www.Crossover-agm.de NIGHTWISH: Once
von rls

NIGHTWISH: Once   (Nuclear Blast)

Nach einer Pause, die eigentlich gar keine richtige war (da man zumindest diverse Livegigs bestritt), legen Nightwish ihren fünften regulären Studiosilberling vor. Nun ist seit dem Release von "Century Child" anno 2002 einiges passiert - aber eher beim Rezensenten als bei der Band selbst, wenngleich auch diverse bandinterne Abläufe und Klärungen zum Resultat von "Once" beigetragen haben dürften und Sängerin Tarja ihr Musikstudium in Karlsruhe vorzeitig beendet hat, um wieder mit der Band arbeiten zu können. Der Rezensent aber hat in der Zwischenzeit eine Band kennengelernt, die ganz grob mit Nightwish vergleichbar ist (rekognoszable Unterschiede verschließen sich indes nur dem oberflächlichen Betrachter), aber selbst deren bisheriges Monument "Oceanborn" in den Schatten zu stellen in der Lage war: die Taiwanesen Seraphim, deren "The Equal Spirit"-Meisterwerk mittlerweile den Sonnenplatz meiner Alltimefaves eingenommen hat und deren aktuelle Scheibe "Ai" auch nicht allzuweit entfernt in der Tabelle Platz genommen hat. Geschwindigkeiten wie in "My Heart Is Dying" oder "Tears", um mal zwei der Seraphim-Übersongs zu erwähnen, erreichen Nightwish allerdings schon seit "Oceanborn" nicht mehr, weswegen man sie zwar noch im Melodic Metal-Fach, aber keineswegs mehr in der Speedschublade ablegen kann. Statt dessen haben sich die Finnen in eine andere Richtung bewegt, welche zum Teil mit der Entwicklung Seraphims korrespondiert, zu einem anderen Teil aber auch mit dieser konträr geht. Die Gemeinsamkeit: "Ai" ist rhythmisch komplizierter, vielschichtiger, meinetwegen also progressiver als "The Equal Spirit" - für "Once" gilt im Vergleich mit dem Vorgänger "Century Child" Analoges. Nightwish aber konnten businesstechnisch ein x-faches Studiobudget auffahren und haben diesmal gleich ein komplettes Sinfonieorchester verpflichtet, was "Once" bei weitem orchestraler und bombastischer macht als alles, was die Band bisher in Szene gesetzt hat, in diesem Punkt also auch "Oceanborn" (wo der Bombast noch komplett aus Keyboarder Tuomas' Konserve kam) hinter sich läßt. Der tastende Chefdenker zeigt sich schon lange von der Idee gefangen, Filmmusik zu komponieren - mit "Once" ist ihm ein wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen, und dazu enthält das neue Album einige der besten Nightwish-Songs ever. Der ultimativste unter ihnen, der sich gern auf eine Stufe mit "Stargazers" stellen darf, steht wie jener damals auf "Oceanborn" gleich am Anfang des Albums: "Dark Chest Of Wonders" überrascht mit im Nightwish-Kontext neuartigen Orff-Chören (was natürlich im Metal nicht neu ist - man erinnere sich an "Angels Holocaust" von Iced Earth -, aber erstklassig in diesen Song paßt) und marschiert zumeist recht locker nach vorn, übertreibt es nicht mit der Eingängigkeit, bleibt aber stets auf einem immens hohen Anspruchsniveau. "Wish I Had An Angel" überrascht danach mit tanzbaren Beats, für die im Nightwish-Schaffen lediglich "The Riddler" als grober Anhaltspunkt dienen kann, in puncto Experimentierfreude aber hier übertroffen wird. Die Single "Nemo" dürfte ja mittlerweile weitreichend bekannt sein und gehört in der Kategorie der eingängigeren, eben singlekompatiblen Tracks ebenfalls zu den stärksten Nightwish-Elaboraten - Kalkül in puncto des Erfolges des Filmes "Findet Nemo" sollte man der Band indes nicht vorwerfen, auch wenn es eine gute Marketingchance gewesen wäre, diesen mit einem sehr emotionalen Text versehenen Track zu pushen. Das druckvolle "Planet Hell" (wie "Wish I Had An Angel" wieder mit Bassist Marco Hietala als Zweitsänger) kann das bisherige außerordentlich hohe Niveau nicht ganz halten, aber danach kommt der zweite Volltreffer in Gestalt der ersten siebeneinhalb Minuten von "Creek Mary's Blood" - ein epischer Track mit vokaler und flötentechnischer Unterstützung des waschechten Indianers John Two-Hawks, auch thematisch um die schwierigen Beziehungen zwischen Indianern und Weißen im 19. Jahrhundert kreisend und ein Meisterstück des Orchestermetals darstellend - exakt in diese Richtung müssen metallisch-orchestrale Filmsoundtracks in Zukunft gehen, und Nightwish dürfen sich zugute halten, debütierende Protagonisten dieses Subgenres zu sein. Warum habe ich aber von siebeneinhalb Minuten geschrieben, wo der Song doch achteinhalb dauert? Ganz einfach: Der Schlußteil ist mir zu lange ausgewalzt - in einem imaginären Film mag das nicht das Problem sein, aber hier fehlen die Bilder als mediale Komponente, und damit wird diese Minute, in der musikalisch nicht viel passiert, zur monotonen Repetition. Trotzdem gehört diese Albumhälfte zum Besten, was Nightwish je fabriziert haben, und wenn sie auf diesem Level weitergemacht hätten, wäre hier ein Klassikeralbum entstanden, das sich zumindest zwischen "The Equal Spirit" und "Ai" geschoben hätte. Der verwendete Konjunktiv deutet aber an, daß in dieser Rechnung noch die zweite Albumhälfte fehlt, und diese fällt in der Tat ein Stück weit ab, wenngleich auch hier noch der eine oder andere große Moment lauert, im Kontrast dazu bestimmte Elemente von "Romanticide" aber fast zur Selbstkopie geraten (trotz beispielsweise eines sehr starken Gitarrensolos in ebendiesem Track), dieser Song gar einen völlig unmotivierten Stop nach dreieinhalb Minuten enthält, bei dem man sich wundert, warum der Song danach überhaupt noch weitergeht, oder auch der verquere Schlußteil von "Dead Gardens" nicht so recht munden mag. Dagegen braucht das zehnminütige "Ghost Love Score" etliche Durchläufe, bis es richtig zündet - ganz an "Creek Mary's Blood" vorbei kommt es nicht, aber auch hier leistet zunächst der Chor (in den Choruspassagen des Eröffnungsteils) und dann das Orchester ganze Arbeit - ein reiner Orchesterteil geht ab Minute fünfeinhalb für die nächsten zweieinhalb Minuten in eine Klassik-Metal-Verquickung über, die einen erneuten Meilenstein für dieses Subgenre markiert und zum Schluß auch den Chor nochmal auffährt, der einen appellierenden Refrain unter eine lyrisch-sehnsuchtsvolle Leadgesangslinie der erneut sängerisch bestens aufgelegten (Mezzo-)Sopranistin Tarja legt. Mit "Kuolema Tekee Taiteilijan" kommt die obligatorische Ballade diesmal in der Heimatsprache Finnisch daher - und schafft es wieder mal nicht, an "Swanheart" vorbeizukommen, wenngleich auch dieser Abstand nicht der großen einer ist. Mit "Higher Than Hope" endet die Stunde "Once" dann ein klein wenig zu kontemplativ und läßt den Hörer mit dem Gefühl zurück, über weite Strecken hier einem großangelegten Experiment gelauscht zu haben, das einige entwicklungstechnische Meilensteine gesetzt hat, aber durchaus noch perfektioniert werden kann. Das beste Nightwish-Album seit "Oceanborn" bleibt "Once" dank der angesprochenen Überknaller aber trotzdem. Ich habe hier ein Exemplar der Limited Edition, kann aber nicht sagen, was (außer der zusätzlichen Hülle, die man nur unter Schwierigkeiten heil in ein normales CD-Regal rein- und aus diesem wieder rausbekommt) das ganz Spezielle daran ist - mehr oder andere Songs als auf der Normalversion sind jedenfalls nicht drauf.
Kontakt: www.nightwish.com

Tracklist:
Dark Chest Of Wonders
Wish I Had An Angel
Nemo
Planet Hell
Creek Mary's Blood
The Siren
Dead Gardens
Romanticide
Ghost Love Score
Kuolema Tekee Taiteilijan
Higher Than Hope




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