www.Crossover-agm.de STRATOVARIUS: Under Flaming Winter Skies - Live In Tampere (The Jörg Michael Farewell Tour)
von rls

STRATOVARIUS: Under Flaming Winter Skies - Live In Tampere (The Jörg Michael Farewell Tour)   (earMUSIC)

Nichts gegen Stratovarius-Gründer und -Urtrommler Tuomo Lassila: Sein Schlagzeugspiel auf den ersten vier Studioalben ist beileibe nicht schlecht. Aber Jörg Michaels Einstieg verlieh dem 1996er Album "Eternity" mit seinem saftigen Getrommel, das durch eine entsprechende Produktion unterstützt wurde, eine Extraportion Punch und verhalf diesem Album maßgeblich mit zu dem Sonderstatus, den es in der Diskographie der finnischen Melodic-(Speed-)Metaller bis heute innehat - viele sehen es als bestes Album der Bandgeschichte an, einige ziehen allerdings auch den Nachfolger "Visions" vor, der ähnliche Qualitäten aufweist. Daß diese beiden Alben anderthalb Jahrzehnte später maßgebliche Teile des Livesets darstellen ("Episode" kommt zweimal zum Zuge, nämlich mit den Speedies "Speed Of Light" und "Father Time", während "Visions" gleich sechs Beiträge stellen darf, darunter "Legions Of The Twilight", das damals noch ganz einfach "Legions" hieß, und den über zehnminütigen Titeltrack - welche bombastische Größe im Intro, auch hier in der Livefassung!), überrascht daher nicht, vor allem nicht vor dem Hintergrund, daß es sich um die Abschiedstour von Jörg Michael handelt, der nach 16 Jahren im Dienste der Finnen abgeheuert hat. Der Mitschnitt vom 19.11.2011 aus Tampere stellt möglicherweise gerade daher die Drums in den absoluten klanglichen Mittelpunkt, worunter vor allem Timo Kotipeltos Leadgesang und besonders Lauri Porras Baßspiel zu leiden haben - speziell letztgenanntes hört man nur ganz peripher, was das Gesamtklangbild etwas gewöhnungsbedürftig macht. Natürlich ist Porra da, er darf unter den drei Instrumentalsoli sogar das längste spielen und entfaltet beispielsweise in "Kiss Of Judas" durchaus auch songtragende Prägung, aber eben nur, weil Michael dort zurückhaltender agiert. Der scheidende Drummer hat übrigens keinen Solospot in herkömmlicher Hinsicht zugewiesen bekommen, sondern richtet das Wort ans Publikum - ein Programmpunkt, der auf der gleichnamigen DVD enthalten ist, auf der Doppel-CD aber herausgeschnitten wurde, obwohl es an Platz auf CD 2 durchaus nicht gemangelt hätte. Ansonsten sind die Setlisten aber identisch, abgesehen von dem Kuriosum, daß auf der CD das Showintro weggeschnitten wurde, der Set also gleich mit "Under Flaming Skies" beginnt, das in Kombination mit dem auf CD 2 enthaltenen "Winter Skies" den CD-Titel abgegeben hat. "Polaris" und "Elysium", die beiden bisher erhältlichen Alben der Post-Timo-Tolkki-Ära, finden ebenfalls mit je zwei Songs ihren Platz in der Setlist, die ansonsten auch noch Überraschungen bereithält: Coverversionen nämlich. Schon das Vorhandensein solcher verwundert, denn Stratovarius-Setlisten enthielten bisher nahezu ausschließlich Eigenkompositionen, und von denen hätten ja auch beileibe genug im Arsenal zur Verfügung gestanden. Statt dessen greifen Kotipelto & Co. im urlangen Zugabenblock (der den mit etwa 70 Minuten doch recht kurzen Hauptset kompensiert) gleich dreimal auf Fremdmaterial zurück. Deep Purples "Burn" geht dabei als durchaus logische Wahl durch - schließlich stellte dieser Song einen der Urväter des Stils dar, dessen sich Stratovarius seit einem Vierteljahrhundert mittlerweile bedienen. Die große Überraschung kommt danach: Die Halbballade "Behind Blue Eyes" war anno 1971 eine von zwei ausgekoppelten Singles des The-Who-Albums "Who's Next" und erreichte immerhin Platz 29 der US-Charts, stand damit aber im Schatten der Auskopplung "Won't Get Fooled Again", die wie das Album selbst in den USA auf einstellige Chartplätze kam. Stratovarius spielen The Who? Für den ersten Gedanken schwer vorstellbar, aber es funktioniert erstaunlich gut, zumal auch "Who's Next" als ein Umbruchsalbum in der Karriere von The Who gilt, auf dem Townshend & Co. mit ungewöhnlichen Ideen experimentierten. (Und immerhin schafften selbst Limp Bizkit mit einer Coverversion von "Behind Blue Eyes" noch einen Welthit, der Komponist Townshends Rentenkasse massiv aufbesserte ...) Als drittes Cover folgte im Set noch "I Don't Believe In Love" vom Queensryche-Album "Operation: Mindcrime" - selbiges fehlt der Konserve aber, und zwar sowohl der DVD als auch der CD. Platzgründe können's nicht gewesen sein - CD 2 hat noch etliche Minuten übrig und hätte diese auch noch gehabt, wenn Michaels Abschiedsrede mit hineingekommen wäre, schon allein der Atmosphäre wegen (ein Foto von ihr gibt's im CD-Booklet). Kotipelto kommuniziert mit dem Publikum übrigens in Finnisch, was alle Nichtfinnen vor akute Verständnisprobleme stellt - Candlemass hatten das bei ihrem legendären Stockholm-Livemitschnitt anders gemacht und sich der englischen Sprache bedient, aber der war auch von langer Hand geplant gewesen und nicht in eine reguläre Tour eingebunden gewesen, bei der möglicherweise von vornherein verschiedene Gigs mitgeschnitten worden sind, um halt, wenn Tampere nicht gut genug ausfiele, eben den aus Mikkeli nehmen zu können, was allein vom Namen her nochmal eine spezielle Bedeutung hätte entfalten können. Aber sei's drum - wir müssen mit dem leben, was wir jetzt in konservierter Form serviert bekommen, und das sind reichlich 100 Minuten Stratovarius in, soweit man das hören kann, exzellenter Form und bestechender Spiellaune, wobei auch Kotipelto gut bei Stimme ist, wenngleich er das Altern und damit einhergehende Schwierigkeitenumgehen mittlerweile auch nicht mehr verleugnen kann. Apropos Alter: Mit Rolf Pilve nimmt ein 25jähriger Jungspund Michaels Platz an den Drums ein (das 2013er Studioalbum "Nemesis" hat er bereits mit eingespielt), der zu Zeiten der Gründung von Stratovarius noch nicht mal geboren war und der jetzt wohl etwas weniger Zeit für seine elf (!) anderen Bands haben wird, von denen einige wie Solution.45, Random Eyes oder Essence Of Sorrow durchaus nicht ganz unbekannt sind. Seien wir also gespannt, was da noch kommen wird - bis dahin vertreiben wir uns die Zeit mit dieser Doppel-CD, deren Booklet neben zahlreichen Fotos aus Tampere auch noch ein kleines, allerdings frageseitig recht standardisiertes Interview mit Jörg Michael enthält. Ob freilich als sein Abschiedsfoto nun die spezielle Bierdusche auf der Bookletrückseite veröffentlicht werden mußte, darüber darf lange und ausführlich diskutiert werden ...
Kontakt: www.ear-music.net, www.stratovarius.com

Tracklist:
CD 1:
Under Flaming Skies
I Walk To My Own Song
Speed Of Light
Kiss Of Judas
Deep Unknown
Guitar Solo
Eagleheart
Paradise
Visions
Bass Solo
Coming Home

CD 2:
Legions Of The Twilight
Darkest Hours
Burn
Behind Blue Eyes
Winter Skies
Keyboard Solo
Black Diamond
Father Time
Hunting High And Low



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