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Extreme Drummers Festival mit Dying Humanity, The Last Hangmen, Unloved, Extinctionist   02.04.2011   Leipzig, Halle 5
von rls

Der Terminus "Trommelworkshop" hat immer so ein gewisses New Age-Selbsterfahrungs-Feeling mit hohem Belächelungsfaktor seitens der Öffentlichkeit. Das ist an diesem Tag anders: Könner der sächsischen Metalszene tun sich zusammen, um dem interessierten Nachwuchs folgende fünf Kurse anzubieten: "Extreme Beats: Blastbeats, Skankbeats, Doublebass", "Paradiddle Grooves: Vom Paradiddle zum Ostinato", "Progressive Drumstyles: Polyrhythmik, ungerade Takte", "Hybrid Beats: Geteilte Körperhälften, Koordination" und schlußendlich "Songwriting: From Riff to Beat". Und wie das bei solcherart Workshops schöne Sitte ist, schließt ein Dozentenkonzert den Tag ab, an dem die Bands von vier der fünf Dozenten beteiligt sind.
Das recht eng gesteckte Zeitmanagement kann nicht ganz gehalten werden, und so stehen Extinctionist mit einer halben Stunde Verspätung auf der Bühne und beweisen, daß man als technische Death Metal-Band zumindest live eigentlich keinen Bassisten braucht. Soundlöcher im Tiefenbereich sind jedenfalls so gut wie abwesend, und das gesamte Klangbild kommt für diesen Stil überraschend transparent (und in annehmbarer Lautstärke) aus den Boxen geschossen. Freilich liegt der Wiedererkennungswert der meist in übersichtlichen Längen um die zwei Minuten gehaltenen Stücke in der Nähe des absoluten Nullpunktes, was nicht nur am Sänger liegt, der in völlig unverständlichen Lagen grunzt (und dem Zuschauer damit nähere Details der arg metzellastigen Texte erspart), sondern auch an den raschen Wechseln, die die einzelnen Parts selten eine prägende Wirkung entfalten lassen. "Slam Dome" beweist allerdings, daß es auch anders geht - kurs aufflackernde schwedische Leadgitarren im Intro (was eine fast singuläre Erscheinung bleibt und sich nur in "The Executionist" nochmal wiederholt), ein bandtypischer Hauptteil, der dann aber in eine große Doompassage übergeht, die nach hinten heraus über mehrere Schritte immer langsamer wird und schließlich in der Nähe des Stillstands enden würde, spielte der Drummer nicht auch hier ein Fill am anderen. Nicht jede Idee kann mit solcher Stringenz und Logik aufwarten - so wirkt die Vierfach-Aneinanderreihung kurzer Solopassagen jedes Bandmitgliedes (und das wirklich solistisch, also bei schweigendem Bandrest) in "Autopsy Asylum" etwas arg bemüht. Der Sänger, aufgrund eines Beinleidens bewegungsseitig etwas eingeschränkt, aber dafür mit den Händen ständig hackende Bewegungen absolvierend, bringt die Ansagen in Klarsprache, die Liedtitel aber dann im Grunzidiom, so daß die Songtitel nur anhand der Setlist identifizierbar sind, man aber immerhin mitbekommt, daß es sich quasi um die Releaseparty einer neuen CD handelt, von der auch das Gros der Songs stammt. An den beiden Gitarren stehen brillante Techniker, und der Schlagzeuger spielt mit stoischer Ruhe und Leichtigkeit auch schwierigste Passagen, von denen es durchaus die eine oder andere im Material gibt. Einige Enthusiasten fordern eine Zugabe ein, die trotz fortgeschrittener Zeit auch genehmigt wird - es erklingt dann aber nicht "Chant Of The Paradox", wie die Setlist ausweist, sondern nochmal "Slam Dome".
Setlist Extinctionist:
Intro
Unfold The Death
World Extinction
Slam Dome
FAA
Corrupted By Perversity
Vortex Of Worms
Zwischentro
Autopsy Asylum
Nocturnal Sepsis
The Executionist
Scourge Of The Posterity
Claustrophobic Cocophony
---
Slam Dome (statt Chant Of The Paradox)

Unloved sind so etwas wie die Paradiesvögel des Konzertes - mit Metal, gar mit dessen extremerer Sorte, haben sie nämlich wenig zu tun, wenngleich die Umschreibung "Progressive Rock" auf dem Flyer zumindest denjenigen Hörer in die Irre führt, der dahinter klassischen Siebziger- oder Achtziger-Prog erwartet. Statt dessen klingt das Quartett ein wenig, als ob The Gathering statt Psychedelic und Elektronik den Progrock entdeckt hätten, mixen also fröhlich Gothic-, Rock-, Prog- und ein paar Metalelemente und machen damit gar keine schlechte Figur, soweit man das unter den Soundbedingungen dieses Abends beurteilen kann. In der ersten Sethälfte nämlich stimmt die Balance trotz versuchter verschiedener Mischungsverhältnisse überhaupt nicht, hört man vor allem die Sängerin oftmals nur wenig, während die Drums teilweise alles akustisch niederknüppeln, und der Monitorsound scheint laut den Ansagen auch nicht besser zu sein. In der zweiten Sethälfte stellt sich die Sängerin dann vor die Bühne, und etwa zeitgleich findet auch der Livemischer den richtigen Dreh, wonach zwar immer noch nicht alles das Gelbe vom Ei, aber wenigstens eine prinzipielle Qualitätsahnung zu gewinnen ist. Und Ideen haben die kleine attraktive Dunkelhaarige am Mikro und ihre drei Mitstreiter plus Sampledatei (die streut Keyboards und Backing Vocals ein) durchaus, sei es das spanisch durchwirkte "Sober" mit seinen Clappingeinlagen oder "Come Posing" mit seinen betörenden ruhigen Passagen, in denen die Sängerin den Hörer zu spieluhrartigen Klängen akustisch sanft in ihren Armen wiegt. Das Songdoppel "Your Greed"/"Fraud Ridicule" dreht sich um den Dualcharakter von Liebe und Haß, wobei letztgenannter Song unter Beweis stellt, daß Unloved auch mal zwei Minuten einen geradlinigen Beat durchhalten können, wenn es der Song denn verlangt. Gespielt werden übrigens fast ausschließlich neue, noch unkonservierte Songs, von denen "The Home You Could Have Found" an diesem Abend sogar seine Livepremiere erlebt, und wenn die trotz der Soundprobleme gewonnenen Eindrücke auch nur halbwegs repräsentativ sind, sollte man die Entwicklung dieser Truppe genau im Auge behalten.
Setlist Unloved:
Tempest
At All Sea
Sober
Come Posing
Your Greed
Redundancer
Fraud Ridicule
The Home You Could Have Found
Final Person

The Last Hangmen starten mit einem ausgedehnten Orchesterintro, bevor sie schnell klarmachen, daß sie sich in musikalischer Hinsicht als Traditionsbewahrer sehen: So wie das Dresdner Quintett ihn spielt, war weiland in den Neunzigern der Melodic Death Metal gedacht gewesen. Plötzlich stimmt auch die Soundklarheit wieder, und so bleibt die Theorie des Rezensenten, Melodic Death sei unerquicklich, wenn man die Gitarren nicht klar hört, auch eine solche, während die Praxis eine andere Sprache spricht - und das, obwohl von hinten eine sehr intensive Schlagzeugarbeit kommt. Dazu gesellt sich eine wilde Bühnenshow, was die Headbangaktivitäten betrifft, wobei es ohrenhörlich allerdings zu keinerlei Beeinträchtigungen der Spielexaktheit kommt. Dafür fällt während des zehnminütigen "Little Ease" der Galgen, der die linke Bühnenhälfte ziert, um und zerfällt in seine Einzelteile - das hätte böse ausgehen können. Freilich dürfte das nicht der Grund gewesen sein, daß die hinteren Songs der Setlist immer weniger Death und immer mehr klassischen Metal enthalten und bisweilen an Bands wie Brimstone erinnern, bei denen auch nur noch der heisere Gesang die Querverbindung zum Death Metal aufrecht erhielt. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit kürzen The Last Hangmen ihren Hauptset um einen Song, aber ohne eine Zugabe läßt sie das Publikum auch nicht ziehen, und diese fällt programmatisch aus: "Blinded By Fear" von At The Gates, eine der Urzellen des Melodic Death Metal, womit sich der Kreis schließt.
Setlist The Last Hangmen:
Intro
Lupara Bianca
Beyond The Crimson Nightsky
Knocking Tombstones
Little Ease
Crash Course Dying
Hang 'em High
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Blinded By Fear

Als Dying Humanity schließlich die Bühne betreten, hat sich der Saal schon merklich geleert, was das Erzgebirgsquintett aber nicht an einer grandiosen Energieleistung hindert. Teile des Gesangs bilden einen markanten Death Metal-Knochen, während viel vom instrumentalen Unterbau sowie der shoutende Teil des Gesangs eher eine Herkunft aus dem Thrash Metal nahelegen, der zudem überwiegend im rattenschnellen, aber immer kontrolliert bleibenden Tempo gezockt wird, allerdings häufig melodische Ruhepausen-Inseln bereithält, die einen wirkungsvollen Kontrast zu den Speedparts aufbauen. Auch Dying Humanity waren zwar gerade im Studio, um ihren dritten Tonträger aufzunehmen, aber da der erst im Herbst erscheinen wird, konzentrieren sie sich auf bereits veröffentlichtes Material, nicht ohne aber doch schon einmal einen akustischen Blick nach vorn zu werfen. Der Sänger hat am Ende des Gigs, der natürlich auch nicht ohne eine Zugabe abgeht, mindestens genausoviel Wasser getrunken wie auf seinem Körper (meist über den Mund-Umweg) verteilt, und der Sound ist auch bei Dying Humanity wieder ziemlich klar, wenngleich sehr laut. Ein Akustikgitarren-Zwischenspiel und das vom gleichen Instrument bestrittene Outro spielen die Gitarristen übrigens nicht live, sondern holen es vom Band - vermutlich eine logistikbedingte Entscheidung, da zumindest das Zwischenspiel nahtlos in den Set eingebunden ist. Spieltechnisch geht auch hier nichts schief, und so stellt der Gig nicht nur den Abschluß des Workshops dar, sondern verdeutlicht zugleich eindrucksvoll, welches Potential in der sächsischen Metalszene zu finden ist.
Setlist Dying Humanity:
Internal Decay
Worth Of Human Life
Sick Desire
Bitch
Light Of Reality
Wrong Turn
Paranoia
Vicious Silence
Neuer Song vom upcoming new album
Failing Existence
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A Sleaze And A Shame



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