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Münchener Freiheit   04.06.2005   Radeberg, Brauereifest
von rls

100 Jahre ist es her, seit der seinerzeitige sächsische König geruht hatte, einem der Gerstensäfte aus dem seiner Residenzstadt Dresden unmittelbar benachbarten Radeberg seinen königlichen Segen als offizielles Hofgetränk zu erteilen. Diesen Anlaß nahm sich die Radeberger Brauerei zu Herzen und stellte am ersten Juniwochenende ein Brauereifest auf die Beine, das in der Kleinstadt für eine Art Ausnahmezustand sorgte. Der Rezensent passierte am Samstagabend zwar gegen 20 Uhr die Stadtgrenzen (das war übrigens auch die ursprünglich verbriefte Zeit, zu der der abendliche Gig der Münchener Freiheit beginnen sollte), war aber noch weit davon entfernt, etwa einen freien Parkplatz zu finden, und begann sich ob der sich immer mehr verdichtenden Menschenmassen zu fragen, inwieweit hier überhaupt noch etwas gehen könne. Nach etlicher Kurverei durchs Verkehrschaos konnte er endlich weitab vom Geschehen den Kundenparkplatz eines Küchenstudios temporär in Beschlag nehmen (auch sämtliche Supermarktparkplätze in der näheren Umgebung der Brauerei hatten sich als hoffnungslos überfüllt erwiesen) und sich gen Brauereigelände in Marsch setzen. Dieser Marsch erbrachte sowohl die Bestätigung der bereits vom Auto aus gewonnenen Erkenntnis eines gigantischen Menschenauflaufs als auch einen gewissen Beruhigungseffekt, schallten doch von der Bühne (die gar nicht so weit entfernt vom Marschweg lag, aber weiträumig umgangen werden mußte, um zum Geländeeingang zu kommen) diverse Seventies- und Eighties-Altrockklänge wie beispielsweise Survivors "Eye Of The Tiger" in nicht nach der Münchener Freiheit klingenden Versionen herüber. Folglich konnte davon ausgegangen werden, daß man erstmal nichts verpaßt hatte.
Mit pfadfinderischem Spürsinn für die eine oder andere Lücke in den Menschenmassen (möchte nicht wissen, was passiert wäre, wenn dort durch irgend einen Schwachkopf - es gab aufgrund freien Eintritts auch keine Einlaßkontrollen - eine Panik ausgebrochen wäre; die Anzahl der Totgetrampelten hätte sich mindestens im dreistelligen Bereich bewegt) hatte ich mich letztlich bis auf ca. 40 oder 50 Meter an die Bühne herangekämpft und wurde gewahr, daß ich doch was verpaßt hatte. Am Werkeln war nämlich eine Berliner Coverrockband (Namen sind Schall und Rauch), und die machte ihre Sache durchaus sehr ordentlich, wie die vier Songs, die ich noch zu hören bekam, bewiesen. Der Keyboarder entpuppte sich bei Jethro Tulls "Locomotive Breath" auch als fähiger Flötist, der Drummer war augenscheinlich allenfalls halb so alt wie seine vier Mitstreiter, der Sänger wurde den unterschiedlichen Herausforderungen der gecoverten Songs durchaus gerecht, und eine schöne extended version von The Frees "All Right Now" zum Schluß ließ die Vermutung aufkommen, daß wir diesen Song im Gegensatz zur 1998er Tour wohl nicht im Set der Münchener Freiheit wiederfinden würden.
Danach galt es eine schrecklich lange halbe Stunde zu überstehen, die von zwei Moderatoren eines Radiosenders, der fieserweise in zwei der drei Buchstaben mit dem Kürzel des Rezensenten übereinstimmt, in gruseligster "Pseudowitzige Morningshow am Abend mit noch pseudowitzigeren Spielchen und Einlagen"-Manier überbrückt wurde. So weit unten liegt der IQ-Durchschnitt des Volkes, auch des biertrinkenden Volkes, nun auch wieder noch nicht, als daß man solche Entwicklungen noch befördern müßte. Aber solange es diese sklavische Formatierung im Radio gibt, "Abwechslung" im Duden nachgeschlagen werden muß und es als witzig gilt, wenn Menschen singen, die dies definitiv nicht können (und damit sind nicht die Sänger von Death Metal-Bands gemeint - den DSDS-"Absolventen" möchte ich sehen, der auf der Bühne untrainiert eine Vertretung für einen x-beliebigen Death Metal-Gig übernehmen könnte, ohne nach zwei Minuten in der Ecke zu liegen), solange es aber andererseits da draußen auch noch genug Menschen oder diesen zumindest optisch ähnelnde Wesen gibt, die sich diesen Schmu freiwillig den ganzen Tag lang anhören, solange werden sich die paar Rufer weiterhin in der Wüste aufhalten müssen und sich freuen dürfen, wenn sie mal eine Oase entdecken. Die Vorband war an diesem Abend so eine Oase, die Münchener Freiheit auch - aber ringsherum herrschte im übertragenenen Sinne glühender Samum.
Was war von der Münchener Freiheit zu erwarten? Zweimal (1998 und 2001) hatte ich sie live gesehen, zweimal mit einem bunten Best Of-Programm, aber auch einigen Überraschungen. Einerseits hätte ein solcher Gig außerhalb des eigentlichen Tourrahmens also mal die Gelegenheit geboten, eine noch größere Dosis an Überraschungen einzubasteln, andererseits aber mußte eben mit diesem Element auch vorsichtig umgegangen werden, da im Gegensatz zu den Touren hier nicht mit einem auf die Band fixierten Publikum zu rechnen war, sondern eher mit einem, das den einen oder anderen Eighties-Classic zweifelsohne kennt, aber ansonsten nicht mal weiß, daß die Band auch nach "Fantasie" noch regelmäßig im Zwei- bis Dreijahresturnus neue Studioalben veröffentlicht hat. Die Band hatte sich offensichtlich die gleichen Gedanken gemacht und war prinzipiell auf Nummer sicher gegangen, hatte das Tourprogramm vom Februar 2005 um eine halbe Stunde eingekürzt (vermutlich aus vertraglichen Gründen - letzten Endes betrug die Nettospielzeit in Radeberg nicht mal 'ne anderthalbe Stunde) und bis auf zwei Nummern vom aktuellen Album "Geile Zeit" ausschließlich Material in der Setlist geparkt, das 1992 oder früher entstanden war. Zumindest eine mutige Entscheidung aber hatten die Jungs gefällt: Sie eröffneten nämlich nicht etwa mit einem Classic, sondern stellten einen der beiden Neulinge an die Front, zudem den sperrigeren von beiden: Der Titeltrack "Geile Zeit" entpuppte sich zumindest live als für Freiheit-Verhältnisse erstaunlich harte hymnische Midtempo-Rocknummer mit geschickt arrangiertem Zentralbreak. Gewonnen hatte die Band damit trotzdem, denn das Auditorium spendete auch für diesen eher ungewohnten Auftakt für die Verhältnisse des Abends sehr wohlwollenden Applaus (die relativierende Wortwahl erklärt sich aus einer während der Gigs insgesamt nur mäßigen Begeisterungsfähigkeit des Publikums - bei solchen Massen hätte man auch eine ganz andere Frenetizität erreichen können). Der andere neue Song war die Single "Ein Engel wie du", auch der keinesfalls so eindimensional, wie Spötter, die die Band mitunter ins simple Schlagerfach abschieben wollen, gern zu behaupten pflegen. Natürlich sollte auf Freiheit-Platten niemand hochphilosophische Traktate verpackt in siebzehnminütige Artpoporgien erwarten (wogegen ich freilich auch nichts einzuwenden hätte :-)), doch die Jungs haben zweifellos den Dreh raus, wie man prinzipiell massenkompatible, aber dennoch eben nicht anspruchslose Popperlen schreibt, was sich keinesfalls auf die bekannten Mittachtziger-Alben "Traumziel" und "Fantasie" beschränkt (wäre die Radiolandschaft heute noch mit der in den Mittachtzigern vergleichbar, würden auch die aktuellen Alben keineswegs das Schattendasein führen, zu dem sie in der Realität verurteilt sind). Und von solchen Perlen wimmelte es im Rest des Sets nur so, wenngleich (nicht nur aufgrund der Kürze des Sets) natürlich nicht alle Wünsche erfüllt werden konnten. Durchs Qualitätsraster fiel im Prinzip nur die eigenartig industrialisierte Version von "Oh Baby" (auf die lahme neue Version von "Bis wir uns wiedersehn", die dem alten Bombastspeedhammer von "Fantasie" hoffnungslos unterlegen ist, verzichtete man), während bei "Herz aus Glas", "Tausendmal du", dem unvermeidlichen "Ohne dich schlaf ich heut nacht nicht ein" oder dem obergenialen "Wenn das so einfach ist" (was für ein Mittelteil!) im positivsten Sinne alles beim alten war, wenngleich man den Jungs zweifellos ansieht, daß sie nicht jünger werden; zudem soll speziell Gitarrist Aron an dem Abend stimmungsseitig etwas indisponiert gewesen sein (was zum Glück keinen Einfluß auf sein Spiel hatte). Aber Fronter Stefan (der auch des öfteren zur zweiten Gitarre oder zum zweiten Keyboard griff) war gut gelaunt und stimmlich in guter Form - und mit ihm steht und fällt diese Band nun mal. Daß "Zeig mir die Nacht" vom 1982er (!) Debüt "Umsteiger" immer noch im Set steht, ehrt die Musiker zweifellos - vielleicht sollten sie 2007 zum 25jährigen Jubiläum dieses Albums mal auf Spezialtour gehen und die komplette Scheibe durchspielen (würde doch zu gerne mal "Neutrino" live hören). Der Gesamtsound war bis auf einige kleine Haker recht gut ausbalanciert, wenn auch volumenseitig vergleichsweise zurückhaltend (vermutlich anwohnerbedingt). An Fremdkompositionen beschränkte sich der reguläre Set auf John Lennons "Imagine" (erstaunlicherweise der ruhigste Song des kompletten Gigs - sollte also jemand auf "Diana" oder gar "Sommernachtstraum" gehofft haben, so wartete er vergebens), und man durfte gespannt sein, was die Band nach der ersten Zugabe (die bestand aus dem auch schon uralten "Rumpelstilzchen" und dem Classic "So lang man Träume noch leben kann", letzteres als reine Bandversion umarrangiert, also ohne eingesampeltes Orchester) noch ausgraben würde. Man pflegte auf den Touren an dieser Stelle gewöhnlich die Instrumente zu tauschen und einen Rockklassiker runterzuhobeln - 1998 wie erwähnt "All Right Now" und 2001 "Rockin' All Over The World". Und siehe - auch auf diesem Außer-Tour-Gig blieb die Band dieser Tradition treu: Stefan wechselte an die Drums und überließ dem eigentlich dort sitzenden Rennie das Frontmikro, Bassist Micha griff zur Leadgitarre, Keyboarder Alex zur Rhythmusaxt, und Aron schnallte sich den Baß um. Diesmal intonierte das Quintett "I Love Rock'n'Roll", konnte damit aber nicht ganz so überzeugen wie besonders 1998, wo speziell Rennie (mit einer kratzigen Stimme, die Paul Rodgers alle Ehre machte) und Micha (der im improvisierten Solo gar nicht wieder aufhören wollte, so viel Spielspaß hatte er) in "All Right Now" eine unglaubliche Performance abgeliefert hatten. Dieser letzte Kick fehlte diesmal, was aber die Gesamteinschätzung eines durchaus starken Gigs nicht entscheidend beeinträchtigt. Die Möglichkeiten, diesen nachwirken zu lassen, blieben allerdings gering, denn das bereits erwähnte Moderatorenduo betrat wieder die Bühne und trieb den Rezensenten zur schnellstmöglichen Flucht vom Ort des Geschehens, was angesichts der immer noch ziemlich fest geschlossenen Reihen auf dem Brauereigelände allerdings wieder einige Zeit in Anspruch nahm. Zumindest das Verkehrschaos aber hatte sich um 22.45 Uhr halbwegs aufgelöst.



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