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U.D.O., Sister Sin, Sister   03.12.2011   Leipzig, Hellraiser
von rls

Udo Dirkschneider wird auch nicht jünger. Strukturelles Kennzeichen: Der Gig an diesem Samstag mit einem Drei-Band-Package beginnt bereits 19.30 Uhr und damit ungewöhnlich früh für metallische Verhältnisse - ergo ist mit einem frühen Ende und früher Schlafenszeit zu rechnen, auch für jüngere Menschen wie den Rezensenten keine schlechte Strategie. Der Letztgenannte steigt um 19.37 Uhr in einem knappen Kilometer Entfernung vom Hellraiser aus seinem Auto und hört während der acht Minuten Fußweg schon die Bassdrums von Sister - aber das bleibt das einzige, was er von ihnen hört, denn 19.45 Uhr steht eine riesige Schlange vor dem Club, und bis die abgearbeitet ist und der Rezensent die sehr ordentlich gefüllte Halle (am Ende dürfte wohl ausverkauft gewesen sein) betritt, haben Sister (falls sie es denn waren und niemand anders) ihren Gig schon beendet. Die Bassdrums hinterlassen jedenfalls eher einen geradlinigen Eindruck, alles andere ist mangels akustischen Eindrucks nicht zu bewerten.
Drei Buchstaben dazu, und schon stehen Sister Sin auf der Bühne, die nach einem eher unauffälligen Intro kräftig vom Leder ziehen und das Publikum zu begeistern wissen. "Rock'n'Roll" kündigen sie an (so heißt später auch der flotte Setcloser), aber den spielen sie erstens in der energieangereicherten schwedischen Variante (dort kommen sie auch her) und geben zweitens auch noch etwas klassischen Metal hinzu, obwohl sie mit nur einem Gitarristen auskommen müssen und dessen Riffing gegen die sehr lauten Drums (vor allem, der Leser ahnt es, die Doublebass, aber auch die Snare ist deutlich zu laut abgemischt) insgesamt zu wenig Stiche sieht. Die Balance wird mit fortschreitender Spieldauer allerdings besser, und den größten Trumpf der Band hat man schon zuvor eindrucksvoll gehört und auch gesehen: Die Sängerin setzt sich nicht nur optisch perfekt in Szene (zu diesem Behufe hat man extra ein Podest aufgebaut, damit auch die hinteren Reihen einen optischen Eindruck gewinnen können), sondern überzeugt auch stimmlich mit einer klassischen Rockröhre zwischen Doro Pesch und Ann Boleyn. Im Gesamtbild ergibt das eine Art Mixtur aus Skew Siskin und Hellion mit etwas Mötley-Crüe-Schlagseite (das eine oder andere Riff kommt einem nebulös bekannt vor), gespielt mit viel Herzblut und Ehrlichkeit. - da stört auch die seltsame Optik des Drummers mit Neue-In-Flames-kompatibler Mütze und altem Bathory-Shirt nicht. Die tolle Figur der Sängerin erklärt sich offensichtlich nicht zuletzt aus den Gymnastikübungen, die sie über zwei Drittel des Sets auf ihrem Podest ausführt, und in einigen Momenten bewegen sich die drei Frontleute sogar synchron, als ob sie das alte Accept-Ballett aus den Achtzigern studiert hätten. Noch ein Kuriosum: Als fünften Song, also exakt in der Setmitte, spielen Sister Sin doch glatt "24/7" von, jawohl, U.D.O. - daß der Supportact einen Song des Headliners covert, besitzt hochgradigen Seltenheitswert, aber erstens paßt es stilistisch perfekt, und zweitens singt U.D.O.-Bassist Fitty sogar die Backings mit. Aber auch die Eigenkompositionen überzeugen zu einem großen Teil, etwa das dynamische "Love/Hate" oder der straighte Opener "Sound Of The Underground", allesamt auf "True Sounds Of The Underground", dem aktuellen Album des Quartetts, zu finden.
Was konnte man von U.D.O. erwarten? Eine Zeitlang hatte Herr Dirkschneider ja vermieden, allzuviele Accept-Songs in seine Setlisten einzubauen, um seiner Etablierung als Solokünstler nicht selber im Wege zu stehen, zumal sich ja auch gute Teile seines Solo-Outputs keineswegs nur wegen der identischen Vocals sehr nach Accept anhören (ob er das nun hören will oder nicht, es ist so). Aber diese Zeiten sind lange vorbei, und schrittweise fand das Accept-Material seinen Weg in die U.D.O.-Gigs zurück, so daß die spannende Frage des Abends war, an wievielter Stelle der Setlist der erste Accept-Song stehen würde. Die Antwort: An Position 4, wenn man das, ähem, acceptable Intro, das pünktlich um 21.30 Uhr startet, nicht mitzählt. Schon der Opener "Rev-Raptor", Titelsong der aktuellen Scheibe, bereitet allerdings den Weg für eine große Metal-Party und ist in der gefüllten Halle offensichtlich bestens bekannt. "Thunderball" setzt den Reigen der Titelsongs fort (er soll nicht der letzte bleiben) und markiert für lange Zeit auch das obere Ende der Geschwindigkeits-Schlagzahl, was gut so ist, denn auch hier mähen die Doublebassdrums einiges vom Rest der Musik nieder, wohingegen sie in den meisten Songs dosierter eingesetzt werden. "Leatherhead" an dritter Stelle stammt ebenfalls vom neuen Album und überzeugt in der Livesituation mit seiner ganz leichten angedüsterten Attitüde - und dann kommt der erwähnte erste Accept-Song: "Screaming For A Love-Bite"! Die Überraschung ist gelungen: Dirkschneider, Kaufmann und ihre Spießgesellen setzen letztlich den halben Set aus Accept-Material zusammen, und sie beschränken sich keineswegs auf die großen Klassiker, sondern graben Selteneres aus: "Up To The Limit" mal wieder zu hören macht Spaß, aber der Rezensent freut sich ganz besonders über das schleppende Epos "Neon Nights", das er noch nie live gehört hat und das mit einer besonderen Wucht von der Bühne kommt, die aber gleichzeitig noch Filigranität und Transparenz zuläßt, bevor dann im schnellen Schlußteil alle Dämme brechen. Ein Meisterwerk, ohne Frage - aber natürlich erfreut man sich auch an anderen Klassikern oder welchen, die es noch werden könnten, etwa dem vergleichsweise entspannten "I Give As Good As I Get". Der Set kommt jedenfalls ohne Durchhänger aus, bietet traditionellen Metal, der so ziemlich alle möglichen Schattierungen des Midtempos ausleuchtet, und stößt beim feierfreudigen Publikum auf enorm große Resonanz. Selbst Gitarren- und Drumsolo, sonst nicht selten Gähnkandidaten, machen hier Laune, zumal Igor Gianola (der fast alle Leads spielt und nur in einigen der alten Accept-Songs diesen Job Stefan Kaufmann überläßt) mit zwei kultigen Einlagen überrascht. Zuerst nimmt er mit einer Gitarre ein Riff auf eine Loopstation auf und läßt dieses dann im Background durchlaufen, während er sich eine andere Gitarre holt und Leadgitarrenläufe drüberlegt (eigentlich eine ganz simple Konstruktion, aber im Metal trotzdem selten), und dann schnappt er sich wieder die erste Gitarre und läuft, nachdem er die Loopstation wieder ausgeschaltet hat, mit ihr durchs Publikum, einmal hinten ums Mischpult herum und auf der anderen Seite wieder nach vorne (man erinnere sich: so gut wie oder komplett ausverkauft, daher wenig Platz). Das sorgt für Stimmung, und die bleibt über die gesamten zwei Stunden hin feierfreudig. Wer wissen möchte, wie gut Herr Dirkschneider bei Stimme war: Man merkt, daß er keine 54 mehr ist (grins) und hier und da bei den alten Songs einige Tonsprünge nach oben etwas tiefer legt, aber man staunt zugleich, wie gut seine Stimme die jahrzehntelange Belastung eines nun nicht gerade anspruchslosen Gesangsstils überstanden hat - andere in seinem Alter haben da viel größere Probleme. Die zwei Stunden enden in zwei Zugabenblöcken mit dem erwarteten Accept-Klassikerprogramm, nachdem schon der Hauptset mit "Metal Heart" als Closer ein großes Ausrufezeichen gesetzt hat; das Publikum mobilisiert die letzten Mitsingreserven (in "Princess Of The Dawn", das schon erstaunlich früh erklungen ist, hatten sich einige Scherzkekse erlaubt, die Generalpausen zwischen den einzelnen Wiederholungen noch mit "Hey"- oder "Juhu"-Zwischenrufen zu füllen), und nahezu jeder zieht zufrieden von dannen. "Nahezu" deshalb, weil der Freund der U.D.O.-Solowerke des letzten Jahrtausends nur sehr marginal bedient worden ist ("Heart Of Gold" und "Two Faced Woman" - erstaunlicherweise fehlt der Titeltrack von "Holy"). Aber da sich der stilistische rote Faden ja quer durchs gesamte Schaffen des Herrn Dirkschneider zieht und dieses mittlerweile schlicht und einfach viel zu groß ist, um in nur einem Konzert alle Facetten aus den letzten 40 Jahren abdecken zu können, läßt sich dieses Problem, wenn es denn überhaupt eins ist, nicht lösen. Falls auf den nächsten Touren wieder mal Ausgrabungen im Accept-Katalog anstehen, hier die Wunschliste des Rezensenten: "Lady Lou", "Seawinds", "Breaker", "TV War", "Monsterman", "Sodom & Gomorrha" und "Amamos La Vida". Für diesmal genügen folgende Worte: Traditioneller Metal vom Feinsten!

Setlist U.D.O.:
Rev-Raptor
Thunderball
Leatherhead
Screaming For A Love-Bite
Vendetta
Princess Of The Dawn
Heart Of Gold
I Give As Good As I Get
Guitar Solo
Neon Nights
Break The Rules
Drum Solo
Man And Machine
Up To The Limit
Two Faced Woman
Metal Heart
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Bogeyman
I'm A Rebel
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Balls To The Wall
Fast As A Shark



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