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Deep Purple + Neue Philharmonie Frankfurt, The Kordz   23.07.2011   Dresden, Filmnächte am Elbufer
von rls

Neben - nomen est omen - Kinovorstellungen beinhalten die Filmnächte am Elbufer in Dresden auch ein Konzertprogramm. Die Location ist unvergleichlich: Man steht entweder ebenerdig oder auf Tribünen (einige Sitzplätze gibt's auch) am Neustädter Elbufer und blickt von dort aus auf die Bühne und über diese und die Elbe auf die Altstädter Seite, wo die ganzen klassischen Erhebungen der Dresdner Elbsilhouette von der "Zitronenpresse" der Kunstakademie über Frauenkirche und Schloßkomplex bis zur Semperoper aufgereiht sind. Und wenn dann noch das Wetter stimmt - an diesem Abend ist es für Juliverhältnisse zwar viel zu kühl, aber trocken und nach Auflösung einiger letzter Wolken im Laufe des Nachmittags und Abends sogar noch sonnig; nur der Wind stört den Klanggenuß etwas, indem er auf dem Weg von den Boxen zum Zuschauer manche Klangwelle durcheinanderwirbelt -, steht einem gelungenen Abend zumindest von den Rahmenbedingungen her erstmal nichts im Wege.
Als Opener dürfen sich The Kordz der deutlich mitte-vierstelligen, aber schwer zu schätzenden Besucherschar vorstellen, und angesichts der Tatsache, daß kaum ein Besucher vorher mit ihnen vertraut gewesen sein dürfte, ist das erstmal keine leichte Aufgabe. Aber man staunt Bauklötze, wie gut The Kordz vor Deep Purple passen, und das aus einem musikstrukturellen Grund: Bekanntlich hatte ja Ritchie Blackmore einen entscheidenden Schritt für die Integration nahöstlicher Skalen in die Rockmusik getan, wenngleich nicht in seiner Zeit mit Deep Purple, sondern bei Rainbow - die Rede ist natürlich von "Gates Of Babylon", das in den Folgejahrzehnten als Blaupause für zahllose ähnlich geartete Tracks diente. Mit The Kordz kommt nun aber eine Band daher, die diese Integration aus gewissermaßen natürlichen Gründen vollzieht - das Sextett stammt aus dem Libanon und ist dort hochgradig populär. Vier der sechs Songs, die das Dresdner Publikum an diesem Abend zu hören bekommt, enthalten deutliche Einflüsse arabischer Skalen, zumeist in den Gitarrenläufen, aber nicht selten auch in den Keyboards (das ganze Solo im groovigen "The End" ist eine einzige Liebeserklärung an die heimatlichen Klänge) oder im Gesang, wobei der Sänger im Setcloser das Publikum so weit um den Finger gewickelt hat, daß es mit Gitarrenunterstützung mantraartig arabische Melodien mitsingen kann. Ob es freilich Gründe hatte, daß die beiden Songs, bei denen man vordergründig keine solche Melodik heraushören konnte, gerade die beiden Balladen des Sets waren, muß einer ausführlicheren Analyse des Studiomaterials vorbehalten bleiben. Eine der beiden, "The Garden", wird jedenfalls als der erste Song angesagt, den die Band je geschrieben hat - vielleicht traute sich der Sechser damals diese Verschmelzung noch nicht und wurde erst mit fortschreitender Bandexistenz selbstbewußter. "Save Us", der andere halbballadeske Song, entwickelt sich allerdings zum größten Trumpf des Sets, zeigt den Sänger wie die Instrumentalisten hochgradig gefühlvoll und taucht das ganze Auditorium in ein warmes Licht, wie es auch real seine Tupfer an die Fenster und Wetterhähne der gegenüberliegenden Elbseite setzt. Nur der Wind stört wie bereits erwähnt etwas den Hörgenuß, indem er Fetzen des klaren und druckvollen Sounds immer mal wegbläst, so daß das Ganze bisweilen an eine unregelmäßig leiernde Kassette erinnert. Das macht freilich nichts - das Publikum läßt sich dadurch nicht stören und bedenkt die leicht angedüsterten libanesischen Hardrocker nach einer halben Stunde mit viel Applaus.
Bis Deep Purple beginnen, ist es schon so dämmrig geworden, daß die Lichtshow, die sich bei The Kordz auf ein paar Farbpunkte beschränkte, Wirkung entfalten kann. Auf der Bühne (die übrigens nach dem Abbau des Equipments von The Kordz nochmal gestaubsaugert wird, wofür der dafür verantwortliche Mensch vom gutgelaunten Publikum Szenenapplaus erhält) tummelt sich allerdings nicht nur die Band - man hat die Neue Philharmonie Frankfurt mitgebracht. Wer freilich auf eine Wiedergabe des Concerto For Group And Orchestra gehofft haben sollte, wird enttäuscht - die Klassikmusiker bestreiten die Ouvertüre im Alleingang (ihr Finale enthält diese gewissen drei Akkorde, die diesen gewissen Song vom "Machine Head"-Album einleiteten) und werden in einen guten Teil des restlichen Sets mit eingebunden, ohne allerdings große eigene Akzente zu setzen. Das liegt nicht zuletzt an der Abmischung, die im Opener "Highway Star" noch ein wildes Geboller mit unterschiedlichen Mischungsverhältnissen ergibt, später aber nachvollziehbarer wird, die Klassiker allerdings im Gesamtmix dorthin stellt, wo sie sich auch räumlich auf der Bühne befinden: nach hinten. Die Teppichlegerfunktion können die Streicher zwar noch gut erfüllen, aber von den Bläsern hört man nach "Highway Star" kaum noch was (Ausnahme: "Woman From Tokyo" - und prompt klingt das Hauptriff nach einer Extraportion Funk, wie man sie im Purple-Schaffen sonst nur aus der Ära Hughes kennt) und von den Percussionisten gar nichts mehr. Konzentrieren wir uns also lieber auf das, was die Band macht - und das ist über weite Strecken vom Feinsten. Über die begnadeten Instrumentalisten braucht man keine Worte mehr zu verlieren, bestens aufeinander eingespielt sind sie ein halbes Jahrzehnt nach dem letzten Personalwechsel natürlich auch, und sie haben auch im 43. Jahr der Bandexistenz sichtlich noch Freude an dem, was sie da zwei Stunden lang auf der Bühne tun. Knackpunkt einer heutigen Purple-Show ist sicherlich die Tagesform von Ian Gillan - aber der alte Fuchs legt eine Meisterleistung auf die Bretter. Klar, man hört ihm sein Alter und die gesunkene Stimmkraft deutlich an - aber das, von dem er weiß, daß er es nicht mehr erreichen kann, das versucht er eben gar nicht erst zu erreichen. "Child In Time" steht ja schon fast 20 Jahre nicht mehr im Set, an diesem Abend fehlt auch "Speed King", und gewisse Extreme in anderen Songs umgeht der Sänger eben einfach. Welchen Gestaltungsspielraum seine Stimme auch in dieser Form immer noch besitzt, verdeutlichen sein kleines Stimme-Gitarre-Duell mit Steve Morse am Ende von "Strange Kind Of Woman" oder aber der emotionale Ausbruch am Ende von "When A Blind Man Cries", ein lauter und langer, aber eben nicht hoher Schrei. Gespannt zu erwarten war, ob und, wenn ja, dann welche Überraschungen die Setlist aufweisen würde. Mit dem Titeltrack des immer noch aktuellen Studioalbums "Rapture Of The Deep" schafft es immerhin ein Track der "jüngeren" Vergangenheit in den Set, die Monumente "Knocking At Your Back Door" und "Perfect Strangers" (interessanter Tonartwechsel nach dem Orgelintro des letzteren!) markieren die Achtziger, der Rest stammt aus den alten Tagen, und da gibt's auch vier Überraschungen: "No One Came" zählt sicher nicht zu den Standards im Set, fällt indes auch nicht weiter auf. Da ist der Midtempo-Blues "Maybe I'm A Leo" schon markanter, zumal es im Set generell recht wenig Blues gibt und der Song mit Position 3 recht prominent plaziert ist. Noch weiter vorn, nämlich gleich an zweiter Stelle des Sets allerdings "Hard Lovin' Man" zu begegnen (in dessen Keyboardsolo Don Airey einen Lauf aus der Bach-Toccata BWV 565 einstreut) dürfte kaum einer der Zuschauer erwartet haben (es sei denn, man kannte die Setlisten der letzten Gigs dieser Sommertour oder hat z.B. in Georgs Review der letzten Hallentour gelinst), und besondere Freude kommt auf, als Aireys erster Keyboard-Solospot in "Lazy" überleitet, in dem Gillan zur Mundharmonika greift und einer der Orchestergeiger sich ein langes, zumindest teilweise improvisiertes Soloduell mit Steve Morse liefert - da lebt der alte Siebziger-Musikantengeist wieder auf und sprüht vor Tatendrang. In seinem Quasi-Solo "The Well-Dressed Guitar" hat Mose diese Spiellaune auch schon eindrucksvoll unter Beweis gestellt, während das andere Solo, das "When A Blind Man Cries" einleitet, durch viel Gefühl glänzt. Da will Don Airey nicht nachstehen - der gestaltet sein großes Keyboardsolo allerdings zum lustigen Motiveraten um, wobei das Spektrum von Ozzys "Mr. Crowley"-Intro (mit einem extrem fetten Orgelprinzipal!) über das markante Thema aus "Also sprach Zarathustra" und den etwas angejazzten Türkischen Marsch bis hin zur deutschen Nationalhymne reicht. Bei so viel Enthusiasmus stört es nicht, daß "Space Truckin'" diesmal keine 20 Minuten dauert, sondern mit seinem Mini-Solo in der Mitte fast amputiert wirkt. Und auch die Überleitung ins nachfolgende "Smoke On The Water" macht irgendwie einen komischen Eindruck, der Song selbst läßt allerdings erwartungsgemäß alle Dämme im Publikum brechen. Als Zugaben nachgeschoben werden "Hush" mit eingeschobenem Baßsolo Roger Glovers (nur echt mit Kopftuch!) und eine irgendwie seltsame Fassung von "Black Night", die ihre guten Momente hat, aber bei der dann doch irgendwie die Luft aus der Improvisations- und Zauberkunst raus ist. Aber das stört niemanden so richtig, man applaudiert den Hardrockpionieren herzlich, freut sich, sie nochmal in so guter Form gesehen zu haben, und begibt sich hochzufrieden auf den Heimweg.

Setlist Deep Purple:
Ouvertüre
Highway Star
Hard Lovin' Man
Maybe I'm A Leo
Strange Kind Of Woman
Rapture Of The Deep
Woman From Tokyo
Gitarrensolo
When A Blind Man Cries
The Well-Dressed Guitar
Knocking At Your Back Door
Keyboard-Solo
Lazy
No One Came
Keyboard-Solo
Perfect Strangers
Space Truckin'
Smoke On The Water
---
Hush
Black Night



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