www.Crossover-agm.de ICED EARTH: Horror Show
von rls

ICED EARTH: Horror Show   (Century Media Records)

Normalerweise weiger' ich mich, Platten zu rezensieren, die ich nicht in voller Länge hören kann. Hier liegt der Fall aber etwas anders, denn die 54minütige Promoversion von Iced Earths "Horror Show" enthält alle elf Songs des regulären Albums. Zwar kommen acht davon in ausgeblendeten Versionen, aber die Ausblendungen erfolgen mit einer Ausnahme allesamt nach frühestens vier Minuten, wenn der Song als solcher bereits so weit erkennbar geworden ist, daß eine Bewertung möglich wird. Soll wohl 'ne Vorsichtsmaßnahme gegen die "lieben" Kollegen sein, die eine Vollversion der Platte gern mal zum kompletten Download online stellen, noch bevor das Ding offiziell in die Läden gelangt. Musikalisch zeigte das letzte reguläre Studioalbum "Something Wicked This Way Comes" (die "Melancholy E.P." und "Alive In Athens" laufen außer Konkurrenz) nach dessen immer simplifizierteren Vorgängern "Burnt Offerings" und "The Dark Saga" (die nur teilweise geglückten Neuinterpretationen von "Days Of Purgatory" bleiben wiederum außerhalb der Wertung) wieder in eine etwas komplexere Richtung, jedenfalls vom Songwriting her, wohingegen speziell das Riffing nach wie vor nicht mehr allzuviel mit der begnadeten abwechslungsreichen, oft doppelstimmigen Arbeit auf den ersten beiden Platten zu tun hatte, da Jon Schaffer es für wichtiger erachtete, einen Grundton auszurhythmisieren. In diesem Punkt gibt es auf "Horror Show" dankenswerterweise echte Lichtblicke zu erleben, die den klassischen Power Metal der Amis teilweise wieder auf das außergewöhnliche Level heben, das er mit den ersten beiden Platten schon mal hatte. Man höre nur mal das nicht sonderlich komplizierte, aber wirkungsvolle Doppelriff am Ende von "Damien" vor dem Übergang in einen atmosphärischen Chor-meets-Geflüster-Part. Von diesen Aha-Erlebnissen hätte man sich durchaus noch ein paar mehr gewünscht, aber man ist froh, daß man sie überhaupt bekommen hat. Ihr Scherflein zu der Klasse von "Horror Show" haben neben dem mittlerweile etablierten Iced Earth-Kern mit Sänger Matthew Barlow und den beiden Gitarristen Jon Schaffer und Larry Tarnowski zwei Leute beigetragen, über die man nicht mehr viel sagen muß: Bassist Steve DiGiorgio und Drummer Richard Christy. Ob sie auch für die songstrukturell leicht erhöhte Komplexität mitverantwortlich sind, kann nur vermutet werden, da Jon Schaffer wieder mal als Hauptsongwriter fungiert, aber angesichts der sonstigen Betätigungsfelder der Herren erscheint es nicht unwahrscheinlich. Komme niemand auf die Idee, Iced Earth würden nun plötzlich Prog Metal spielen - sie könnten es, da bin ich mir sicher, aber "Horror Show" hat in erster Linie Power (und ist damit logischerweise Power Metal), wenn natürlich auch nicht permanent gehämmert, gewalzt und geschmiedet wird. Die Feinziselierung ist zu meiner Freude wieder bedeutend ausgeprägter ausgefallen - exorbitantes Beispiel für diese These ist die Halbballade "Ghost Of Freedom". "Im-Ho-Tep" (Pharao's Curse)" verlangt thematisch nach orientalisch anmutenden Melodiebögen, bekommt diese aber nur im Intro und ist damit einer dieser Songs, wo ich mir zumindest in den Strophen mehr gitarristische Variationsbreite gewünscht hätte. Apropos thematisch: "Horror Show" erscheint als Konzeptalbum, das pro Song jeweils einen Charakter des angsteinflößenden künstlerischen und/oder mythologischen Fachs behandelt. Das ist generell betrachtet alles andere als neu oder gar innovativ, aber in dieser Häufung doch recht selten zu betrachten. Da ich kein Textblatt hier habe, hält sich meine Aussagekraft über die genaue Aufarbeitung der Sujets natürlich in Grenzen, also beschränke ich mich auf eine Aufzählung, wer denn so alles vorkommt: der Werwolf natürlich (der springt ja schon reichlich durchs Sagenbuch der Brüder Grimm), Damien Thorne alias Das Omen (der/das ist figural nicht ganz so alt), ein mumifizierter Pharao, die unzertrennlichen Dr. Jekyll & Mr. Hyde, Jack The Ripper natürlich, das Phantom der Oper, Frankenstein, Dracula gleich in doppelter Ausführung sowie noch ein paar andere. Einen der Charaktere hat man übrigens nicht mit einer Eigenkomposition, sondern mit einer Coverversion von Iron Maiden bedacht. Wer jetzt auf "Phantom Of The Opera" tippt, der irrt - einer der Draculas (Draculi? Draculen? Draculä?) ist mit dem Instrumental "Transylvania" aufgeweckt worden und dürfte angesichts dessen brillanter Umsetzung, die sich außer im Rhythmusgitarrensound so gut wie nicht vom Original unterscheidet, im Drumbereich gar noch etwas differenzierter ausgefallen ist, freundlich aus seiner Burg gegrinst haben. Der andere, dessen Song ganz einfach "Dracula" heißt, hat dazu auch allen Grund, denn so schöne Baßparts wie im halbakustischen Intro gibt's im Repertoire von Iced Earth nur sehr selten zu hören. Auch im weiteren Verlauf marschiert dieser Song straight zurück in Richtung der ersten zwei Platten, wird lediglich im HiHat-Bereich feinst ausgearbeiteten Bridge leicht zurückgehalten. Leider gibt es aber auch etliche Songs, in denen Iced Earth ihr unglaubliches Potential zu sehr verstecken und die zwar immer noch gut sind, aber eben alles andere als überragend. "Frankenstein" oder "Dragon's Child" mögen hier als Beispiel dienen, die mehr Meterwaren-Eindruck machen, wohingegen ich beim abschließenden überlangen "The Phantom Opera Ghost" ob der komplexen Struktur, dem abwechslungsreichen Gesang, den Bombast andeutenden, aber nicht ausprägenden Orgelflächen im Hintergrund sowie den ausgesprochen altschuligen Riffs wieder völlig begeistert bin. Die Mandoline im Mittelteil krönt diesen Knaller schließlich völlig. Halt, fast völlig - da schleicht sich noch eine Leadgitarre hinter den folgenden männlichen Gesangspart, ohne die das geniale Gesamtbild nicht vollständig gewesen wäre: leicht entrückt wirkend, melodisch ansprechend, atmosphärisch unterstützend, fast rührend. Ein paar mehr Exempel dieser Kajüte, und ich hätte "Horror Show" auf eine Stufe mit "Iced Earth" und "Night Of The Stormrider" gestellt. So bleibt's immerhin die beste Iced Earth-Scheibe seit diesen beiden, die allerdings nicht beim ersten Durchlauf zündet, dafür aber mit jedem neuen Hören wächst, bis sie irgendwann mal richtig groß ist. Ich wische mir eine Träne aus dem Knopfloch, daß ich so simple wie wirkungsvolle Riffarbeit wie am Anfang von "Mystical End", so ergreifenden Gesang wie in "Reaching The End" und so dichte Atmosphäre wie in der Originalversion von "When The Night Falls" (hier speziell im Intro und im Refrain) wieder nicht bekommen habe, aber "Horror Show" ist eine annehmbare Ersatzdroge, von der so gut wie kein Anhänger melodieorientierten Power/Speed/Thrash Metals enttäuscht sein sollte.
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