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Accept, Reds'Cool   19.05.2015   Leipzig, Werk II
von rls

Der vorgelagerte Termin des Rezensenten hat länger gedauert als geplant, und so trifft er erst im Werk II ein, als die Vorband bereits spielt. The New Roses, die mal angekündigt waren, sind das aber nicht, denn die würden als Deutsche wohl kaum englische Ansagen machen. Trotzdem klingt die Band so deutsch, wie nur irgendwas deutsch klingen kann - äußerst kompakter Hardrock klassischer Prägung mit gelegentlichem Teutonenmetaleinschlag und ganz seltenem Gitarrengequietsche, das zeigt, daß wir nicht mehr 1985 schreiben, ertönt da von der Bühne, dargeboten von einer optischen Patchworkband aus einem klassischen Hardrockbassisten (mit offener Lederweste), zwei Gitarristen in Hawaiihemden, einem Drummer, der optisch auch in jede Teutonenmetalband gepaßt hätte, sowie einem langmähnigen Sänger, der auch den Aktivposten auf der Bühne darstellt und mit seiner leicht angerauhten Stimme durchaus zu überzeugen weiß. Das Material reizt den Terminus Midtempo bis zum Äußersten aus und variiert diesen nur geringfügig, während der klare Sound dafür sorgt, daß man auch dramaturgische Schwächen wie in "Killing Floor", als das eigentlich vielversprechende und scheinbar zu Höherem hinführende Solo sang- und klanglos abgewürgt wird, deutlich wahrnehmen kann. Die Hymne "Stranger's Eyes" gerät zum stärksten Song des ansonsten eher durchschnittlichen und somit auch nur mit wenig mehr als Höflichkeitsapplaus bedachten Sets der Band Reds'Cool, wie sich im letzten Song herausstellt - und die sind in der Tat keine Deutschen, sondern Russen. Nicht Bäh, nicht Mäh, könnte man Kirill Njemoljajew von Boney Njem jetzt zitieren, und auch dem Rezensenten würden problemlos 20 russische Bands einfallen, die er an dieser Stelle lieber gesehen hätte, obwohl Reds'Cool ganz sicher nicht schlecht sind und wohl auch mehr können, als sie an diesem Abend zeigen.
Nach der sehr geschmackvoll überbrückten Umbaupause (unter diverse Styx-Werke mischen sich u.a. Deep Purple und Foreigners "Juke Box Hero") stellt sich dem Rezensenten die Frage, was die runderneuerten Accept bringen - er hat die Band letztmalig 1996 auf der damaligen Abschiedstournee Udo Dirkschneiders live erlebt, die Besetzung mit Mark Tornillo am Mikrofon, die seit mittlerweile drei Alben arbeitet, also noch nicht auf der Bühne gesehen. Dazu kommen aktuell aber noch zwei andere Umbesetzungen, denn Drummer Stefan Schwarzmann und Gitarrist Hermann Frank konzentrieren sich jetzt eher auf die austauschbaren Panzer, statt dessen sind jetzt Gitarrist Uwe Lulis (Ex-Grave Digger) und Drummer Christopher Williams (ein im Traditionsmetalbereich völlig unbeschriebenes Blatt, bisher eher in moderneren Gefilden unterwegs gewesen) an Bord. Und diese beiden machen ihre Sache an diesem Abend so gut, daß so mancher Anwesende den Wechsel vielleicht gar nicht bemerkt hat, zumal weder Tornillo noch Hoffmann in ihren Ansagen auf diese Personalie eingehen. Mit "Stampede" eröffnet einer der starken Tracks des aktuellen Albums "Blind Rage" den Set, gefolgt vom "Stalingrad"-Titeltrack, der wohl stärksten Accept-Nummer der Tornillo-Ära. Spätestens hier hat die Truppe gewonnen und auch den letzten Anhänger im gut ge-, aber nicht überfüllten Saal erreicht - das Publikum bildet einen großen Chor, singt auch die sowjetische Nationalhymne fehlerfrei mit und ist allgemein bester Stimmung, was sich mit "Hellfire" (auch von "Stalingrad") und dem neuen "200 Years" auch nicht ändert. Dann kommt der erste Oldie - und der stellt eine gewisse Überraschung dar: Wann ist "Losers And Winners" (vom "Balls To The Wall"-Album) schon mal in Leipzig von einer Bühne erklungen? Gut, die Frage beinhaltet ein rhetorisches Element, denn am 7.5.2010 gab's ihn in der Moritzbastei - allerdings in der Lounge-Metal-Version von Hellsongs, damals kultig angesagt mit "Udo Dirkschneider ist Liebe", und bei den Gigs in den Neunzigern dürfte er auch im Set gestanden haben. Also schnell weiter im Raritäten-Reigen: "Starlight" vom "Breaker"-Album, "Demon's Night" von "Restless And Wild" - und irgendwann beginnt sich der DDR-Metaller, der sich im primären Direktzugriff mit der Schaffensperiode der Neunziger am intensivsten auseinandergesetzt hat, zu fragen, ob vielleicht auch diese drei Studioalben noch einen Beitrag stellen. Kaum gedacht, schon erfüllen Accept diesen Wunsch, und "Bulletproof" kommt von der Bühne geschallt, wie fast alle seine Vorgänger und Nachfolger bei exzellent klarem, wenngleich sehr lautem Soundbild; lediglich im Opener "Stampede" stand Tornillo noch ein wenig zu sehr im Hintergrund, was aber ab "Stalingrad" behoben ist. Ach ja, der Mann ist keine Dirkschneider-Kopie - aber er ist wiederum nicht so weit von Dirkschneider entfernt, daß man sich kopfschüttelnd abwenden müßte, und ähnlich wie das Original hat auch er mittlerweile einige Probleme bei den höheren Schreien, überzeugt aber in den etwas tieferen Lagen ohne Wenn und Aber. Und da sind ja auch noch seine Mitmusiker als Chorverantwortliche, wobei auch Lulis in diese Funktion eingebunden ist. So richtig integriert wirkt er noch nicht immer, aber Hoffmann überläßt ihm einige Leads, und Baltes' normale Position ist auf seiner Seite verortet, nicht auf der Hoffmanns. Als weitere Überraschung aber noch "Rebellion (The Clans Are Marching)" auszupacken verkneifen sich Accept allerdings, obwohl das gar nicht mal so uninteressant wäre, diesen Song mal in ihrer Fassung zu hören. Aber es gibt genügend anderes Hochklassiges, etwa das sehr druckvolle "Final Journey" als wohl besten "Blind Rage"-Beitrag oder den "Restless And Wild"-Titeltrack - ganz auf ihre Klassiker des deutschen Achtziger-Traditionsmetals können und wollen Accept natürlich nicht verzichten, und so endet der reguläre Set natürlich mit "Fast As A Shark". Aber symptomatisch für das neue Selbstbewußtsein der Band schieben die Solinger (wohnt von der aktuellen Besetzung eigentlich noch jemand dort???) in den Zugabenblock zwischen "Metal Heart" und "Balls To The Wall" eben noch "Teutonic Terror" vom 2010er Comeback "Blood Of The Nations", und sie gewinnen auch damit. In nicht mal zwei Monaten Abstand liefern sowohl U.D.O. als auch Accept in Leipzig starke Gigs ab - was will man als Traditionsmetalanhänger mehr?



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