www.Crossover-agm.de
Rawkfist   15.05.2010   Gera, Sächsischer Bahnhof
von rls

Eigentlich waren Coronatus als Headliner für dieses Konzert angekündigt, aber die südwestdeutsche Band hat es vorgezogen, nicht mal eine Woche zuvor mangels Sängerinnen alle Aktivitäten einzustellen und sich quasi aufzulösen. So kommen Rawkfist überraschend zu einem Headlinergig, was die Band aber auch vor Probleme stellt: Mehr als eine Stunde Material liegt schlicht und einfach nicht eingeprobt und abrufbereit vor. Aber diese Stunde kommt im leider nur schwach besuchten Sächsischen Bahnhof (die Pyro Games im Geraer Hofwiesenpark haben offensichtlich einiges potentielles Publikum abgezogen und der Ausfall von Coronatus zumindest von dem Personenkreis, dem er vorher bekannt war, sicherlich auch) dann komplett zur Aufführung und sorgt für durchaus gute Laune. Daran ist freilich nicht ausschließlich die Musik schuld - speziell die Ansagen erzeugen Lachstürme unter den Anwesenden. Der Bassist wirft, als er zweimal zu Wort kommt, staubtrockenen Humor ein, der Gitarrist punktet in seinen zwei Wortmeldungen mit fränkisch durchwirktem Deutsch (auch wenn der Versuch, das Publikum zu Sprachunterricht in Fränkisch zu bewegen, mißlingt), und die blonde, in ein schulterfreies schwarzes Kostüm gehüllte Sängerin schießt diesbezüglich den Vogel ab - immer so kurz vor der Grenze, wo Kultigkeit zur Peinlichkeit wird, haltmachend und damit grundsätzlich immer liebenswert, sympathisch und auch bodenständig.
Was bekommen die Anwesenden musikalisch zu hören? Grob gesagt Melodic Metal mit weiblichem Gesang und Keyboardunterstützung. Auch hier trifft die Grunddefinition "bodenständig" zweifellos zu: Rawkfist bewegen sich ungefähr im Fahrwasser von Edenbridge, allerdings ohne deren genialen Einfallsreichtum reproduzieren zu wollen oder vermutlich zu können. Hier und da schimmern auch Bands wie Lunatica oder Rizon durch, wobei sich Rawkfist allerdings von klassischen Einflüssen weitgehend fernhalten; auch Xandria-Anhänger dürften mit dem Material der vier fränkischen Instrumentalisten samt fränkischer Frontfrau durchaus klarkommen. Basische Inszenierungen haben Vorrang vor opulenter Ausstattung, somit bringt die Band in der Stunde Spielzeit auch eine genreuntypisch hohe Zahl an Songs unter. Hier und da finden dann allerdings doch überraschende Elemente Eingang in den Bandsound, die dafür sorgen, daß die Gefahr der Stromlinienförmigkeit erfolgreich umschifft wird, etwa der abgepfiffene Mittelteil des "Schwabach-Liedes", in dem die Sängerin beschreibt, wie sie sich selber mal in ihrem Wohnort verirrt hat. Der Gitarrist bevorzugt ein siebensaitiges Instrument, was dem Sound genügend Power nach unten verleiht (ein Kompliment mal wieder an den Soundmenschen des Sächsischen Bahnhofs: Hätte das Frontmikro noch einen Tick mehr Lautstärke im Gesamtmix zugewiesen bekommen, der Sound wäre im Prinzip ideal gewesen), und der Keyboarder greift in "Poker", das gleich zweimal gespielt wird (nämlich als Zugabe nochmal, weil das Repertoire erschöpft ist), zum Dudelsack. Freilich entfaltet gerade dieser Song, von der Instrumentierung abgesehen, die geringsten Reize, da er in seiner Erstfassung irgendwie klingt, als ob alle eher gegen- als miteinander spielen würden - ein Eindruck, der sich in der Zweitfassung ein Stück weit verliert. "Die Propheten" enthält einen deutschen Text, "Suspicious Eyes" soll laut Ansage gruselig wirken (was es nur auf Verfechter des metallischen Reinheitsgebotes tut - hier haben sich doch glatt einige modernere Grooves eingeschlichen), und das Intro der Show muß gleich zweimal abgespielt werden, weil nach dem Ende des ersten Durchlaufs der Gitarrist noch nicht spielbereit ist - eine Kuriosität, die aber ins lustige Bild der "musizierenden Kumpels von nebenan, die über den Status einer Punkband schon hinaus sind", das Rawkfist hinterlassen, irgendwie perfekt paßt. Da das gut gelaunte Publikum nach der Wiederholung von "Poker" noch auf weiterem Extramaterial besteht, entschließt sich die Band, noch einen ganz neuen und noch namenlosen Song zu intonieren, der musikalisch zum Besten gehört, was die Nürnberg-Schwabacher bisher so geschrieben haben, ergo einen optimistischen Blick in die Zukunft veranlaßt. Auch hier biegt sich das Publikum vor Lachen, als die Sängerin im Solo auf einmal zu sprechen beginnt und sich folgende Worte den Weg nach außen bahnen: "Bin mal gespannt auf den Schluß - wir haben nämlich noch keinen!" Aber der dann erklingende Schluß macht keineswegs einen improvisierten Eindruck und dürfte wohl so übernommen werden. Damit endet eine Stunde netter metallischer Unterhaltung. Hat irgend jemand Coronatus vermißt?



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver