www.Crossover-agm.de Münchener Freiheit   09.03.2006   Chemnitz, Stadthalle
von rls

Die aktuelle Scheibe der Münchener Freiheit ist eine Best Of mit allen Singles, die die Truppe in den knapp 25 Jahren ihres Bestehens bisher auf den Markt geworfen hat. Von daher besaß eine Frage besonderes Spannungspotential: Würden sich die von der Band üblicherweise in ihre zu regulären Touren gehörigen Gigs eingebauten Überraschungen aus dem allgemein eher wenig bekannten Singlematerial der Neunziger zusammensetzen (das auf der erwähnten Best Of statusgemäß nicht fehlte), würde sie uns mit ganz anderen Ideen überraschen, oder würde es diesmal (fast) gar keine Überraschungen geben, wie schon letztes Jahr in Radeberg? Antwort auf diese Frage suchte ein erklecklich großes Publikum in der Chemnitzer Stadthalle zum Tourauftaktgig, und um es vorwegzunehmen: Die zweitgenannte Option stellte sich als die richtige heraus. Auf der Homepage war angekündigt gewesen, daß im Vergleich zur letzten Tour sieben Songs neu ins Programm aufgenommen worden seien - nun hatte ich die letzte Tour aber verpaßt (bis auf besagten Radeberg-Gig, der aber nur ein abgespecktes Programm beinhaltet hatte), und von daher stellte sich natürlich die Frage, um welche Songs es sich bei den besagten sieben handelt. Letztlich waren es drei neue und vier alte.
Aber der Reihe nach: Nahezu pünktlich um 20 Uhr erklang ein Intro aus "Purpurmond"-Elementen - daß die Band danach aber gleich mal "Ihr kommt zu spät" (rein vom Titel her natürlich ein perfekter Showopener, den ein kleiner Teil des Publikums offenbar vorher schon geahnt und daher wörtlich genommen hatte) intonieren würde, stellte die erste positive Überraschung dar, bevor "Tausendmal Du" und das erstaunlich früh gespielte "Herz aus Glas" andeuteten, daß das übliche Hitfeuerwerk natürlich auch an diesem Abend abgebrannt würde. Ab "Herz aus Glas" hatte auch der Soundmensch alles im Griff (vorher waren Keys und Gitarren einen Tick zu unterrepräsentiert gewesen) - keine Überlautstärke, gute Balance, vorbildlich. Auch spieltechnisch präsentierte sich die Band in guter Form - daß es der erste Gig der Tour war, merkte man an keiner Stelle; das Zusammenspiel klappte sprichwörtlich blind (immerhin ist die Besetzung ja auch schon seit 1984 stabil ...), die Satzgesänge saßen wie eine Eins, und man merkte den Herrschaften an, daß sie immer noch jede Menge Spaß an ihrer Musik haben und sie eben nicht nur wie einen stinknormalen Job, der eben gemacht werden muß, handhaben. Besonders hervorgehoben werden muß Stefan Zauner, der leicht angeschlagen zu sein schien und in den Ansagen teilweise krächzte wie ein Rabe (und diese dementsprechend kurz und knapp hielt), der aber bis auf zwei, drei gekappte Höhen eine absolut tadelsfreie gesangliche Leistung erbrachte; in bewährter Weise bediente er außerdem noch die zweite Gitarre und das zweite Keyboard und verlieh dem Sound noch einen Tick mehr Fülle. Hier und da war das auch bitter nötig, denn gerade die beiden Bonustracks der Best Of, "Kleine Wunder" und "Du bist das Leben" (die beide in der Setlist standen, die Neu-Liste mit dem Opener damit auf drei erhöhend), wären bei luftigerer Instrumentierung gefährlich nahe als Schlagerfach herangedriftet (erstgenannter näher als letzterer), wenngleich im richtigen Moment immer wieder ein Break oder Harmoniewechsel ausgepackt wurde, der für den kleinen Unterschied der Münchener Freiheit zu besagten Eindimensionalikern sorgt (und den Spötter gern, aber vergeblich hinwegzudiskutieren versuchen). Trotzdem ist nicht damit zu rechnen, daß sich diese beiden Songs länger im Liveprogramm halten - ganz im Gegensatz hoffentlich zu "Geile Zeit" (endlich mal wieder ein richtiger Klassiker!) und auch zu "Ich will dich nie wieder verliern", einem ganz neuen Song, der noch nicht mal irgendwo auf Platte steht (Punkt vier auf der Neu-Liste) und der sich ganz im Gegensatz zu seinem recht platt wirkenden Titel als mit einem starken, harmonisch erneut interessant ausgestalteten Refrain ausgestatteter Poprocker entpuppte, der allenfalls in den Strophen noch einen Tick mehr Opulenz hätte vertragen können. Seinen Vorgänger in der Spielfolge bildete, ein bewährtes und aufgrund des wechselnden Neu-Objektes immer wieder spannendes Spielchen inszenierend, "Zeig mir die Nacht", anno 1982 die erste Single der jungen Band. Daß die Band auch die ganz frühe Vergangenheit nicht vernachlässigt, ehrt sie, und nachdem anno 2005 "Licht" live etwas intensiver durchforstet worden war, tat man anno 2006 das Gleiche mit "Herzschlag einer Stadt", dem 1984er Werk. "Herzschlag ist der Takt", der Quasi-Titeltrack, war natürlich Pflicht, von "Oh Baby" intonierte man endlich wieder die klassische Version anstelle der mißglückten industrialisierten, und natürlich fehlte auch "SOS" nicht (dessen Mittelteil in der beispielsweise auf der 1991er Livescheibe nachzuhörenden Version allerdings noch begeisternder arbeitete). Aber dabei blieb es nicht, und somit kommen wir zu den Punkten 5 und 6 der Neu-Liste: Schon "Kalt oder heiß" war eine faustdicke Überraschung - ja, und dann legte Alex Grünwald einen kurzen warmen Solo-Keyboardteppich aus (wenn nicht er, sondern Stefan Zauner den intoniert hätte, hätte ich an dieser Stelle die Wiederkehr des alten Amon Düül 2-Geistes vermutet - Stefan war bekanntlich von 1976 bis 1979 Mitglied der alten Krautrocker), in den nach einiger Zeit eine charakteristische schleppende Schlagzeugfigur eingefügt wurde: Tatsächlich, die Band hatte "Sommernachtstraum" ausgegraben, einen dunkelromantischen Song, dessen Stimmung man mit Worten eigentlich nicht adäquat wiedergeben kann. Im Vergleich zur Studiovariante setzte die Band allerdings noch eins drauf, indem sie im Mittelteil ein ausgedehntes atmosphärisches Instrumentalsolo einbaute - und spätestens da war er eben doch da, der Geist von Amon Düül 2, der die tiefschürfenden Experten im Publikum von denen, die eben nur den einen oder anderen Hit der Truppe kennen, schied und der eigentlich jeden der o.g. Spötter zum endgültigen Verstummen bringen müßte. Danach hätte der Rezensent eigentlich gehen können, Besseres war nicht mehr zu erhoffen - er blieb natürlich trotzdem, und das war auch gut so, denn sonst hätte er Neu-Punkt 7 verpaßt und damit eine weitere faustdicke Überraschung: Die Münchener Freiheit war bekanntlich nie eine Balladenband, ihre großen Hits rekrutierten sich nie aus diesem Sektor, und trotzdem steht auf den Studioscheiben immer mal wieder ein balladesker Geniestreich. Einer derselben kam als wunderbare Akustikversion zum Tragen - und zwar "Mondlicht"! Auch hier versagen wieder die Beschreibungsorgane angehörs der eskapistischen Stimmung völlig. Auf den Boden der Tatsachen zurück führte die Band mit der anschließenden Halbakustikversion von "Du bist Energie für mich", dem einzigen Song aus der Periode zwischen "Liebe auf den ersten Blick" und "Geile Zeit". Der Rest: Business as usual - und immer wieder begeisternd, auch wenn man gerade nicht frisch verknallt oder frisch getrennt ist. Der Bombastmittelteil von "Wenn das so einfach ist" erzeugte den raumgreifendsten Sound des gesamten Gigs, bei "Ohne dich schlaf' ich heut' nacht nicht ein" sprang das Publikum endlich von seinen Sitzen (das war das große atmosphärische Manko des Gigs - wer ist auf die Idee gekommen, die Band in einer bestuhlten Halle, wo nicht mal vorn in Bühnennähe richtig Platz zum Hinstellen ist, spielen zu lassen?), und das folgende "Ich steh' auf Licht" markierte den üblichen Schlußpunkt des regulären Sets. "So lang man Träume noch leben kann" und "Bis wir uns wiedersehn" (endlich wieder in einer druckvolleren Version gespielt, wenngleich da immer noch ein paar Reserven nach oben offen bleiben) markierten die Zugaben, und man durfte gespannt sein, ob die Praxis, unter Instrumententausch als letzte Zugabe einen Rockklassiker runterzuhobeln, auch diesmal gepflegt würde. Antwort: Sie wurde - diesmal mußte Bryan Adams mit "Summer Of '69" dran glauben, leider nur in einer sehr basisch gehaltenen Version, die die beeindruckenden Fähigkeiten von Michael Kunzi als Leadgitarrist nicht zum Tragen kommen ließ (mit Tränen in den Augen denke ich an die extended version von "All Right Now" auf der 1998er Tour zurück). Aber das ist ja eine Sache, die man auf der nächsten Tour wieder geradebiegen kann und die Wahl des Spielortes auch (vielleicht wäre ein halbbestuhlter Saal die Ideallösung: Man vergrault die Ü 55-Fraktion, die keine zwei Stunden mehr stehen kann, nicht, und die Jüngeren haben vorne genug Platz, um richtig Party zu machen - im Sitzen headbangen ist auch nicht so das Gelbe vom Ei ...). Ansonsten bleibt die Erinnerung an einen sehr starken Gig einer Band, die zwar ihre ganz großen kommerziellen Erfolge hinter sich zu haben scheint, die aber immer noch ihr ureigenes Ding durchzieht und die ich mir deshalb immer wieder gern anschaue.



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