www.Crossover-agm.de NIGHTWISH: Century Child
von rls

NIGHTWISH: Century Child   (Drakkar Records)

Hm. Hmmm. Hmmmmm. Auch nach dem x-ten Durchlauf habe ich es nicht geschafft, mir ein eindeutiges Bild von "Century Child" ins Hirn zu zeichnen. Ich weiß auch nicht, in welchem Maße das weitere 25 Durchläufe später anders wäre, und irgendwann muß die Rezension ja mal fertigwerden. Fest steht: Im Gegensatz zum beinahe überall abgefeierten "Oceanborn" erntete "Century Child" bisher ambivalente Reaktionen. Im RockHard wurde die CD zwar "standesgemäß" Soundcheck-Sieger, aber einige CrossOver-Redakteure nahmen im Zusammenhang mit der CD auch schon mal das Wort "schwach" in den Mund, und auch der restliche Blätterwald verfiel keineswegs in einstimmigen Jubel.
10 neue Songs haben sich Chefdenker Tuomas Holopainen und seine Crew aus dem Kreuze geleiert, stilistisch bekanntermaßen im orchestralen Melodic Metal angesiedelt (das Wort "Speed" vermeide ich im Zusammenhang mit "Century Child" bewußt, auch wenn höhere Geschwindigkeit nicht ganz abwesend ist) und in gewohnt perfekter Meisterschaft eingespielt. Wollen wir indes mal durchgehen, was an songwriterischen Treffern zu verzeichnen ist. Der Opener "Bless The Child" schraubt sich in eher gemächlichem Tempo aus den Boxen und fällt außer durch einen gleichermaßen kapitalen wie sehnsuchtsvollen Refrain noch durch interessante Drumrhythmusverschiebungen positiv auf, bringt das Gleichgewicht des Hörers aber ansonsten nicht aus den Fugen. Nahtlos geht dieser Track in "End Of All Hope" über, bei dem sicher jedem Rezensenten die Verwandtschaft mit "Wishmaster" aufgefallen sein dürfte, als dessen Quasi-Fortsetzung Tuomas den Track auch konzipiert hat und das die leichte Schwäche von "Wishmaster" ausbügelt, indem trotz immer noch opulenter Instrumentierung der Eindruck des Überladenseins ("Wishmaster" bleibt nach wie vor der einzige Nightwish-Track, bei dem ich dieses Gefühl habe) vermieden wird. So richtig ausspielen können Nightwish ihre Stärken aber erst in "Dead To The World", einem episch inszenierten, wenn auch nicht überlangen Song, das zudem den Wert von Neuzugang Marco Hietala für die Band unterstreicht, der mit einer angerauhten, aber nicht dunklen Stimme wirkungsvolle Kontrapunkte zu Tarja Turunens Leadgesang setzt, die aber eben erst durch die direkte gesangliche Wechselwirkung zu blühen beginnen (die beiden Tracks, die Hietala auf "Secret Visions" von Virtuocity als Leadsänger interpretiert hatte - mit bedeutend rauherer Stimme übrigens -, wußten mich bedeutend weniger zu beglücken) und diesen Song zu einem echten Höhepunkt machen. "Ever Dream" war, wenn ich mich recht erinnere, die erste Singleauskopplung, und so vergleichsweise gesetzt klingt sie auch, refrainbetont, aber ansonsten vergleichsweise austauschbar. "Slaying The Dreamer" beginnt ebenfalls unauffällig, aber ein gespenstisch anmutender Stakkatopart mit Hietala-Vocals leitet in einen fast zerrissen, in jedem Falle aber verzweifelt anmutenden Schlußteil über, der mit einer von sehr schnellem Drumming unterstützten Excelsior-Kaskade den denkbar schärfsten Kontrast zur Ballade "Forever Yours" bildet. Tja, Nightwish und ihre Balladen ... "Swanheart" laufen sie nach wie vor hinterher, aber das einfach nur romantisch-schöne "Forever Yours", auch wieder mit Flötenunterstützung, reiht sich in nicht allzuweiter Entfernung ein, kann durchaus mit "Away" von "Over The Hills And Far Away" mithalten und besitzt im Gegensatz zu seinem warmen, vertrauten Charakter tieftraurige Lyrics - überhaupt hatte Haupttexter Tuomas diesmal offenbar einen ganzen Sack negativer Emotionen zu verarbeiten, obwohl "Century Child" keineswegs vordergründig düster klingt und durchaus ein paar wenige fröhliche Elemente zum Zuge kommen läßt. Seiner ganz individuellen "Ocean Soul" jagt Tuomas ja schon seit Jahren nach - diesmal bekommt sie mit "Ocean Soul" einen kompletten Song gewidmet, zu dem ich trotz seiner alles andere als komplizierten Struktur nach wie vor keinen richtigen Zugang gefunden habe. Ähnliches gilt für das etwas progressivere und wieder von Marco co-besungene "Feel For You", zu dem dieser gleich noch das einleitende Baßsolo beisteuerte. Die Kontrastwirkung zwischen den weiblichen und männlichen Vocals kommt allerdings auch in diesem Song gut zur Geltung. Tarja hat ihre Sopranlagen mittlerweile nahezu komplett verlassen, was einigen Hörern den Zugang erleichtern dürfte, den Liebhabern der höchsten Töne aber weniger recht sein wird, wenn man auch anerkennen sollte, daß Tarja selbst ihre stimmliche Heimat nicht in den hohen Sopranlagen sieht und an der Musikhochschule Karlsruhe, wo sie mittlerweile studiert, sicherlich auch nicht in dieser Richtung weiterarbeitet. Das Stichwort Klassik führt uns zum nächsten Song, einer Adaption von "The Phantom Of The Opera", wobei ich mangels intensiver Kenntnis des Originals die Qualität der direkten Umsetzung nicht bewerten möchte. Anfangs konnte ich mit dem Track gar nichts anfangen, mittlerweile gefällt mir seine von eigentlich auf nur einem siebentönigen Orgelriff beruhenden Grundmotiven ausgehende Entwicklung eines theatralischen Infernos (das mit den sich immer mehr verdichtenden Klängen symbolisiert wird) sehr gut. Mit dem abschließenden dreiteiligen "Beauty Of The Beast" stoßen Nightwish in Zeiten jenseits der 10 Minuten vor, wobei der erste Teil "Long Lost Love" (geschrieben übrigens von Basser Marco) von einem hymnischen Grundcharakter gekennzeichnet und von Orchesterklängen geprägt ist (hierfür zeichnet das Jönsuu City Orchestra verantwortlich, dirigiert von Riku Niemi, der Waltari-Anhängern von "Yeah! Yeah! Die! Die! Death Metal Symphony In Deep C" noch in bester Erinnerung sein sollte). Der Hymnencharakter bleibt auch im zweiten Teil "One More Night To Live" erhalten, das aber allmählich an Fahrt gewinnt, sich indes doch nicht freischwimmen kann (der fast lethargische Unterton der Lyrics wirkt sich auch musikalisch aus) und im abschließenden "Christabel" durch einen im Hintergrund gregorianische Melodik einstreuenden Chor abgerundet wird. Damit endet das bisher düsterste Nightwish-Werk (wie gesagt: nicht vordergründig musikalisch, aber textlich und auch von der in dunklem Violett gehaltenen Bookletgestaltung unterstützt), das qualitativ die erste Hälfte von "Wishmaster" hinter sich läßt, die locker-leichte Musizierweise früherer Tage aber ebenfalls nicht reproduziert (das hätte zum lyrischen Sujet aber wohl auch weniger gepaßt). Es bleibt also ein tiefgründiges, wenn auch vergleichsweise unzugängliches Werk der fünf Nordlichter, bei dem ich mir (im Gegensatz zu "Oceanborn") aber keineswegs sicher bin, wie ich es nach den nächsten 25 Durchläufen bewerten werde.
 
 





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