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Sailing To Nowhere, Lightningz Edge, Dharma Storm   26.03.2016   Leipzig, Bandhaus
von rls

Gleich im Doppelpack gibt's in der Osternacht italienischen Metal im Bandhaus zu hören - leider interessiert dieser Sound, wenn er nicht gerade von einer etablierten Band gespielt wird, in Leipzig nur eine Minderheit metallischer Gourmets, und so findet sich nur ein kleines, aber dafür begeisterungsfähiges Häuflein Menschen im Kellerclub ein. Der Rezensent stößt mit reichlich 20minütiger Verspätung hinzu, und in besagter Zeit haben Dharma Storm, die pünktlich angefangen haben, dreieinhalb Songs gespielt: "The Possessed One", "Emerges", "Immortal Crew" und die erste Hälfte von "Across The Line Of Time". Die zweite Hälfte desselben sowie die noch folgenden "Night Of The Burning Skulls" und "Blackout" (kein Scorpions-Cover) erlauben das Urteil, hier eine sehr fähige Band vor sich zu haben, die sich von Hochgeschwindigkeit eher fernhält und leicht in die progressive Richtung schielt, die Songs aber trotzdem stets nachvollziehbar hält, wenngleich nicht jeder Spannungsaufbau optimal gelingt, wie das mehrteilige Intro von "Blackout" beweist, das einige lehrbuchreife Entwicklungen beinhaltet, aber an einer Stelle eben auch ins Stocken gerät und die mühevoll aufgebaute Atmosphäre unnötigerweise beeinträchtigt. Aber das Gros des Materials überzeugt ohne Wenn und Aber, zumal hier auch fünf ausgezeichnete Musiker auf der Bühne stehen. Der Sänger agiert ganz leicht angerauht, trifft aber spielend jeden angepeilten Ton und versteht auch den songdienlichen Pathoseinbau perfekt. Das Gesamtklangbild ist relativ klar, wenngleich vor allem in "Blackout" zum Ende hin einen Tick zu laut, so daß von der Keyboardarbeit nicht mehr viel übrigbleibt. Interessanterweise haben die Musiker eine Art Gesichtsbemalung aufgetragen, und zwar eher flächig mit Kohlestift, aber jeweils nur in Teilen des Gesichts - welcher Sinn dahintersteckt, bleibt vorerst offen.
Optische Veränderungen gibt es auch bei Lightningz Edge: Der Sänger kommt nicht mehr wie vor einem reichlichen Jahr an gleicher Stelle mit Rockstarsonnenbrille auf die Bühne, sondern als eine Art Mixtur aus Dschinghis Khan und Zym aus "Conan 3D" verkleidet. Da nicht nur er einen Helm mit an asiatische Wildschafe erinnernden Hörnern trägt, sondern am Mikrofon auch noch ein Paar solcher Hörner befestigt ist, muß man fast Angst haben, auf der nicht sehr großen Bühne könne ein Musiker bei bewegungstechnischen Aktivitäten mit einem solchen Horn kollidieren - aber große bewegungstechnische Aktivitäten gibt es dann gar nicht zu vermelden, zumal Gitarrist Marcel auf seiner Seite sowieso ans Mikrofon für die Backings gebunden ist und die beiden anderen Saitenartisten auf ihrer Seite relativ gedrängt stehen. Lightningz Edge eröffnen mit dreimal altbekanntem Material wie "Magic Man" oder "The Dawn Of War" und schieben dann drei neue Songs nach, die einen Tick progressiver anmuten, aber trotzdem nachvollziehbar erscheinen. Kuriosum am Rande: Die Leipziger haben bekanntlich mal als Coverband angefangen, bevor sie sich auf Eigenkompositionen verlegten - von daher ist die Titelwahl der drei neuen Eigenkompositionen interessant: "Hollow Man", "Never, Neverland" und "Walls Of Jericho", wobei letzterer auch noch ein wenig wie alte Helloween zu klingen scheint, während zweiterer offenbar wenig mit Annihilator zu tun hat. Zum Schluß des Hauptsets kommt noch dreimal altbekanntes Material, darunter die Halbballade "Scanner" und als Setcloser natürlich der von den Bandkennern und -kennerinnen im Publikum frenetisch geforderte "Warriors"-Ohrwurm, den man auch bei noch problematischeren Klangverhältnissen herausgehört hätte. Problematisch genug bleibt der Sound trotzdem: Es geht sehr laut zu, und man hört den Gesang, die Drums und Teile der Leadgitarren deutlich heraus - der Rest, der aus den Boxen kommt, besteht aus einer wenig strukturierten Lärmwand, die für melodischen Power Metal natürlich arg suboptimal ausfällt und die einschränkenden Formulierungen im bisherigen Text erklärt - die neuen Songs sind in dieser Form praktisch unbewertbar, und daß trotz des scheinbar wieder sehr starken Leadgesangs einige Vokalarrangements arg schräg anmuten, kann daran liegen, daß noch eine zum Erschließen notwendige Melodielinie aus den Gitarren schlicht und einfach im Klangmulm verlorengegangen ist. Daß der Rezensent als bekennender HammerFall-Anhänger bis zum Refrain braucht, um die Zugabe "Hearts On Fire" zu erkennen, spricht bezüglich der Klangverhältnisse Bände. Die Enthusiasten und Enthusiastinnen vor der Bühne stört das nicht, und besonders die offenbar zum Bandumfeld gehörende dunkelhaarige Enthusiastin im kleinen Schwarzen mit den jedwede Bewegung eigentlich arg verkomplizieren müssenden High Heels fällt nochmal durch aufgezogenes Hinundherflitzen auf.
Mit Sängerin Alessandra steht dann bei Sailing To Nowhere ein mindestens ebenso reizendes Wesen auf der Bühne, allerdings im langen Schwarzen und dafür auch noch mit Pfennigabsätzen an den High Heels. Allerdings tobt sie nicht quer über die Bühne - dafür wäre bei sechs Musikern sowieso nicht genug Platz. Da Sailing To Nowhere auch mit einem Keyboarder (bzw. vielmehr einer Keyboarderin), aber nur mit einem Gitarristen arbeiten, bleibt die Planstelle des sechsten Musikers für einen weiteren Sänger übrig, und Marco ist auch der Hauptsänger, wobei Alessandra allerdings durchaus eigene Akzente setzt, auch vom Stimmkontrast her: Sie hält sich von klassischen Stimmlagen fern, sondern erinnert eher an Lee Aaron, Doro oder Marta Gabriel, während die Rolle des klassischen italienischen Tenors bisweilen ihrem Sangespartner zukommt, der somit auch ein gerüttelt Maß an Pathos ins Geschehen einbringt, generell allerdings ein bißchen mehr angerauht agiert als sein Dharma-Storm-Kollege. Sailing To Nowhere sind auf Tour, um ihr eigentlich schon gar nicht mehr ganz taufrisches Debütalbum "You Won't Dare" vorzustellen, spielen aber mit "Fight For Your Dreams" auch einen noch ziemlich neuen Song, der dann auf ihr zweites Album kommen soll. Auch sie gehören nicht zur Italospeedfraktion, sondern neigen eher zur progressiv angehauchten Variante, wobei sie es dem Nichtkenner ihres Materials mit dem Setaufbau schwermachen, sich vorzustellen, wie das Ganze auf Konserve strukturiert ist: Nach zwei metallischen Nummern kommt eine Halbballade, die aber in Blastbeats endet, und dann leitet Marco mit den Worten "Even in Metal, there's Love" einen fünf (!) Songs umfassenden Balladenblock ein, wobei der mittlere der Songs wieder metallisch zupackt, allerdings im Original ein Popsong von Anastacia war. Alessandra, die übrigens nicht fest zur Band gehört, sondern nur für die Tour eingesprungen ist, bestreitet den Gesang hier allein, und diese Aufgabe kommt im folgenden Song ihrem Sangespartner zu, außerdem auch noch fast a cappella, nur von wenigen Einsätzen von Drummer Giovanni unterstützt: Sailing To Nowhere trauen sich doch tatsächlich, Blind Guardians "The Bard's Song: In The Forest" zu covern, und das Publikum formuliert den Text natürlich gern mit, wobei Marco allerdings bisweilen tonartseitig etwas wackelt - es macht sich halt schon bemerkbar, ob man sich an Instrumentallinien orientieren kann oder eben nicht. Trotzdem hat der Mann definitiv Talent, und seine Mitstreiter und Mitstreiterinnen (übrigens ebenfalls allesamt mit schwarzer Schminke in Teilen der Gesichter, allerdings nicht flächig, sondern in Spinnennetzform) sind nicht weniger fähig, sofern man das beurteilen kann: Der Sound ist geringfügig leiser und dafür einen Deut klarer als bei Lightningz Edge, zumindest im regulären Set, welchselbiger nach dem besagten Balladenblock mit den wieder metallisch zupackenden "Fight For Your Dreams", "Sailing To Nowhere" und dem Albumtiteltrack "You Won't Dare" auf hohem Niveau beendet wird. Da gewisse Enthusiasten noch mehr hören wollen, das Sextett aber keine Stücke mehr in petto hat, spielt man kurzerhand den Opener und "Sailing To Nowhere" nochmal, leider bei nun wieder lauterem und noch verwaschenerem Klanggewand - speziell die Gitarrenarbeit ist so gut wie gar nicht mehr zu vernehmen. Diese Verhältnisse tropfen etwas Wermut in den ansonsten wohlschmeckenden italienisch-deutschen Musikbecher, an dessen Leerung beim nächsten Mal gern ein größerer Personenkreis teilhaben darf.

Setlist Sailing To Nowhere:
No Dreams In My Night
Big Fire
Fallen Angel
Lovers
Sweet Rain
Strange Dimension
The Bard's Song: In The Forest
N.N.
Fight For Your Dreams
Sailing To Nowhere
You Won't Dare
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No Dreams In My Night
Sailing To Nowhere



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