www.Crossover-agm.de
MÜNCHENER FREIHEIT: Eigene Wege
von rls

MÜNCHENER FREIHEIT: Eigene Wege   (Koch Universal)

Überraschend düster kommt es daher, das 18. Album der Münchener Freiheit, jedenfalls was seine optische Gestaltung angeht. Die urbane Szenerie ruft einem Themen ins Gedächtnis, die letztmalig auf "Herzschlag einer Stadt" einen breiteren Raum eingenommen hatten - man erinnere sich an "Melancholie", eine Textzeile wie "Blumen im Asphalt, Risse im Beton" oder in seiner positiven Ausdeutung gar an "Sommernachtstraum". Der Asphalt im Booklet erblüht allerdings nicht, obwohl der Richtungspfeil schon ein paar Risse hat, und "Sommernachtstraum" steht bekanntlich seit einigen Jahren in einer traumhaften Version wieder im Liveset und dient in dieser auch als einer der Bonustracks für die Special Edition. Hier soll es allerdings um die Normaledition gehen, bestückt mit 13 Songs und nach dem ersten Hördurchlauf erstmal Entwarnung ermöglichend: Die düstere, in einer merkwürdigen Kombination allerdings sowohl Kälte als auch Wärme transportierende optische Gestaltung hat wenig Spuren in der Musik hinterlassen - vielmehr liegt ein fast schon als "klassisch" zu bezeichnendes Münchener Freiheit-Album vor, das seinen beileibe nicht schlechten Vorgänger "XVII" vor allem in einem Punkt deutlich in den Schatten zu stellen vermag: Stefan Zauner hat offensichtlich verstanden, daß man von der Münchener Freiheit nicht erwartet, daß sie musikalisch und produktionstechnisch auf der Höhe des Zeitgeistes steht - sie ist nun mal ein Relikt vergangener Jahrzehnte. Das macht sie nicht weniger wertvoll - ganz im Gegenteil: "Eigene Wege" klingt nach einem stolzen Bekenntnis zur eigenen Herkunft aus den Achtzigern, wenngleich mit der Kenntnis, was seither musikalisch passiert ist, und mit der Erkenntnis, daß man nicht zwingend versuchen muß, auch all die eher zweifelhaften Elemente der Achtziger zu kopieren, wenn man sich als konsequent rückwärtsgerichtete Band positioniert. Mit einigen wenigen Ausnahmen hätten alle dreizehn Kompositionen jedenfalls auch schon auf den Achtziger-Alben der Band stehen können und dort durchaus keine schlechte Figur gemacht. Und einen großen Vorteil hat "Eigene Wege": Es ist deutlich organischer produziert als vieles andere, was die Band in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten herausgebracht hat. Man erinnere sich nur noch an den Schreck, als man "Ich will dich nie wieder verliern", noch mit der starken rocklastigen, energischen und lebendigen Livefassung (die bereits auf der Tour zuvor angetestet worden war), erstmals in seiner seltsam sterilen Konservenfassung hörte - ein solcher Schreck bleibt hier aus, denn "Die Liebe zählt", das man wieder schon auf der letzten Tour hatte hören können, macht in seiner natürlich wirkenden Studiofassung ähnlich viel Laune wie in der Bühnenfassung, und die Studioarbeit hat hier im Gegenteil sogar zu einer Verbesserung der Komposition geführt: In der Urfassung noch leicht holprig wirkende Passagen wurden so ausgefeilt, daß der Fluß der Komposition an keiner Stelle mehr gestört wird. Vorab kennenlernen konnte man auch schon die beiden Opener der Platte, "Sie liebt dich wie du bist" und "Ein Augenblick in Rot". Zweitgenannter war in eine Fotoaktion eingebunden und in diesem Rahmen schon im Netz publiziert worden - er weist ein Stilmittel auf, mit dem die Band auf "Eigene Wege" mehrmals arbeitet und das Zauner in diesem Falle textlich anwendet: Er lenkt die Erwartungen des Hörers zunächst in eine ganz andere Richtung, um irgendwann eine Richtungsänderung von mindestens 90 Grad zu vollziehen. Die Selbstzweifel des Protagonisten kratzen jedenfalls zunächst eher an einer philosophischen Oberfläche, bevor dann doch "nur" ein klassischer Text ums Zaunersche Thema Nummer eins herauskommt. "Sie liebt dich wie du bist" wiederum wurde vorab auf der Myspace-Seite der Band veröffentlicht und auch als Single ausgekoppelt. Der eröffnende, leicht angeschrägte Gitarrenakkord läßt einen erstmal zusammenfahren, aber man stellt bald fest, daß Zauner nichts verlernt hat, wenn es um die Komposition klassischen Poprocks geht. Zudem geht ein Pluspunkt an die Band für den Mut, gerade einen Track als Single auszukoppeln, der einen derart langen (wenngleich natürlich eingängigen) Refrain aufweist, daß ihn sich der nur noch eingeschränkt konzentrationsfähige heutige Weichspülformatradiohörer wohl kaum noch merken kann. Das sicherlich ungewollte Paradoxon im Text wird dieser Teil der Zielgruppe mit großer Wahrscheinlichkeit auch gar nicht erst bemerken: "Das, was du in dir siehst, ist für andere nicht zu sehen" läßt die Aussage des Refrains "Weißt du, wieviel dich beneiden um so viel Glück" zwangsweise wie bitterste Ironie wirken. Apropos bitter: Daß der Rezensent nun gerade mit diesem Track unlängst eine extrem bittere Erfahrung im persönlichen Bereich machen mußte, kann man natürlich nicht der Band anlasten (ebenso wie man keine Band für Schulmassaker und ähnliche Dinge verantwortlich machen kann, wie es nichtsdestotrotz immer wieder gern geschieht, wenn man einen Sündenbock braucht, um vom eigenen Versagen abzulenken) und ist daher für eine objektive Beurteilung nicht relevant, wenngleich es die Aufgabe der subjektiven Aufladung einer objektiven Beurteilung (die zwangsweise erfolgen muß, denn eine rein objektive Rezension würde ausschließlich aus dem Abdruck der Tracklist, der Besetzung, der technischen Daten und vielleicht noch der Texte bestehen) nicht eben leichter macht, da man ja doch auch immer mit dem Herzen und nicht nur mit dem Hirn hört. Und in dieser Hinsicht hat Zauner (Alleintexter mit Ausnahme von "Mein Herz bleibt stehn", wo er neben dem Kompositions- auch den Texterjob an Michael Kunzi abgetreten hat) dem Rezensenten gleich eine ganze Reihe an Schierlingsbechern gereicht, und zwar konzentriert am Anfang und in der Mitte des Albums: Neben den beiden Openern sind "Good Bye", "Helden" und ganz besonders "Wenn die Sonne ruft" derzeit pures Gift für den Emotionenhaushalt - das aber wird bei jedem Hörer entsprechend seiner persönlichen Situation anders sein, und auch der Giftigkeitsgrad für den Rezensenten kann durchaus gewissen Schwankungen unterworfen sein, weniger der von "Helden" aufgrund der bitteren Konklusion des Refrains (die zugleich Zaunersche Selbsttherapie gewesen sein dürfte), aber vielleicht der von "Wenn die Sonne ruft".
Konzentrieren wir uns also lieber auf andere Teile der Albumanalyse, denn es gibt da noch etliche interessante Dinge zu entdecken. Die Rückschau geht diesmal so weit, daß die Band einige mehr oder weniger deutlich erkennbare Verweise in die eigene Vergangenheit eingebastelt hat. Wenig verkleidet kommt die Bridge im Titeltrack daher - es ist textlich wie strukturell eine nahezu identische Übernahme der ersten Strophe aus "Ich will dich nochmal" vom "Purpurmond"-Album, also auch mit dem dort zu hörenden Sprechgesang, hier allerdings nicht von Zauner, sondern von Gitarrist Aron Strobel übernommen, der im gesamten Titeltrack die Leadvocals singt. Die andere Single des "Purpurmond"-Albums, "Verlieben Verlieren", neuerdings auch (wieder?) im Liveset, enthielt einige typische "Baaa-BaBaaa-BaBaaa"-Chöre, die man auf der neuen CD nun in "Wenn die Sonne ruft" wiederfindet. Noch nicht eingefallen ist dem Rezensenten, in welcher anderen MF-Komposition man die Harmonik der drei Schlußakkorde von "Nur noch du und ich" in ähnlicher Form gebraucht hatte. "Alles fängt von vorne an/Wenn man Träume leben kann" in "Wenn die Sonne ruft" bleibt ein kleiner, aber unverkennbarer Verweis in Richtung dieser gewissen Orchestersingle vom "Fantasie"-Album, während "Teufel im Blut" vom "Liebe auf den ersten Blick"-Album gleich zweimal als Inspirationsquelle herhalten muß - in den Keyboardsounds des Intros des Titeltracks und generell vom Sujet her für "Sexy und durchtrieben", wenngleich die geschilderte Situation strukturell gewisse Unterschiede aufweist. Apropos Struktur: "Sexy und durchtrieben" ist einer der wenigen Münchener Freiheit-Songs, die nach dem Hauptsolo noch eine weitere Strophe anhängen und dort sogar noch textliche Präzisierungen (von "Wendungen" wollen wir mal nicht sprechen - hier wird nur der Charakter der "Titelheldin" als HWG-Protagonistin nochmal eindeutig herausgestellt) einbringen. Über die Notwendigkeit der verzerrten Gesänge in der ersten Strophe darf man streiten, über den generell gelungenen Aufbau der lockeren und mit einem netten, aber kurzen Akustikgitarrensolo ausgestatteten Komposition (mit 4:18 min die längste der 13 auf dem regulären Album befindlichen) nicht - man höre auch die Klavierlinien vor der letzten Strophe! "Unterwegs in die Freiheit", eine Kunzi-Komposition unter Zuarbeit von drei externen Menschen, ist ein weiterer dieser flotten, unwiderstehlichen Popsongs (diesmal ohne Rocktouch), für die man diese Band liebgewinnen kann, während das bereits erwähnte "Ein Augenblick in Rot" über den unauffälligen Anfang zu einem schönen Midtempopoprocker wird. "Good Bye" zeigt Zauners bissige Seite, wenn auch eher unterschwellig: Einen derart bitteren Text (dessen Bitterkeit wäre auch ohne den Kelch, den der Rezensent gerade zu leeren hat, deutlich feststellbar) musikalisch mit einer hübschen Kuschelballade umzusetzen hat was - wenngleich man beim genaueren Hören das schicksalsschwere Cello nicht verkennen kann. Dagegen atmet "Wenn die Sonne ruft", diesmal eine alleinige Kunzi-Komposition, Luft von Aufbruch, Urlaub und neuer Liebe, die einen dazu bringt, Hand in Hand über taunasse Wiesen zu springen, wenn man denn einen Grund dafür hat. Strobel singt den Titeltrack nicht nur, sondern hat ihn auch geschrieben und gönnt sich dafür gitarristisch eine starke Dominanzruhepause. Musikalisch richtig stark ist "Helden" ausgefallen - die glockenartigen Klänge bereiten den Hörer unterschwellig schon mal auf die erwähnte Bitternis ganz am Ende des Refrains vor: "Der Felsen steht - bis einer geht". Originell gestaltet, ist das der Beweis, daß aus der Zaunerschen Schmiede nicht nur Variationen bestimmter Themen (wie gut diese auch sein mögen) kommen, denn es gibt keinen direkten Verwandten dieser Komposition im dem Rezensenten bekannten Teil des Schaffens der Band; man würde sich allenfalls wünschen, die Andeutung des Harmoniewechsels im Hauch von Hauptsolo wäre noch deutlich konsequenter weiterverfolgt worden. Die dort noch eher zaghaft aufgebauten Orchestertürme stellen dann in "Mein Herz bleibt stehn" das Haupttragelement dar, allerdings wirkt der Kunzi-Song als Ganzes wie eine etwas abgespeckte Version von "Hier und überall", nicht schlecht, aber eben nur eine Light-Fassung, und die Echoeffekte jeweils am Zeilenende sind zwar nette Achtziger-Reminiszenzen, aber solche, die nicht unbedingt hätten sein müssen. Wäre das ein Zauner-Text, hätte man den oben erwähnten Selbsttherapie-Effekt hier noch in deutlich stärkerem Maße thematisieren müssen, aber vielleicht ist es gerade die Tatsache, daß Kunzi den Text geschrieben hat und Zauner ihn nur singt, die den kathartischen Effekt noch verstärkt - ein Verdacht, der durch den Tonartwechsel im Schlußton in Dur-Richtung noch verstärkt wird. "Die Liebe zählt" dürfte sich einige Zeit im Liveprogramm halten - wieder ein klassischer Poprocker exzellenter Qualität (man höre mal die flötenartigen Keyboards im Finale), was auch auf die beiden nächsten Songs zutrifft, die allerdings beide auch wieder die erwähnte Verschleierungstaktik fahren: Sowohl "Aus der Nummer raus" (Strobel) als auch "Durch Himmel und Hölle" (Zauner) lassen anhand ihrer eher unauffälligen Einleitungen nicht erahnen, in was für kapitale Brecher (ersterer mittelschnell, zweiterer massiv-schleppend) sie sich verwandeln werden. Lediglich "Nur noch du und ich" als Albumcloser fällt wieder ab - wenig markant, weder richtig kuschlig noch richtig mitreißend, zudem wieder mit den hier eher unangenehm berührenden effektbeladenen Vocals, hält diese ruhige Nummer das hohe Qualitätslevel dieses Albums nicht. Man kann freilich nicht verhehlen, daß ein richtiger Übersong wie "Hier und überall" vom Albumvorgänger diesmal nicht auszumachen ist, aber dafür gibt es gleich eine ganze Anzahl richtig starker Nummern in wenig Fragen offenlassenden Studiofassungen. Daß das Ganze kompetent eingespielt wurde, steht außer Frage, auch Zauner ist nach wie vor sehr gut bei Stimme, wenngleich er diesmal nicht falsettieren muß/darf. Eine starke Leistung und der neuerliche akustische Beweis, daß die optisch ergrauenden Herrschaften noch lange nicht an den Ruhestand denken müssen.
Kontakt: www.muenchenerfreiheit.info, www.crocodile-music.de, www.kochuniversal.de

Tracklist:
Sie liebt dich wie du bist
Ein Augenblick in Rot
Unterwegs in die Freiheit
Good Bye
Wenn die Sonne ruft
Eigene Wege
Helden
Sexy und durchtrieben
Mein Herz bleibt stehn
Die Liebe zählt
Aus der Nummer raus
Durch Himmel und Hölle
Nur noch du und ich



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver