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von rls

BLIND GUARDIAN: Live   (Virgin)

Eine Dekade ist es her, seit der Japan-Mitschnitt "Tokyo Tales" als erstes offizielles Livealbum Blind Guardians veröffentlicht wurde. In der Zwischenzeit haben drei neue Studioalben das Licht der Welt erblickt, der Status und die Popularität der Band befinden sich auf einem Dauerhoch, und so erschien ein neues Livealbum reizvoll. Unter dem unprätentiösen Titel "Live" vereint es 22 Tracks auf zwei CDs. Mitgeschnitten wurde diesmal allerdings nicht nur ein komplettes Konzert (seinerzeit in Japan hatte man zwei Konzerte aufgenommen, aber letztlich fast ausschließlich Material von einem verwendet, da das andere spieltechnisch und stimmungsmäßig nicht ganz so perfekt war), sondern eine zweistellige Anzahl von Gigs während der Tour zum Album "A Night At The Opera". Wie bereits Manowar auf ihren Livealben aus den 90er Jahren hörten sich die Guardians dann durch das komplette Material und stückelten die gelungensten Versionen zu einem großen Ganzen zusammen, wobei man es in ordentlicher Weise schaffte, die unterschiedlichen Raumakustiken aufeinander abzustimmen und flüssige Übergänge zu schaffen, so daß tatsächlich das Feeling eines kompletten Konzertes entsteht.
Von der Setlist her bemühte sich die Band, alle sieben Studioalben zu berücksichtigen (welche Band mit einem solchen Backkatalog tut das sonst noch?), wobei auffällt, daß vom neuen Album gerade mal drei Tracks (und die aus den gleichen Sessions stammende, aber nur als Single-Backside veröffentlichte Ballade "Harvest Of Sorrow") vertreten sind, wohingegen "Imaginations From The Other Side", immerhin auch schon wieder acht Jahre alt, mit sechs Songs zwei Drittel seines Bestandes auffahren darf (und das restliche Drittel zwischenzeitlich auch wieder komplett in den Festival-Liveset zurückgekehrt ist). Ich bin also offensichtlich nicht der einzige, der dieses Album als die perfekte Kombination aus Eingängigkeit und Anspruch ansieht, als einen Klassiker des melodischen deutschen Speed Metal, den die Band seither nicht wieder hat übertreffen können und an dem sich auch zahlreiche andere Bands die Zähne ausgebissen haben (und noch ausbeißen werden).
Gehen wir durchs Programm: Das Intro "War Of Wrath" wird vom Publikum gleich mal mitgesprochen (es tun sich Parallelen zu Manowars "Warriors Prayer" auf) und geht in "Into The Storm" über, bevor man mit "Welcome To Dying" den ersten richtigen Klassiker auspackt. Blind Guardian-Publikum ist aber nicht nur sprech-, sondern auch sangesfreudig, und davon legt diese Livescheibe wieder mal ein besonderes Zeugnis ab, wenn eben der Refrain von "Welcome To Dying" fast im Alleingang intoniert oder im folgenden "Nightfall" auch mal Gitarrenlinien mitgesungen werden. Selbiges "Nightfall" zeigt die fragilere Seite der Band und besticht durch blitzartig eingeworfene Keyboardeinfälle, während mit dem folgenden "The Script For My Requiem" wieder der Speedhammer geschwenkt wird, und das auf aller-allerhöchstem Niveau. Die Chansonballade "Harvest Of Sorrow" fällt nicht besonders auf - sie ist nicht schlecht und durchaus kuschelkompatibel, erfüllt hier aber im wesentlichen nur den Zweck einer kleinen Ruhepause vor "The Soulforged", das mir wie andere der "A Night ..."-Tracks nach wie vor etwas zu austauschbar klingt, obwohl die deutlich basischeren Liveversionen aufgrund der notwendigen Beschränkung auf einige wenige Spuren etwas mehr Individualität für sich beanspruchen können, da logischerweise die Leitmotive und die Gesangslinien einen stärkeren Stellenwert bekommen. Hier ist es Andres sich plötzlich wiederkennbar und typisch durch weite Teile des Songs ziehende Leadgitarrenlinie, das "The Soulforged" in der Liveversion das gewisse Etwas verleiht, welches der Studioversion fehlte. Vielleicht sollten Blind Guardian in Zukunft ihre Alben nur noch live aufnehmen :-) Danach geht's zu einer Zeitreise in die frühen Jahre: "Valhalla" markiert den einzigen Beitrag vom "Follow The Blind"-Album und wird vom Publikum zwangsverlängert, indem dieses den Refrain einfach weitersingt, nur von Drummer Thomen akkompaniert. Genauso stürmisch gefordert bzw. gefeiert wird der Debüttrack "Majesty", den die Band vor über einer Dekade schon mal aus der Setlist gekickt hatte, aber aufgrund massiven Fandrucks noch vor der erwähnten Japantour wieder ins Programm aufnahm und gut daran tat, handelt es sich doch um ein eindrucksvolles Exempel, daß die Band auch schon 1987 wußte, daß sich Eingängigkeit und Anspruch nicht gegenseitig ausschließen müssen (auf dem bandeigenen Festival 2003 hat man zudem auch noch "Run For The Night" ausgebuddelt, wohingegen ich mich freuen würde, bei Gelegenheit mal wieder "Follow The Blind" zu hören). Die letzten knapp 13 Minuten der ersten CD gehören dann wieder "Imaginations"-Material, nämlich "Mordred's Song", dessen Refrainzeile "I'll turn off the lights and murder the dawn" in puncto einfach und doch gewählt ausgedrückter Düsternis von keinem Black Metaller je übertroffen wurde, sowie der erneut hochanspruchsvollen Abrißbirne "Born In A Mourning Hall". Was für ein Songbeginn! Welche Spannungsexplosion in der gitarrenmelodischen Auflösung! Was für ein Refrain!
CD 2 startet mit "Under The Ice", ein neuer Track, der aber schon auf der CD durch etwas höheren Wiedererkennungswert positiv aus dem Rahmen fiel und demzufolge keine überraschende Statussteigerung verbuchen kann wie "The Soulforged". Der Refrain ist und bleibt allerdings das Beste an diesem Stück. Was dagegen wahre Guardiansche Individualität ist, demonstriert das meist schleppende und bis ins letzte Detail ausziselierte "Bright Eyes", dessen Wirkung sich noch dadurch verstärkt, daß es eben zwischen den beiden neuen Tracks "Under The Ice" und "Punishment Divine" (auch letzterer noch einer der besseren der neuen CD) plaziert wurde. Nach "Punishment Divine" allerdings regnet es nur noch Highlights. "The Bard's Song (In The Forest)" intoniert das Publikum wie gewöhnlich fast im Alleingang, auch wenn die hier verewigte Version der Akustikballade in puncto Gänsehauterzeugung nicht ganz mit der Düsseldorfer Version, die auf "The Forgotten Tales" verewigt wurde, mithalten kann. Von der generellen Herangehensweise zeigen sich wiederum Parallelen zu Manowar (bei der Liveaufnahme des ersten Teils von "Herz aus Stahl", gleichfalls vom Publikum allein intoniert, war ich in Chemnitz anno 1998 höchstselbst anwesend - Joey deMaio wußte sicher nicht, wovon er sprach, als er Chemnitz als "crazy fuckin' Stadt" bezeichnete :-)), aber die Guardians haben sich den Luxus gegönnt und die dreieinhalb Minuten Szenenapplaus nach dem Song in voller Länge auf der CD gelassen. Ehre, wem Ehre gebührt! "Imaginations From The Other Side" räumt zum Schluß des regulären Teils noch einmal völlig ab (auch hier bleiben zweieinhalb Minuten Finalapplaus dran), bevor es in den gleichfalls sehr stark besetzten Zugabenblock geht. Diesen leitet "Lost In The Twilight Hall" ein, bevor bei der ekstatischen Ballade "A Past And Future Secret" wieder Feuerzeuge geschwenkt werden dürfen. Obwohl das Auditorium anschließend "Mirror Mirror" fordert, intoniert die Band zunächst "Time Stands Still At The Iron Hill", einen der besseren Songs von "Nightfall In Middle-Earth". "Journey Through The Dark" stellt neben dem "Bard's Song" den einzigen weiteren Beitrag von "Somewhere Far Beyond" (zu meinem Leidwesen grub man den Titeltrack erst wieder fürs bandeigene Festival aus), "Lord Of The Rings" setzt letzte Kuschelenergien frei, bevor "Mirror Mirror" den Vorhang nochmals mit kompromißloser Härte und trotzdem ausgeprägter Melodiosität lüftet und ihn anschließend nach reichlich 130 Minuten endgültig fallen läßt. "Live" ist ein hervorragendes, wenn auch nicht ganz perfektes, aber trotz der Zusammenschnippelungen ehrlich wirkendes Dokument einer hart arbeitenden Band, die sich ihren Erfolg redlich verdient hat. Über die Gefahren der neuen Alben und auch der Weiterarbeit habe ich mich ja schon im CD-Review zu "A Night At The Opera" ausgelassen, weshalb ich das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen möchte.
Kontakt: www.virgin.de, www.blind-guardian.com

Tracklist:
CD 1
War Of Wrath
Into The Storm
Welcome To Dying
Nightfall
The Script For My Requiem
Harvest Of Sorrow
The Soulforged
Valhalla
Majesty
Mordred's Song
Born In A Mourning Hall

CD 2
Under The Ice
Bright Eyes
Punishment Divine
The Bard's Song (In The Forest)
Imaginations From The Other Side
Lost In The Twilight Hall
A Past And Future Secret
Time Stands Still At The Iron Hill
Journey Through The Dark
Lord Of The Rings
Mirror Mirror




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