www.Crossover-agm.de DEEP PURPLE: Now What?!
von rls

DEEP PURPLE: Now What?!   (Ear Music)

Acht Jahre nach dem letzten Studioalbum "Rapture Of The Deep" raffen sich Deep Purple tatsächlich nochmal auf, abermals ein Studio zu entern, um die Konzertsetlisten mal wieder etwas zu "refreshen", wie Bassist Roger Glover so schön meint. Dieses Ziel jedenfalls ist problemlos erreicht worden: Sollten Deep Purple jemals auf die Idee verfallen, eines ihrer Alben komplett auf die Bühne zu bringen, so wäre "Now What?!" problemlos zu diesem Zweck heranziehbar, auch wenn sich dann wieder die Hälfte des Publikums beschweren würde, weil neben der reichlichen Stunde "Now What?!"-Material gar nicht mehr so viele Klassiker Platz hätten. Aber warum eigentlich? Klar, man geht mit einer gewissen Erwartungshaltung in ein Deep-Purple-Konzert - aber wären die dreizehn neuen Songs vier Jahrzehnte früher erschienen, man würde sie heute für Klassiker halten und sich beschweren, tauchten sie nicht im Liveset auf oder seien sie dort arg unterrepräsentiert. Die Basisfassung des Albums enthält dabei elf Songs, der dem Rezensenten vorliegende Digipack zwölf (plus eine Bonus-DVD) und die sogenannte Gold-Edition, im unschönen Stil erst etliche Monate nach dem Originalrelease herausgekommen, alle dreizehn plus eine Zwölf-Track-Live-CD. Und je länger man sich durch die neuen Studiosongs hört, umso breiter wird das Grinsen: Deep Purple haben nicht etwa eine schwermütige Bluesrock-CD eingespielt (wie man angesichts des Todes von Co-Gründer Jon Lord, dem das Album gewidmet ist, hätte mutmaßen können) und quälen sich auch nicht durch zahnlosen Altherrenrock, sondern haben ein blitzsauberes, frisches und knackiges Hardrockalbum eingezimmert, wobei der packende Touch wohl nicht zuletzt auf die unüberhörbare Spielfreude zurückzuführen ist, an der wiederum Produzent Bob Ezrin einen markanten Anteil hatte: Er ließ die Band die Basictracks gemeinsam einspielen und rekonstruierte damit das alte Feeling einer Band anstelle von fünf Einzelmusikern. Auch der neue Keyboarder Don Airey fügt sich prächtig ein - so neu in der Band ist er ja nun auch wieder nicht mehr, aber "Now What?!" markiert seine erste Studioaufnahme mit Deep Purple, und sowohl Kollege Georg Lögler als auch der Rezensent konnten sich ja bereits von seinen Livequalitäten überzeugen. Aber all das würde natürlich nichts nützen, wenn die Songs als solche nichts taugen würden. Wie bereits angeklungen, kann allerdings Entwarnung gegeben werden: Deep Purple können sich sogar erlauben, mit "A Simple Song" ein den unvorbereiteten Antester eventuell eher verwirrendes Stück an den Anfang der CD zu stellen. Hier singt Ian Gillan, der übrigens für seine knapp 70 Jahre bestens bei Stimme ist, nämlich lange Zeit relativ entspannt zu sanfter instrumentaler Begleitung, bevor sich nach zwei Minuten dann doch noch ein fetter Midtempo-Hardrocksong entwickelt, dessen Mitreißqualitäten ihn gleich zu einem der besten des Albums machen. Aber "Weirdistan" und "Out Of Hand" fallen kaum ab, bevor "Hell To Pay" das Tempo anzieht, im Intro ganz kurz "I Surrender" von Rainbow zitiert und zum energietechnischen Höhepunkt des Albums wird, in dem sich ein furioses Hauptsolo entspinnt, das gewissermaßen eine Studioübertragung live improvisierter Gitarre-Keyboard-Duelle darstellt. "Blood From A Stone" wiederum zeigt, daß Deep Purple auch das Metier entspannten, aber in gewissen Momenten dann doch aufbrausenden angebluesten Rocks nach wie vor beherrschen (lediglich das Finale mutet etwas seltsam an, wie nicht ganz zu Ende geführt), während "Above And Beyond" mit seiner eröffnenden Themenkaskade ein Instrumentalstück antäuscht, bis Gillan nach geraumer Zeit doch noch zu singen beginnt und die Themen dann z.B. im Hauptsolo wieder auftauchen und durch den Fleischwolf gedreht werden. Weil dieses Stilmittel der Band so gut gefallen hat, kommt es in "Uncommon Man" gleich nochmal vor, hier in Form eines zweiminütigen sphärischen Dialogs von Airey mit Gitarrist Steve Morse, bevor die komplette dritte Minute für eine große Steigerung draufgeht, die schließlich in einem fanfarenartigen Keyboardthema Aireys mündet, worauf sich abermals klassischer Midtempo-Hardrock entspinnt, der als Ganzes auch auf einem Ten-Album stehen könnte (und man erinnere sich, daß Airey deren "Babylon"-Meisterwerk mit eingespielt hat), auch wenn das Hauptsolo so typisch Deep Purple ist, wie nur irgendetwas typisch Deep Purple sein kann (man höre genau auf die leisen Orgelklänge an seinem Beginn!). "Après Vous" läßt mit seinem furiosen Intro zwar einen abermaligen Speedkracher erhoffen, aber diese Erwartung wird enttäuscht, indes durch neuerlich starken Midtempo-Hardrock mit brillantem Hauptsolo und gelegentlichem leichtem, bei Purple eher seltenen spacigen Touch mehr als kompensiert. Das entspannte und kompakte, mit einer Steel Guitar ein weiteres im Bandkontext eher seltenes Element auffahrende "All The Time In The World" wiederum wurde als Single ausgekoppelt, da man sich offensichtlich von ihm die größten Chancen auf Airplay erhoffte, auch wenn Deep Purple nach wie vor erstens weit davon entfernt sind, eine Band zu sein, die sich über ihre Singles definiert, und auch der Americana-Touch viel zu dezent ist, um über ihn etwa solche Stationen zu knacken, die den Hardrockern sonst eher wenig wohlgesonnen sind. Das macht den Song als solchen natürlich nicht schlechter, auch wenn dem Rezensenten persönlich die dramatischeren Werke auf dem Album besser gefallen, etwa das mit feistem Orgelbombast und Chorsamples aufwartende "Vincent Price", das die reguläre Albumversion abschließt und auch bei Ozzy Osbourne nicht deplaziert gewesen wäre. "It'll Be Me", im Original von Jack Clement, setzt auf der Digipackversion einen völlig anderen Schlußpunkt, nämlich klassischen Rock'n'Roll mit dem typischen hämmernden Piano, den die Band natürlich genauso aus dem Effeff beherrscht.
Die Bonus-DVD beginnt mit einem 20minütigen, in die acht Kapitel "Bob Ezrin", "Recording in Nashville", "The Songs on NOW What?!", "Who Now!?", "Rock And Roll And New Technologies", "The Audience Is Listening", "Are You A Legend?!" und "It's Alive!" unterteilten und in Berlin (wo übrigens auch die Bandfotos entstanden) aufgezeichneten Interview, das alle fünf Mitglieder bestreiten (und es dürfte Zufall sein, daß Airey hinter den vier anderen Mitgliedern sitzt, weil sonst die Kamera zu weit hätte schwenken müssen) und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern, was etwa die Entscheidungsstrukturen bei der Studioarbeit angeht. Alle fünf sind offensichtlich bei bester Laune und berechtigterweise auch stolz auf das Geschaffene, das immerhin das beste Deep-Purple-Studioalbum seit Ewigkeiten darstellt. Daß die Band keineswegs nur für ewiggestrige Altrocker interessant ist, zeigt die Anekdote über ein Konzert in Moskau, bei dem das Gros des Publikums jünger als 20 Jahre gewesen sein soll - aber fortschrittshörig sind die Bandmitglieder nun auch wieder nicht, wie Ian Paice erzählt, der das Entdeckungsgefühl einer Band bzw. ihres neuen Materials vermißt, wenn man heute mit drei Mausklicks alles vorher anchecken kann. Der restliche DVD-Inhalt kommt ohne bewegte Bilder aus, sondern ist als "Bonus Audio Content" gekennzeichnet. Da hätten wir zunächst den "Alternative Radio Mix" von "All The Time In The World", den man früher als "Radio Edit" bezeichnet hätte und der beispielsweise des simplen, aber schönen Gitarrenthemas zu Beginn beraubt wurde. Er fungiert übrigens auch als Menü-Musik für die ganze DVD, und sein Singlecover prangt auch neben den Titelangaben für die beiden Livetracks unbekannter Herkunft. Die hier verewigte Fassung von "Perfect Strangers" jedenfalls dürfte nicht mit derjenigen auf der "Gold Edition" identisch sein, da das dortige Material dem Vernehmen nach erst auf der Tour zum "Now What?!"-Album mitgeschnitten worden ist. Die interessanten Dissonanzen am Ende des Orgelintros kennt man allerdings bereits von früheren Touren mit Don Airey, und Ian Gillan ist über weite Strecken gut bei Stimme, wird nur gegen Songende hin etwas kurzatmig und repetiert in der Absage den alten Witz von den "Perfect St. Rangers", den man beispielsweise schon von den Knebworth-Festival-Mitschnitten aus den Mittachtzigern kennt. Morse wiederum spielt viele Leads und Licks, so daß die Riffpower etwas verlorengeht. Das ist in "Rapture Of The Deep" kein Problem, denn dieser Song (der bei den Livemitschnitten der "Gold Edition" nicht dabei ist) lebt sowieso von den orientalischen Skalen, die schon im Orgelintro die Marschrichtung vorgeben. Gillan übernimmt dieses Thema später sogar als Vokalise und greift letztlich wieder mal zum Schellenkranz, wobei im Songfinale er und alle Melodieinstrumente bei der Wiedergabe des Hauptthemas vereint agieren. Wäre der Song in dieser Form auch noch auf der "Gold Edition", deren Erwerb würde vollkommen genügen, aber so ist man mal wieder gezwungen, mehrfach ins Portemonnaie zu greifen, will man das Gesamtwerk besitzen. Aber schon allein die Basisversion liefert genügend Argumente, um sich nicht nur eines der besten Deep-Purple-Alben seit der 1984er Reunion, sondern auch eines der stärksten Hardrockalben der jüngeren Vergangenheit ins Regal zu stellen.
Kontakt: www.ear-music.net, www.deep-purple.com

Tracklist:
CD:
A Simple Song
Weirdistan
Out Of Hand
Hell To Pay
Bodyline
Above And Beyond
Blood From A Stone
Uncommon Man
Après Vous
All The Time In The World
Vincent Price
It'll Be Me

DVD:
In Conversation
All The Time In The World
Perfect Strangers
Rapture Of The Deep
 




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