www.Crossover-agm.de NIGHTWISH: Oceanborn
von rls

NIGHTWISH: Oceanborn   (Drakkar)

Parallel zu den beiden Tracks von Sunblazes "Illuminating Heights"-Scheibe gelangte noch ein weiterer Song in meine heiligen Hallen, der sich nicht nur sofort in meinen Gehörgängen festkrallte, sondern auch kräftig in meinem Emotionenpool herumwühlte und fortan jeden Abend aus meiner Stereoanlage erschallte: "Stargazers", der Opener von Nightwishs zweitem Album "Oceanborn". Diese 4:26 min sind ohne Zweifel der Song des Jahres 1999. Wem nicht spätestens nach dem lieblich-melodischen Gitarrenriff von Sekunde 35 bis Sekunde 49 diverse wohlige Schauer über den Rücken gelaufen sind, der ist mit relativ großer Wahrscheinlichkeit gefühlstot. Dazu noch flächige bis hoppelnde Keyboards, treibende Drums, ein ruhiger Zwischenpart und als Krönung eine ebenso eigenständige wie eingängige Gesangslinie (die laut Thomas übrigens ein bißchen russisch-influenced klingen soll) - fertig ist das Meisterstück. Klar, daß ich mehr als gespannt auf das gesamte Album war - schließlich hätte eine Platte mit zehn Songs von "Stargazers"-Qualität HammerFalls "Glory To The Brave" locker von Platz Eins meiner ewigen Bestenliste verdrängt. Dazu reicht's unterm Strich allerdings nicht ganz, denn es befinden sich auch einige Songs auf "Oceanborn", die "nur" sehr gut sind, aber eben nicht genial. Trotzdem ist selbst der schwächste Song ("Walking In The Air", übrigens 'ne Coverversion, dessen Original der eine oder andere aus dem Zeichentrickfilm "Der Schneemann" kennen dürfte) immer noch 99% aller anderen metallischen Kompositionen überlegen. Und im Falle des finnischen Quintetts trat sogar das Phänomen auf, daß man sich auch mit hochklassiger Musik in den Charts plazieren kann: Schon "The Carpenter", die Singleauskopplung aus dem ersten Album "Angels Fall First", enterte die Top Ten der finnischen Singlecharts, "Sacrament Of Wilderness", die erste Auskopplung der neuen Platte, erreichte gar Platz 1, und "Walking In The Air" setzte noch eins drauf, indem sich dieser winterliche Song zu Ostern 99 (!!) die Charts von oben anschaute. (Zwar sind Chartplazierungen von Metalbands in Finnland nichts Ungewöhnliches, wie Amorphis, Stratovarius und selbst die mitunter ziemlich heftig knüppelnden Children Of Bodom zeigen konnten, aber in dieser Häufung ... Man stelle sich das einmal in Deutschland vor: Sunblaze, Gamma Ray, Rage und Grave Digger verdrängen Michael Jackson, die Backstreet Boys und die Kelly Family aus den oberen Chartetagen.)
Nightwish haben also bewiesen, daß ihr Sound im Prinzip ziemlich massenkompatibel ist, was nicht zuletzt an den wirklich zauberhaften Melodien, den mitreißenden Arrangements und den klassischen Einsprengseln (in "Devil & The Deep Dark Ocean" taucht z.B. eine an Rimski-Korsakows "Hummelflug" angelehnte Passage auf) liegt. Ihr Melodic Metal liegt irgendwo zwischen Rhapsodys "Legendary Tales"- und "Symphony Of Enchanted Lands"-Scheiben, und wem letztgenannte ein bißchen zu unmetallisch und zu klassiklastig ist, für den ist "Oceanborn" die perfekte Ersatzdroge. Der metallische Aspekt kommt auf "Oceanborn" übrigens nicht so sehr durch die Gitarren (die relativ weit im Hintergrund stehen, während die Keyboards oftmals die Führungsrolle übernehmen - verwundert nicht, wenn man weiß, daß Keyboarder Tuomas Holopainen Bandkopf und Hauptsongwriter ist), sondern vielmehr durch das Drumming, das für reichlich Energieschübe sorgt, zum Tragen. Diverse Einsprengsel runden das Bild von einer nahezu perfekten Metalplatte ab: Derart gekonnt eingeflochtene Flötensoli wie in "Gethsemane" oder "The Pharaoh Sails To Orion" haben selbst Jethro Tull nicht alle Tage hinbekommen, und auch der eine oder andere cembaloartige Effekt klingt ausgesprochen interessant.
Und ich kann es mir jetzt nicht verkneifen, noch auf einige Songs gesondert einzugehen: Da hätten wir "Walking In The Air" und "Swanheart", zwei emotionsüberfrachtete Halbballaden, besonders letztgenannte eine fragile Ausgeburt einer Ehe zwischen Abendsonne und Erzgebirgsbachplätschern, die man in gewissen Situationen am liebsten in eine Endlosschleife schicken möchte, da hätten wir das durch einen ebenso einfachen wie wirkungsvollen Rhythmus bestechende "The Riddler" und das folkangehauchte Instrumental "Moondance", die in mir längst verschollen geglaubte Gelüste wecken, das Tanzbein zu schwingen, da hätten wir die beiden abwechslungsreichsten, phasenweise härtesten Songs der Scheibe, "Devil & The Deep Dark Ocean" und "The Pharaoh Sails To Orion", wo ein gewisser Wilska ein paar tiefe, klare Baßvocals beisteuert und die wahre Lehrstücke des klassikbeeinflußten Melodic Metal sind, über "Stargazers" habe ich schon geschwärmt ... Einen Meilenstein muß man natürlich mit hochklassigen Lyrics abrunden, und auch auf diesem Areal versagen Nightwish nicht, sondern liefern sehr interessante philosophische Texte ab, die ihre Inspirationen mal aus der ägyptischen Mythologie ("The Pharaoh Sails To Orion"), mal aus dem Christentum ("Gethsemane") holen und in denen es von Spiritualismen, Engeln, Feen etc. nur so wimmelt. Auch ihnen kann eine anrührende Wirkung nicht abgestritten werden ("Tragedienne Of Heavens - Watching The Eyes Of The Night - Sailing The Virgin Oceans - A Planetride For Mother And Child" aus "Stargazers"; ich will mit!), aber das muß jeder für sich selbst herausfinden.
Ein bißchen was zu meckern habe ich indes doch noch: Da ist zum ersten das etwas mißglückte Cover (die finnische Version soll besser ausgesehen haben, aber die kenne ich leider nicht - die Band selber ist mit der deutschen Version auch nicht zufrieden) und zum anderen Tarjas Stimme. Bekanntermaßen gehen mir Sopranistinnen ziemlich schnell auf den Geist. Das ist bei Tarja, die in ebenjener Stimmlage trällert und ohne Probleme Gläser zersingen könnte, zwar nicht der Fall, aber ich habe bestimmt 25 Durchläufe gebraucht, bis ich mich an den Gesang gewöhnt hatte. Die Gesangslinien selbst sind zwar mehr als außergewöhnlich, und technisch kann der an der Sibelius-Akademie studierenden Tarja auch nix vorgeworfen werden (im Gegenteil!), aber ... Mittlerweile kann ich mir diese Stimme nicht mehr aus dem (auch sonst technisch hochbeschlagenen) Ensemble Nightwish wegdenken, doch es hat halt sehr lange gedauert, bis ich zu diesem Punkt kam. Das wird anderen Hörern aber vielleicht völlig egal sein.
Der langen Rezi kurzer Sinn: Die hypochondrische Dichotomie dieses akustischen Mirabilums ist der fungizid-arthronischen Katastrophenabwehr diametral antagonisiert. Oder noch kürzer: KAUFEN! SOFORT!
Kontakt: www.nightwish.com
 




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