www.Crossover-agm.de RIZON: Sudden Life
von rls

RIZON: Sudden Life   (Karthago Records)

Viola wittrockiana "Firnengold", also ein Stiefmütterchen aus der Sortenfamilie der Schweizer Riesen, auf dem Cover - die Assoziation liegt nahe, Rizon als eine riesige Schweizer Band anzusehen. Und siehe da, das stimmt sogar: Rizon kommen aus Helvetien, und sie sind mit sieben Mitgliedern auch recht voluminös besetzt. Die Deutungen kann man auch noch weiter treiben: Der Coverfotograf hat gerade ein Exemplar erwischt, bei dem das dunkle Auge relativ klein ausgefallen ist - das dunkle Element in der Musik Rizons ist ebenfalls unverkennbar, aber nicht sonderlich stark ausgeprägt. Mit einer noch weiter ausholenden Assoziation freilich begibt man sich auf gewagtes Terrain: Das Stiefmütterchen auf dem Cover steht in einem Riß einer urban befestigten Fläche, scheinbar einer massiven Steinplatte - da fällt einem doch sofort der Text zu "Herzschlag ist der Takt" der Münchener Freiheit ein, wo es um "Spuren im Asphalt, Risse im Beton" geht, also um Lebenszeichen an unvorstellbaren Orten (die einzige Blume, die auf Beton gedeiht, ist die Neurose, sprach einst ein weiser Mann). Mit Zauner, Strobel & Co. haben Rizon nun allerdings wirklich relativ wenig Gemeinsamkeiten - eigentlich nur eine: Rizon-Keyboarder Marco Küderli schaltet durchaus gern mal Sounds ein, die ihren Ursprung in den 80ern (also der goldenen Zeit der Münchener Freiheit, wiewohl die gerade jetzt 2009 mal wieder einen neuen Frühling erlebt) nicht verleugnen können. Allerdings beschränkt er sich keineswegs darauf, sondern holt bedarfsweise auch ein ganzes Orchester aus der Steckdose, was man dann eher mit frühen Nightwish assoziieren kann (und man höre mal genau auf die Gitarre-Keyboard-Kombination in "Surrounded" kurz nach Minute 4!). Die Siebenzahl der Besetzung läßt, wenn man die Zusatzinformation bekommt, daß keine metalfremden Instrumente besetzt sind (sofern man nicht zu der Fraktion gehört, die Keyboards als metalfremd eingruppiert), problemlos erraten, daß offensichtlich zwei Sänger und zwei Gitarristen zur Band gehören, und das stellt sich auch als korrekt heraus. Die Gesangsfraktion wurde dabei geschlechtsparitätisch besetzt, wenngleich Matthias Götz in der Gesamtbetrachtung mehr zu tun bekommen hat als Franziska Germann und von Dennis Ward auch etwas dominanter abgemischt wurde. Dieser Doppelgesang in Verbindung mit der generellen Wahl des Hardrockgenres läßt den Kenner sofort an die östlichen Alpennachbarn Amun-Re denken, die eine ähnliche Kombination pflegten. Allerdings gehen Rizon im Direktvergleich ein klein wenig düsterer zu Werke - manche Passage atmet einen gewissen finnisch-gloomigen Spirit, ohne freilich allzusehr in Richtung Polarnacht abzudriften. Da taugen vielleicht am ehesten Negative als finnisches Pendant, die ja ganz im Gegensatz zu ihrem Bandnamen auch eher locker von der Leber weg rocken, allerdings diesen gewissen Tupfer finnischer Melancholie auch nie ganz loswerden (und das vermutlich auch nicht wollen - warum auch, solange es den Mädels immer noch gefällt?). Will man näher an Mitteleuropa bleiben, könnte man für den Aufbau von "Wishes & Dreams" auch die frühen Tad Morose zu "Sender Of Thoughts"-Zeiten heranziehen, allerdings ist gerade dieser Song mit seinem Proganstrich (durch seinen Wendungsreichtum) für das Schaffen Rizons nun nicht ganz typisch. Freilich: Wenn man genau hinhört, fällt eine gewisse Neigung zum Tempowechseln auch in anderen Songs auf - man bemerkt es nur nicht, da die Wechsel so organisch eingebunden sind, daß man an vielen der Stellen gar nichts anderes erwarten würde (spätestens nach dem zweiten Hördurchlauf nicht). Mitunter wird gar ein sonst relativ unauffälliger Song, etwa "Burning Soul", durch einen unerwarteten, aber irgendwie doch logischen Part noch ein Stück aus dem Sumpf gezogen - im genannten Fall ist es das plötzlich knochentrocken losmarschierende Hauptsolo. Den Höhepunkt von "Sudden Life" hat man da allerdings schon hinter sich: "Ravenmaster" ist der zweitlängste Song der Scheibe (die 6:13 Minuten werden nur vom über siebenminütigen Closer "Surrounded", der natürlich kein Dream Theater-Cover darstellt, übertroffen) und entpuppt sich als gigantische, etwas angezähte Hymne, deren Refrain man so bald nicht wieder aus dem Hirn entfernen kann, die teils deutlich gen Finnland schielt und die allein schon aufgrund des Titels, aber auch ein wenig musikbedingt Assoziationen zu Xandria hervorruft, ohne selbstredend eine Kopie darzustellen. Sucht man Vergleichsbeispiele für Rizon im eigenen Land, kommen einem am ehesten Lunatica in den Sinn - auch diese pflegen bekanntlich einen traditionellen melodischen Hardrock mit leicht symphonischem Anstrich, grenzen sich also ebenso deutlich wie Rizon von der als typisch schweizerisch angesehenen geradlinigeren Bauart Marke Krokus ab (nur gut, daß Rizon keinen Krokus aus der Steinplatte haben wachsen lassen - was wäre dann aus dem einleitenden Assoziationsspiel geworden?). Generell haben Rizon übrigens eine Ader für längere Kompositionen; neben den beiden erwähnten Songs dauern noch vier weitere über fünfeinhalb Minuten, wobei es der Band zumeist gelingt, die Spannung auch über die Spielzeit aufrechtzuerhalten. Hier und da freilich hätte man sich noch ein wenig mehr Mut zum Risiko gewünscht, etwa um einige Parallelführungen von Gitarre und Keyboards durch etwas Aufregenderes zu ersetzen. Dafür überraschen Rizon aber mit der Praxis, in den Instrumentalsoli die Rhythmusgitarre sehr weit herunterzufahren und damit eine Art Anklang an die Siebziger-Praxis zu schaffen, als live die Rhythmusgitarre während Leadgitarrenparts mangels eines zweiten Gitarristen üblicherweise fehlte - Rizon hätten das eigentlich nicht nötig, da sie ja über zwei Gitarristen verfügen, also muß es ein bewußtes Stilmittel sein. Vom Spektrum her reizen sie von der Halbballade bis zum kernigen Rocker im treibenden Midtempo alles aus, halten sich von Hochgeschwindigkeit also fern. Originell sind die elf Songs freilich nur bedingt (der Doppelgesang geht noch am ehesten als Alleinstellungsmerkmal durch, wobei die beiden Stimmen bei weitem nicht so kontrastieren wie beim üblichen "Beauty and the Beast"-Kombinationsspielchen), aber die generelle Qualität stimmt zweifellos positiv, wenngleich man für einige der Songs wie etwa das vielschichtigere "Signs" (mit recht verschachtelter Schlagzeugarbeit von Tom Lindegger - und was für nadelstichartige Achtziger-Keyboardperlen da im zweiten Refrain!) mehr Erschließungsarbeit braucht als etwa für die Halbballade "Despair (I Am The Only Being)", zu der man auch gleich beim ersten Hördurchlauf kuscheln könnte. Alternativ bietet sich ein Blick ins von der übrigens auch äußerst ansehnlichen Sängerin layoutete Booklet an, wo man dann auch noch eine literarische Ader Rizons feststellt, die sich in den Texten beigestellten Textfragmenten von Herrn Tollkühn, Oscar Wilde und einigen anderen, hauptsächlich anglophonen Wortkünstlern äußert. Und apropos anglophon: Ein Mensch namens Jim Dodd spielt Baß - wo hat man diesen Namen denn nur schon mal gehört? Egal: "Sudden Life" bietet 59 Minuten durchaus anspruchsvollen melodischen Hardrock, der es verdient, auch außerhalb der helvetischen Republik Verbreitung zu finden.
Kontakt: www.rizon.ch, www.karthagorecords.de

Tracklist:
Endless Journey
Gates Of Oblivion
Ravenmaster
Angel Of Affection
Burning Soul
Wishes & Dreams
Sea Of Time
Braving The Elements
Despair (I Am The Only Being)
Signs
Surrounded



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