker - aber wie viel Musik und Mathematik miteinander zu tun haben, wußte immerhin schon der alte Bach. Den zitieren die Zyprioten übrigens nicht so exzessiv und offenkundig, wie das manche Stilkollegen gerne tun - dafür lag im 2010er Tourbus aber offensichtlich einiges an Nightwish-Scheiben herum, speziell "Once" und "Dark Passion Play". Keyboarder Stefanos Psillides wirft nämlich in "Unto The Darkness" und im bombastischen Finale von "Dying" hier und da Orchesterschläge ein, die auf Tuomas Holopainen als Vorbild verweisen. Aber auch das dürfte, wenn es überhaupt Absicht war, eher als Hommage und nicht als Anbiederung zu werten sein, ebenso das Solo von "Threads Of My Life", das eine Ahnung zuläßt, wie Nightwish klingen könnten, hätte Tuomas H. eine etwas basischere Entwicklungsrichtung eingeschlagen. Frauengesang gibt's bei den Zyprioten übrigens auch: In "Burning Heart" (kein Survivor-Cover!) meldet sich als Georges Duettpartnerin Myrto Meletiou zu Wort und tut das in lieblicher, aber nicht zu säuselnder Ausprägung. Growlenden Gastgesang gibt es in "Unto The Darkness" auch noch (Jon Simvonis von den Griechen Descending), und im mit nur 3:15 min für Genreverhältnisse geradezu ultrakurzen "Angels Of Babylon" meldet sich noch Produzent Liapakis stimmlich zu Wort. Die Ballade "One Last Night" beweist, daß Winter's Verge auch in diesem Sektor was drauf haben, wenngleich ihnen damit noch kein Meisterwerk des Kuschelmetal gelungen ist. Zu einem solchen hätte sich "Semeni" mit seinem entrückten Einleitungsteil entwickeln können, aber die Arrangementfraktion hat anders entschieden, beläßt die ruhigen Töne nur im Intro und macht dann ein feistes Epos aus dem Ganzen, dessen Ohoho-Passagen erfreulich unkitschig daherkommen. "A Dream For A Dream", der elfte Song, eine gutklassige Orchesterhalbballade, ist auf der hier vorliegenden Pressung als Bonus Track ausgewiesen, aber welche Fassung ihn nicht enthält (und damit aus der oben angeführten Mathematikepisode ausbricht), entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Das macht freilich nichts: Winter's Verge ist mit "Beyond Vengeance" eine gute bis sehr gute, wenngleich sicherlich noch nicht die Spitze des Eisberges in der bandinternen Kreativität markierende Platte gelungen, die man sich als Genrefreund bedenkenlos in die Sammlung stellen kann.
Kontakt: www.massacre-records.com, www.wintersverge.com

Tracklist:
Cunning Lullabies
Paper Is Blank
Unto The Darkness
Not Without A Fight
Burning Heart
Dying
One Last Night
Threads Of My Life
Angels Of Babylon
Semeni
A Dream For A Dream
 




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