BONEY NJEM: Krajnjaja Plot von rls (Isdatjelstwo Em I Njem)
Ein Schritt nach vorn, ein Schritt auf der Stelle und ein Schritt zurück: "Krajnjaja Plot", das 2005er Album von Boney Njem, bringt es fertig, all diese Zeitstellungen in sich zu vereinen. Zum einen gibt es Coverversionen von Acts westlicher Provenienz - das ist der Schritt zurück, denn mit solchen begann die Band einstmals in den Mittneunzigern ihre Karriere, fuhr ihren Anteil aber schrittweise immer weiter zurück, bis er auf dem Vorgängeralbum "Djen Pobedy" auf Null stand. Hier nun kommen wieder drei solche zum Vorschein. "Blue Canary" beginnt als finsterster Doom/Death Metal (allerdings nicht mit entsprechenden Vocals, sondern mit Kirill Njemoljajews typischem rauhem Gekreisch, so daß fast Parallelen zu Thergothon auftauchen, deren Ernsthaftigkeit allerdings schnell durch einen besoffen klingenden Hintergrundmännerchor unterminiert wird), schlägt aber nach einer Minute in eine für diese Band typische Hochgeschwindigkeits-Thrash-Parodie, in diesem Fall mit ein paar klassischen Powerspeed-Elementen versetzt, um. "I Saw You Dancing" hat etwas mehr hymnisches Feeling injiziert bekommen (natürlich fehlt auch der bandtypische Frauengesang nicht, den sich die bereits vom Vorgängeralbum bekannte Olga Dsusowa diesmal mit Anna Rudnizkaja teilt), und als Bonustrack beschließt Deep Purples "Child In Time" die nicht mal 40 Minuten der Platte. Zu diesem Song hegt Kirill ja eine besondere Affinität, hatte er ihn doch auch schon auf seinem Soloalbum "Komitscheskije Kupletij" verbraten, dort allerdings als angejazzte Liedermacherversion mit Posaune. Hier dagegen folgt einem spacigen Keyboardintro, das auch Klaus Schulze gut gestanden hätte, eine Umsetzung als gnadenloser Speed Metal, bei dem neben Maxim Samoswat von Epidemija auch der bekannteste Gastmusiker des Albums auftaucht: Kein Geringerer als Arija-Frontmann Artur Berkut steuert einen Teil der Leadvocals bei und verhilft der so schon gelungenen Umsetzung (die durch die Bongopercussion im Hintergrund noch den letzten Schliff erhält) endgültig zum Status "Meisterwerk". Als Schritt auf der Stelle darf die covernde Umsetzung russischen Liedgutes gewertet werden; mit dieser hatte die Band auf ihrem zweiten Album "Melodii I Ritmi Sarubeschnoi Estrady Vol. 2" schrittweise begonnen, bis "Djen Pobedy" dann ausschließlich aus solchen bestand. "Krajnjaja Plot" nun enthält "nur noch" zwei Songs dieser Sorte, zum ersten "Tschunga-Tschanga", das mit Akkordeon im Mittelteil zu fröhlichem speedlastigem Folkmetal umgestrickt wurde, und "Utsch-Kuduk", das nach einleitenden drei psychotisch-harten Minuten ebenfalls in hymnischen Melodic Speed umschlägt, in dem Kirills derbe Vocals wieder weiblich abgemildert werden. Damit bleiben für die dritte Kategorie, nämlich den Schritt nach vorn, noch neun Trackpositionen übrig: Boney Njem haben einen ähnlichen Weg wie J.B.O. eingeschlagen und erstmals einen Stapel Eigenkompositionen ausgepackt. Daß diese im bandtypischen wild vor sich hin eklektizierenden Stil gehalten sein würden, war abzusehen, und so fügen sie sich perfekt ins restliche Material ein, schrauben allenfalls den allgemeinen Härtegrad noch ein wenig höher, denn gleich der Opener "Wladimirskij Zentral (Elo Namerenno)" knüppelt sich in leicht elektronifiziert anmutender Grindcore-Manier durch die Landschaft und kommt mit weit unter einer Minute Spielzeit aus. Ähnliches gilt für "Ty Bjeremenna ...", während "Pomogi Mnje, DEZL!" und "Atas! Idjot WITAS!" einen anderen Weg einschlagen, nämlich den aus dem Intro von "Blue Canary" bekannten doomig-schleppenden, wobei zweitgenannter auch noch ein paar kleine Nu Metal-Anleihen enthält. "Kostroma Mon Amour" wiederum reflektiert Kirills Liebe zur deutschen Kultur, die er auf dem erwähnten Soloalbum auch schon mit dem Rammstein-Cover "Du Hast" unter Beweis gestellt hatte - hier manifestiert sie sich in einem gesprochenen deutschen Intro, bevor sich ein treibender bis schneller Thrash-Song mit leichten Nu-Tendenzen in den Strophen (nicht zuletzt durch die wabernden Hintergrundkeyboards bedingt) entwickelt. Noch "deutscher" fällt der "Saundtrek K K/F 'Pokrowskije Worota'" aus - ob es dazu wirklich einen Film gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich vermute eher nicht, denn der Song zeichnet sich dadurch aus, daß seine Vocals zu einem guten Teil aus gesprochenen Filmdialogen bestehen, deren Zusammenhang sich für den Nichtrussischkundigen nicht erschließen läßt, die allerdings von Kirill beispielsweise noch um eine Strophe von "Rosamunde" (ja, genau dem Song, an den man jetzt gerade denkt) erweitert wurden und mit den Worten "Alles kaputt" enden - Kult hoch drei! "Pei Wodku!" (die korrekte Übersetzung "Trink Wodka!" hat sicher auch der Nichtrussischkundige schon erahnen können) gibt es gleich in zwei Versionen, die sich allerdings nicht großartig voneinander unterscheiden; die erste ist einem mir apocryphen Ensemble "Diskoteka Awarija" (auch hier liegt die korrekte Übersetzung "Diskothek Havarie" nahe) gewidmet, die zweite als "Polnaja Wersija" ausgewiesen, was soviel wie "Vollversion" bedeutet, aber inhaltlich genauso große Fragezeichen hinterläßt wie ein ähnlicher Fall bei Kipelows "Reki Wremen". Aber solange die Musik Spaß macht, kann einem dieser Erkenntnisprozeß ja auch egal sein. "Krajnjaja Plot" ist jedenfalls vom Kultfaktor her ein gutes Stück höher als "Djen Pobedy" anzusiedeln, wie erwartet perfekt (manchmal eben auch perfekt daneben) eingespielt und daher rundum zu empfehlen. Die Thanksliste enthält neben einigen russischen Bands als letzten Eintrag die Schweden von Meshuggah - das paßt perfekt, denn wer sich Meshuggah als Parodieband vorstellen kann, der dürfte Boney Njem lieben.
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