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U.D.O., Sister Sin, Garage Days   27.03.2015   Leipzig, Hellraiser
von rls

Same procedure as last time? Partiell. Drei Jahre und reichlich drei Monate zuvor hatten Udo Dirkschneider und seine Mannen schon einmal unter Beisein des Rezensenten im Hellraiser gespielt, und auch damals ging der Gig früher los als angekündigt. Als der Rezensent mit 20 Minuten Verspätung im Club ankommt, ist vom ersten Supportact Garage Days wie schon damals von Sister nichts mehr zu sehen. Statt dessen wird man mit Konservenmusik von Type O Negative begrüßt (eine eher ungewöhnliche Wahl für einen Gig eher der lebensbejahenden Fraktion zugehöriger Kapellen), bevor dann Sister Sin auf die Bühne kommen. Die waren auch damals schon mit dabei, wußten mit ihrem Mix aus klassischem Hardrock, ebenso klassischem Metal und etwas Rock'n'Roll weiland zu überzeugen und diesmal nicht minder: Die neun Songs machen mächtig Laune, sind kompetent gespielt, zudem mit einem etwas klareren Soundgewand ausgestattet (heißt: die Drums schmecken nicht ganz so stark vor) - und dann gibt es ja auch noch diese Sängerin, nach wie vor optisch ein ganz heißer Feger und stimmlich mit ihrer klassischen Rockröhre perfekt zum rauhen, aber herzlichen Gesamtbild der Schweden passend, in dem nur der Drummer mit seiner numetallischen Mütze einen kleinen Fremdkörper abgibt (seines Shirts entledigt er sich diesmal relativ schnell). Daß Sister Sin mit "24/7" einen Song des Headliners covern, ist auch 39 Monate später noch ungewöhnlich, sorgt aber für prima Laune im Publikum, die freilich auch in den acht Eigenkompositionen herrscht. Selbige setzen sich streng demokratisch zusammen: viermal das aktuelle Album, je zweimal die beiden Vorgänger - fertig ist ein unterhaltsamer Supportgig.
Setlist Sister Sin:
Food For Worms
Outrage
Chaos Royale
Heading For Hell
24/7
Desert Queen
Fight Song
Sail North
Hearts Of Cold

Same procedure auch bei U.D.O.? Nein! Der Gottvati der deutschen Metalszene hat im Vergleich zu besagtem 2011er Gig seine Mannschaft fast komplett erneuert - nur Bassist Fitty Wienhold ist neben ihm noch dabei. Als Neuzugänge (wenn auch nicht schlagartig, sondern schrittweise seit 2012 dazugestoßen) verbuchen wir einen Keyboarder (!), an den Drums Udos Filius Sven sowie zwei neue Gitarristen, einen aus Rußland und einen aus Finnland - und speziell letztgenannte sorgen dafür, daß U.D.O. etwas anders klingen als früher. Früher gab es da mit Stefan Kaufmann einen Gitarristen, der zwar Leads spielen konnte, aber seine besonderen Stärken in der Rhythmusarbeit hatte (nicht umsonst hatte er 20 Jahre lang Drums gespielt, bevor ihn ein Rückenleiden zum Instrumentenwechsel zwang) und sozusagen gedanklich aus der Rhythmuswelt kam. Andrei Smirnow und Kasperi Heikkinen dagegen können zwar natürlich auch Rhythmusgitarre spielen (sogar extrem stoisch, wie "Decadent" unter Beweis stellt), aber sie kommen gedanklich von der Leadgitarre her - und das merkt man überdeutlich, denn so gewinnt die Leadarbeit viel stärker an Bedeutung für das Material, was freilich nicht bedeutet, daß sie als Allheilmittel fungiert, wofür "Decadent", der Titeltrack des aktuellen Albums, mit seinem fast monotonen Riffing als Beispiel taugt. Aber dort hört man dann auch, daß der neue Drummer einer anderen Generation angehört und neben straightem Metal-Drumming auch alle möglichen anderen Einflüsse aufgesogen hat, die er freilich immer in den Dienst der Band stellt (alles andere wäre im Kontext von U.D.O. auch unglaubwürdig). Die neu gewonnene Vielfalt wird dann im Mittelteil besonders deutlich: Hätte jemand ernstlich auf einem U.D.O.-Gig einen Akustikblock erwartet? "Tears Of A Clown" und "Secrets In Paradise" werden zu Sahnehäubchen einer auch sonst ungewöhnlichen Setlist. Daß das neue Album "Decadent" mit diversen Songs vorgestellt werden würde, war klar, aber daß es gleich sechs sein würden, überrascht dann doch etwas, ebenso wie der Verzicht auf fast alle Titelsongs der vergangenen Alben: nix "Holy" (das fehlte schon 2011), nix "Rev-Raptor", nix "Man And Machine", nix "Thunderball" - dafür die nächste Überraschung, nämlich "Faceless World", Titeltrack der 1990er Scheibe. Und nachdem 2011 die frühen U.D.O.-Werke sehr stiefmütterlich behandelt worden waren, stellt man diesmal am Ende fest, daß jedes der vier Alben der ersten Schaffensperiode mindestens einen Song stellen durfte: "Animal House", das Debüt, "Black Widow", "Mean Machine" die erste Zugabe "Break The Rules" (die auch 2011 im Set gestanden hatte), "Faceless World" neben seinem Titeltrack noch "Blitz Of Lightning" gleich an zweiter Stelle des Sets und "Timebomb" schließlich "Metal Eater", das den regulären Set abschließt. Das freut die Altanhänger natürlich, führt aber auch dazu, daß trotz zwei Stunden Spielzeit gar nicht mehr so viel Platz für das übrigbleibt, was sich jeder Dirkschneider-Fan mehr oder weniger insgeheim wünscht: Accept-Songs. Folgerichtig bleibt der Hauptset sogar komplett Accept-freie Zone, sieht man davon ab, daß "Black Widow" eigentlich für den Accept-Nachfolger von "Russian Roulette" gedacht gewesen war, aber statt dessen auf dem U.D.O.-Debüt landete, und davon, daß die Dirkschneider-Familie samt ihrer Assoziierten natürlich auch in der neuen Konstellation noch ausreichend Accept-Ähnlichkeiten auf die Bühne bringt. Passenderweise stellt der Soundmensch Keyboarder Harrison (der den 2013 hinzugestoßenen Ulli ersetzt, welchen der Metalhistoriker wiederum vom unterschätzten Rage-Album "Reflections Of A Shadow" kennt) dann auch meist ins klangliche Abseits, holt ihn aber im Akustikset nach vorn, und dort leistet er enorm wichtige Arbeit in atmosphärischer Hinsicht (daß er ansonsten bisweilen etwas zu sehr post, mag seinem jugendlichen Überschwang geschuldet sein). Überhaupt stellt gerade dieser Akustikset Dirkschneider senior vor einen Offenbarungseid: Was kann diese Stimme noch bringen? Ergebnis: Sie kann sich auch eine eher sparsame Instrumentierung leisten, ohne wegzubrechen, und das Gekreisch überzeugt auch ohne extreme Lagen, die in dem Alter nicht mehr zu erreichen sind. Immerhin ist der Mann mittlerweile auch schon ein gutes Stück über 60, und Bühnenpräsenz hat er immer noch genug, auch und gerade weil er klug genug ist, seine jüngeren Mitstreiter ihre Energie ausleben zu lassen und sich selber zu schonen. Der auch nicht mehr ganz jugendliche Fitty sprintet aber trotzdem gelegentlich von einem Bühnenende zum anderen und ist mit allen anderen Saitenspielern zudem für die Backings verantwortlich, die auch ein gutes Stück vielschichtiger ausfallen als früher. Soweit ein eher ungewöhnlicher Hauptset - aber ganz ohne Accept-Songs traut sich die Dirkschneider-Fraktion dann doch nicht von der Bühne, und der Zugabenblock läßt dann auch bei denjenigen Anwesenden im sehr gut gefüllten Hellraiser, die speziell wegen dieses Teils der Vergangenheitsbewältigung gekommen sind, das Adrenalin höher steigen, auch wenn es wegen der relativen Kürze dieses Teils keine Überraschungen in Form selten gespielter Songs gibt. Der Doppelschlag aus "Fast As A Shark", das auch den Rezensenten zum Schütteln seines Haupthaars animiert, und "Balls To The Wall" bildet das Finale eines Konzertes, das nicht der gleichen Prozedur wie immer folgte, aber trotzdem oder auch gerade deswegen interessant ausgefallen ist.

Setlist U.D.O.:
Speeder
Blitz Of Lightning
King Of Mean
Decadent
Independence Day
Black Widow
Never Cross My Way
The Bullet And The Bomb
Under Your Skin
Tears Of A Clown
Secrets In Paradise
Faceless World
Pain
Untouchable
Let Me Out
Metal Machine
Metal Eater
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Break The Rules
Princess Of The Dawn
I'm A Rebel
Fast As A Shark
Balls To The Wall



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