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Molllust, Xiphea, Unloved   28.03.2015   Leipzig, Bandhaus
von rls

Frauenpower nach vorn: Dreams Of Arcadia, die vierte Band dieses Packages, sagen kurzfristig ab, und so bleiben drei Bands übrig, die allesamt eine Frontfrau haben (und einen Bassisten, der nicht mit vier Saiten auskommt), aber völlig unterschiedliche Felder der harten Rockmusik beackern. Der Reigen beginnt mit Unloved, die 10 Songs ihres eigentümlichen Progrocks darbieten. Dabei spielen sie ihre erste EP "My Way To Run" komplett durch, geben die leicht mediterran angehauchte Orchesterhalbballade "Pandora" von der zweiten EP "Killersongs" (hatten nicht auch J.B.O. einen Tonträger dieses Titels?) dazu und ergänzen das Programm um Kompositionen jüngeren Datums - schließlich sind sie gemäß Ankündigung auf "Bliss Tour". Der Rezensent kennt das jüngere Material bisher nicht (sein bisher einziges Liveerlebnis des Quartetts datiert von 2011, übrigens zusammen mit The Last Hangmen, die eine Woche zuvor ebenfalls im Bandhaus gespielt hatten), aber es fällt auf, daß das ältere deutlich härter ist und die Mixtur aus Gothic, Rock, Prog und Metal einen höheren Anteil des letztgenannten Stils aufweist ("At All Sea" wird zum Ende hin beispielsweise richtig speedig), während das jüngere stärker auf atmosphärische Passagen setzt und es an einigen wenigen Stellen damit etwas übertreibt, so gleich im ellenlangen Intro, dessen Spannungsaufbau irgendwann im Nichts endet, und auch das lange Insektenintro von "Tempest" hätte eine gewisse Straffung verdient gehabt, um seine volle Wirkung zu entfalten. Aber Unloved wissen offensichtlich, was sie tun, denn viele Passagen geraten hochspannend und intensiv (das Finale von "Lost"!), und die Sängerin wirkt anfangs noch ein klein wenig unsicher, steigert sich aber schnell auf das starke Niveau, das der Rezensent von ihr erwartet hat (was für ein Exzelsior im EP-Titeltrack "My Way To Run"!). Da die Publikumsreihen nicht eben fest geschlossen sind, nutzt sie den Platz zudem für gelegentliche Ausflüge ins Auditorium, wo sich auch Molllust-Gitarrist Frank aufhält, der justament an diesem Abend seinen 28. Geburtstag begeht. Das nehmen Unloved gleich zum Anlaß, seine Molllust-Paradenummer "König der Welt" in einer Kurzfassung zu covern, die in den merkwürdigen Setcloser übergeht, der einerseits mit seltsamem Sprechgesang eine bisher noch gar nicht bediente Schiene fährt und andererseits beweist, daß Unloved aller Progressivität zum Trotz auch mal zwei Minuten geradlinig einen Takt durchhalten können. Der Sound ist schön klar, auch die für den Gesamtklang bedeutenden Samples lassen sich problemlos wahrnehmen, das Publikum zeigt sich durchaus angetan vom Gehörten, und so endet der Gig denn auch nicht ohne Zugabe.
Auch bei Xiphea spielen die Samples eine tragende Rolle im Gesamtsound und sind erfreulicherweise sehr gut durchhörbar, allerdings weisen sie überwiegend eine orchestrale Natur auf, während bei Unloved eine deutlich größere Geräuschvielfalt herrschte. Spielt man ein wenig Scrabble mit dem Bandnamen Xiphea und ersetzt X und H durch ein C, bekommt man auch schon eine passende Vergleichsband heraus: Die Nürnberger gehen als eine Lightversion von Epica durch - etwas simpler, etwas weniger experimentierfreudig, etwas zurückhaltender, aber gerade dadurch vielleicht für Menschen interessant, die sich von den jüngeren Epica-Alben eher "erschlagen" gefühlt haben und die auch bei Nightwish die Frühwerke den jüngeren Alben vorziehen. Der Basser bedient wie sein Unloved-Kollege einen Fünfsaiter, der Gitarrist (gelegentlich brüllende oder klare Backingvocals beisteuernd) hat sein Hauptinstrument heruntergestimmt und macht bis auf den Setcloser ausschließlich Riffkrach, die Melodiekomponente den Orchestersamples und der Sängerin überlassend. Selbige hat eine recht kräftige, aber lagenseitig angenehme Stimme, zieht trotz Stöckelschuhen eine anspruchsvolle Gymnastikstunde auf der Bühne durch, fällt optisch in die Kategorie "blonder Engel" und entpuppt sich als freche Labertasche. Das muß am Nürnberger Wasser liegen, denkt der Rezensent zunächst, denn die auch optisch vergleichbare Kollegin von Rawkfist aus dem unmittelbar benachbarten Schwabach war ähnlich gepolt, wie sich die Besucher von deren unfreiwilligem Headlinergig am 15.5.2010 in Gera sicherlich noch erinnern werden. Die Erleuchtung, daß es sich um ein und dieselbe Person handelt, kommt erst später ... Rawkfist agierten stilistisch prinzipiell ähnlich, aber etwas basischer, wohingegen Xiphea doch gelegentlich den Hang zum Bombast durchscheinen lassen und das an Setposition 7 gespielte "Monument" phasenweise dann wirklich monumental klingt. Aber auch eine Halbballade wie "Falling" kann überzeugen, "Crossroads Of Dreams" überrascht mit einem Dreiertakt (den die Sängerin dann auch prompt als Aufforderung zum Tanz deklariert, aber dazu kann sich das Auditorium dann doch nicht entschließen), und das teils sehr schnelle und harte "Reflections" packt den Stier zum Schluß nochmal bei den Hörnern.
Molllust hat der Rezensent drei Jahre zuvor in Chemnitz live gesehen, sie aber danach irgendwie wieder aus den Augen verloren, und so nimmt er die Gelegenheit gern wahr, sie wieder einmal live zu begutachten, zumal bei den üblicherweise sehr guten Soundverhältnissen im Bandhaus die Chance besteht, ihre live sehr schwierig abzumischenden Stücke einmal in all ihrer klanglichen Vielschichtigkeit zu erleben. Die Schwierigkeit ist mittlerweile noch gestiegen: Molllust haben ihre Streicherfraktion nochmals aufgerüstet, die Violinfraktion ist jetzt doppelt besetzt und an diesem Abend erstmals in dieser Form in der Heimatstadt der Band zu erleben. Ergebnis: Die Möglichkeit mehrstimmiger Violinenklänge erweitert die Möglichkeiten des eigendefinierten Opera Metal um eine weitere interessante Komponente, auch wenn der blonde Neuzugang in den alten Songs noch etwas unintegriert auf der Bühne steht. Aber der Fokus liegt auf neuem Material, dessen Konservierung gerade abgeschlossen ist, so daß zeitnah mit einem neuen Album gerechnet werden kann - und auf das darf man richtig gespannt sein, nimmt man Songs wie "Number In A Cage" als Maßstab, das an diesem Abend seine Livepremiere erlebt, die Vernichtung männlicher Küken zum Thema hat und dieses mit einem hochinteressanten und spannenden Mix aus lieblichen Küchlein-Melodien (das Mussorgski-Vorbild winkt aus der Ferne), finsterem Doom und wildem Gehacke umsetzt. Mit einem anderen Vorbild hat sich Chefdenkerin Janika in den letzten Jahren schon intensiv auseinandergesetzt: Vier Bearbeitungen von Bach-Stücken sind auch in EP-Form konserviert worden, und eine davon, nämlich "Aus Liebe will mein Heiland sterben" aus der Matthäus-Passion, steht auch an diesem Abend, der mittlerweile längst in den Palmsonntag übergegangen ist, in der Setlist und beweist das außerordentliche Können der Band auch im originellen und kreativen Umgang mit Fremdmaterial. Die Eigenkompositionen sind nicht minder interessant, sowohl die neuen als auch die alten wie "Spiegelsee" oder "König der Welt", die oben bereits erwähnte Paradenummer von Gitarrist Frank, die hier nun in voller Schönheit erklingt, mit Frank als Zweitsänger, der trotz Enge auf der Bühne mit einer Krone ausstaffiert umherstolziert und sich von den Streicherinnen (zu den beiden Violinistinnen kommt noch Cellistin Lisa) hofieren läßt. Im Mittelpunkt des Ganzen steht aber nach wie vor Sopranistin/Keyboarderin Janika, diesmal mit anderer, aber nicht weniger ungewöhnlicher Frisur als damals in Chemnitz (einige lange, rechts vorn herabhängende Strähnen brechen die sonstige Symmetrie auf) und musikalisch alle Zügel fest in der Hand behaltend, auch stimmlich die zentrale Verantwortung mühelos rechtfertigend. Nur an das irgendwie komische "Papa" (ein Appell einer Tochter an ihren Vater, der von der "brotlosen" Wahl eines Musikerberufs nicht überzeugt ist - sicherlich nicht ganz ohne autobiographischen Hintergrund und damit keineswegs ohne Berechtigung) kann sich der Rezensent nach einmaligem Hören nicht gewöhnen - aber das ist angesichts der großen Klasse der meisten Teile des Sets eher ein Luxusproblem, und abgesehen davon, daß in manchen Powerpassagen die Streicher dann doch im Klangnirwana landen, erfreut auch der transparente Sound das Herz des Hörers. Um die optischen Auffälligkeiten noch abzurunden: Drummer Tommaso gäbe optisch einen perfekten Rockstar ab, und Interimsbassist Simon, der seine beiden Abendvorgänger noch übertrifft, indem er einen Sechssaiter spielt, hat derart die Ruhe weg, daß er auch in einer Funeral-Doom-Band nicht wegen Hyperaktivität entlassen werden müßte. Im Closer "Alptraum", von Janika als "was zum Träumen" angesagt, bewegt er sich dann doch mal, nämlich im Intro mit Frank schunkelnd, bevor sich der Songcharakter dann aber vom Traum in die titelgebende Traumsorte wandelt und teilweise äußerst rabiat dargeboten wird, damit einen perfekten Abschluß eines starken Gigs markierend.

Setlist Molllust:
Tanz des Feuers
Sternennacht
König der Welt
Unschuld
Lampedusa
Paradise On Earth
Papa
Aus Liebe will mein Heiland sterben
Spiegelsee
Number In A Cage
Voices Of The Dead
Alptraum



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