www.Crossover-agm.de KIPELOW: Reki Wremen
von rls

KIPELOW: Reki Wremen   (Soundplus/CD-Maximum)

Eine Zeitlang konnte sich Waleri Kipelow nach der Trennung von Arija und der Formierung seiner eigenen, kurzerhand nach ihm benannten Band auf altem Songmaterial ausruhen, nämlich zum einen auf dem von Arija und zum anderen auf dem, das er zusammen mit dem ehemaligen Arija-Gitarristen Sergej Mawrin auf dem gemeinsamen Album "Stupnoje Wremja" veröffentlicht hatte, zumal Mawrin ja auch zur ersten Besetzung der Band Kipelow gehört und den Bassisten seiner Soloband, Alexei Charkow, gleich mitgebracht hatte, während die andere Hälfte der Instrumentalisten, Gitarrist Sergej Terentjew und Drummer Alexander Manjakin, gemeinsam mit Kipelow Arija verlassen hatten und in seine Soloband übergelaufen waren. Aber die Zeiten ändern sich; im Herbst 2003 verließ zunächst Terentjew die Band und wurde durch Andrei Golowanow (der bei Straik und Legion bereits Erfahrungen gesammelt hatte, wobei erstgenannte auch mit Arija bereits "verkoppelt" waren, denn sie waren auf dem Sampler "A Tribute To Arija" vertreten) ersetzt, und ein Jahr später ging auch der zweite Gitarrist Mawrin wieder seiner Solowege; erst 2006 wurde mit Wjatscheslaw Moltschanow Ersatz gefunden, der bei den Aufnahmen zu "Reki Wremen" anno 2005 also noch nicht mit dabei war. Statt dessen hatten Kipelow aber einen anderen Hochkaräter als "Vertretung" gefunden, nämlich Rage-Gitarrist Victor Smolski, der sowohl einen Großteil der Leads für die CD einspielte als auch live mit der Band zu erleben war. Allerdings hätte es der Schützenhilfe des Weißrussen Smolski vielleicht gar nicht bedurft, denn wenngleich die Soloarbeit natürlich vom Feinsten ist, so würde sie ohne das songwriterische Fundament nichts nützen, und in dieser Hinsicht ist Kipelow und seinen Mannen eine bärenstarke Leistung geglückt, denn die neun neuen Songs wissen ausnahmslos zu überzeugen, stellen erstklassigen melodischen Power Metal zur Debatte, der zudem deutlich macht, daß es nicht Kipelow war, der die starken Iron Maiden-Einflüsse ins Arija-Songwriting eingebracht hat, denn solche sind hier nahezu überhaupt nicht zu finden. Statt dessen erinnert ein fast doomiger Stampfer wie "Prorok" bisweilen an das völlig unterschätzte "Ozzmosis"-Album von Ozzy Osbourne, auch "Matritschnij Bog" hätte keinesfalls nur vom Riff her auf diesem Album Platz gefunden, und überhaupt orientiert sich Golowanow bisweilen ein wenig an der Gitarrenarbeit von Zakk Wylde, selbst der Gitarrensound stimmt an manchen Stellen überein. Witzigerweise sind Mix und Mastering aber keineswegs in einem sündhaft teuren internationalen Studio gefahren worden, sondern - vermutlich auf Smolskis Empfehlung hin - in Deutschland, in den Gernhart Studios nämlich, und daß man dort eine glasklare und fette metallische Produktion hinbekommt, weiß der Kenner spätestens seit den Alben von Personal bzw. Perzonal War. Alle Beteiligten geben hörbar ihr Bestes, und das ist bekanntermaßen nicht wenig - das Ergebnis spricht dann diesbezüglich Bände. Auch wenn man den einen oder anderen Song vielleicht geringfügig hätte straffen können (den Hang zu langen Songs kennt man schon von "Stupnoje Wremja"), kommt doch zu keinem Zeitpunkt richtig Langeweile auf. Eine komplette Ballade haben sich Kipelow übrigens verkniffen, lediglich "Ja Sdjes" pendelt gekonnt zwischen balladesken und harten Parts hin und her, und "Nawaschdenje", das ebenfalls einige schöne Akustikparts eingeflochten bekommen hat, wiederum stellt die stärksten Bezüge zu "Stupnoje Wremja" her, denn durch die gelegentlich eingeworfenen abgedrehten Keyboardeffekte im Mittelteil wird man bisweilen an "Castlevania" erinnert. Sieht man von der Teppichbildung in "Ja Sdjes" und gelegentlichen Tupfern in anderen Songs, etwa gleich im Intro von "Na Rasputje" oder unter dem Refrain des Titeltracks, ab, verzichten Kipelow übrigens auf den Keyboardeinsatz und erzeugen lieber mit anderen Stilmitteln eigentümliche Wirkungen - man höre sich etwa mal die verfremdete erste Hälfte des Hauptsolos von "Ja Sdjes" an. Der Titelsong stellt eine große angezähte Hymne dar und dürfte sich vermutlich schnell in der Live-Unverzichtbar-Liste wiederfinden, während die treibend-schnellen Parts von "Nawaschdenije" das obere Ende der Geschwindigkeitsskala markiert haben, Kipelow sich also vom Speed komplett fernhalten und die der CD den Titel verleihenden Ströme der Zeit etwas langsamer an sich vorüberfließen lassen, was als Symbol einer wenigstens ansatzweisen Entschleunigung in manchen Bereichen des Lebens durchaus begrüßenswert erscheint, zumal niemand in Gefahr gerät, hier etwa Energie und Power vermissen zu wollen - das hier ist also Power Metal im eigentlichen Sinne des Wortes. Das reguläre Album wird von "Prisratschnij Wswod" an Trackposition 9 auf gewohnt hohem Niveau abgeschlossen, und nun beginnt der irrationale Teil der CD. Schaut man auf der Bandhomepage nach, so ist dort das Album mit ebenjenen neun Songs als Release des Labels CD-Maximum angegeben, ich aber habe die "Poljana Wersija" des Labels Soundplus, und die ist bookletseitig anders (im Sinne von sparsamer und nahezu informationslos) ausgefallen, enthält dafür aber fünf bis sechs zusätzliche Tracks. Der Hintergrund der Angabe "fünf bis sechs" ist eine Divergenz zwischen den Angaben in der Tracklist und den tatsächlich auf die CD gepreßten Titeln, die wir der Reihe nach auflösen müssen. Track 10 ist laut Tracklist "Wawilon", also der Titeltrack der 2004er Single, von der ich ja auch schon eine "aufgefüllte" Version besitze und reviewt habe - hier stimmen Tracklist und Pressung von "Reki Wremen" noch überein, und die Ergänzung dieses Tracks macht auch Sinn, weil man so das komplette neue Schaffen Kipelows auf einer Scheibe zusammengefaßt bekommen kann, zumal es sich ohrenscheinlich um die Singleversion handelt, also keine Neueinspielung erfolgt ist. Danach wird's skurril: Die Tracklist weist "Antichrist" (einen Song vom 1991er Arija-Album "Krow Sa Krow") an Position 11 aus, real zu hören sind unter dieser Tracknummer aber gleich zwei Songs, nämlich zum einen "Sakat" (eine um sämtliche Publikumsäußerungen bereinigte Version der "Putj Nawerch"-Liveaufnahme) und danach "Wstan, Strach Preodoljei" in der instrumentalen Pseudo-Liveversion, die als Bonustrack auch schon auf "Putj Nawerch" zu hören war und die original auf dem "Dalnoboistschiki 2"-Computerspielsoundtrack von Arija stand, womit es zur eigentümlichen Kombination kommt, daß hier Material zu hören ist, das original nur eines der derzeitigen Kipelow-Mitglieder mit eingespielt hat, und zwar Trommler Manjakin (Terentjew ist ja nicht mehr mit dabei, und Kipelow selbst wurde für die Instrumentalversion logischerweise auch nicht gebraucht). An Position 12 nennt die Tracklist "Bespetschnij Angel", und das Golden Earring-Cover ist tatsächlich auch zu hören, wiederum in der "Putj Nawerch"-Liveversion. Track 13 soll laut Tracklist "Swet Dnewnoi Issjak" sein, einen Song, den ich herkunftsseitig gerade nicht lokalisieren kann, real erklingt aber statt dessen "Probil Tschas", die starke Coverversion von Manowars "Return Of The Warlord", die der Arija-Fan schon auf der "Tribute To Harley Davidson"-Mini oder der Raritätencompilation "Schtil" in der Sammlung stehen hat. Vierzehnter und letzter Track ist "Ja Swoboden", sowohl in der Tracklist als auch auf der CD - es handelt sich um die Studioversion vom Kipelow/Mawrin-Album, die auch schon auf "Wawilon" zu hören gewesen ist. Damit kommt meine "Poljana Wersija" ("Poljana" heißt übrigens soviel wie "Lichtung" oder "Waldwiese", was die lustige, aber inkorrekte Übersetzung "Wald- und Wiesen-Version" nahelegen würde :-)) auf 78 Minuten Spielzeit (leider inclusive einiger kleiner knacksender Brennfehler), von denen man die letzten 30 zwar nicht unbedingt gebraucht hätte, da ja keinerlei unveröffentlichte Versionen vertreten sind, aber da andererseits das Originalalbum komplett drauf ist, nimmt man die Boni natürlich gerne mit (was anderes wäre es gewesen, wenn durch die Boni Songs des Originalalbums ersetzt worden wären - diese Praxis hätte ganz und gar nicht auf Wohlwollen stoßen dürfen). Aber egal in welcher Version: "Reki Wremen" ist ein sehr starkes und unbedingt erwerbenswertes Album, das beweist, daß Waleri Kipelow trotz seiner fast 50 Jahre noch lange nicht zum alten Eisen gehört - die Jungspunde in seiner Band (Charkow, Moltschanow und Golowanow sind alle um die 30) halten ihn offensichtlich gehörig auf Trab und sorgen auch mit dafür, daß seine Musik trotz stilistischer Vergangenheitsausrichtung erstaunlich zeitgemäß klingt.
Kontakt: www.kipelov.ru

Tracklist (real zu hören):
Na Rasputje
Dychanje Tmy
Prorok
Nje Seitschas
Matritschnij Bog
Ja Sdjes
Nawaschdenije
Reki Wremen
Prisratschnij Wswod
Wawilon
Sakat
Wstan, Strach Preodoljei
Bespetschnij Angel
Probil Tschas
Ja Swoboden



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