www.Crossover-agm.de DREAM THEATER: Train Of Thought
von rls

DREAM THEATER: Train Of Thought   (Elektra)

Zugegeben nicht mehr ganz so taufrisch, diese Dream Theater-CD (sie steht bereits seit Herbst 2003 in den Läden), aber ich habe sie mir erst im August 2004 zugelegt (in einem der drei Plattenläden des italienisch-schweizerischen Bergdorfs Livigno übrigens, der den Namen Symphony trägt, aber keine einzige klassische CD im Sortiment hat), und da das gute Stück zum Reviewzeitpunkt im September 2004 hier und da gar preisreduziert im Laden steht, macht das nachträgliche Review auch noch zumindest ansatzweise Sinn. Denn möglicherweise hat den einen oder anderen potentiellen Käufer die sehr düstere Optik des Albums oder die in manch anderem Review zu lesende Aussage, daß der musikalische Inhalt mit dem Tenor dieser Optik einhergehen würde, abgeschreckt, und auch meinereiner war zugegebenermaßen zunächst skeptisch, zumal das letzte Dream Theater-Album, das ich vollständig kenne, auf den Namen "Falling Into Infinity" hört und an die Wunderwerke "A Change Of Seasons", "Images And Words" und "When Dream And Day Unite" trotz etlicher sehr starker Songs (man erinnere sich beispielsweise an "Peruvian Skies") nicht ganz anknüpfen konnte. Der Kenner wird bemerken, daß in meiner Aufzählung das 1994er Album "Awake" fehlt - mit dessen teilweise recht rüder, sogar thrashlastiger Attitüde konnte ich mich nie so recht anfreunden, da sie irgendwie ein wenig aufgesetzt wirkte. Und nun kommt "Train Of Thought" daher, transportiert zumindest partiell eine ähnliche Attitüde - und diesmal paßt's! Aber das hat Gründe, denn Dream Theater gehen schon von der prinzipiellen Ausrichtung her auf "Train Of Thought" erstaunlich basisch zu Werke. Natürlich sind sie in der Gesamtbetrachtung immer noch im von ihnen selbst mitdefinierten Prog Metal-Genre zu Hause, aber schon der Opener "As I Am" erweckt eher den Eindruck massiven rifflastigen Power Metals, die Breakzahl hält sich in ungewohnt niedrigen Grenzen, und John Petrucci stimmt seine Gitarre gerne mal ein paar Halbtöne herunter. Natürlich hält sich das Hitpotential selbst dieses Songs in Grenzen, aber das dachte man vor über einer Dekade von "Pull Me Under" auch. Mit knapp acht Minuten ist "As I Am" auch der zweitkürzeste Song des Albums (nur das balladeske, eher einem Interludium gleichende und cellounterstützte "Vacant" bleibt mit knapp drei Minuten noch darunter), die anderen fünf knacken die Zehnminutenmarke allesamt, der Closer "In The Name Of God" kommt erst kurz nach dem Umschalten auf 14 Minuten zum Stehen. Das Erstaunliche an der Sache ist nun, daß Dream Theater solche Songlängen selbst mit minimierten Mitteln unlangweilig und spannend gestalten können. Jordan Rudess hat nämlich offenbar öfter mal frei bekommen - seine Keyboards tragen zu den Songaufbauten, der thematischen Arbeit erstaunlich wenig bei, und selbst John Petrucci legt weniger Wert auf Hooklines als aufbauunterstützendes Element, konzentriert sich statt dessen öfter auf isoliert betrachtet mitunter erstaunlich simples Riffing. Auch John Myung tritt selten in den Vordergrund, Mike Portnoy wütet ebenfalls recht songdienlich hinter seinem Schlagzeug, und so könnte man in Zweifel geraten, daß die besagten Songlängen bisweilen in Gähnattacken münden. Selbige Zweifel sind wie dargelegt aber unbegründet, da es die vierköpfige Songwriterriege (der kreative Beitrag von Sänger James LaBrie beschränkt sich auf die Lyrics zu "Vacant") geschafft hat, die Songs strukturell so begnadet auszufeilen, daß man trotz der nicht so wie gewohnt spektakulären Einzelelemente trotzdem noch an allen Ecken und Enden positive Überraschungen erlebt. Ein paar Beispiele gefällig? Bitteschön: "Honor Thy Father" überzeugt mit einem simplen, aber wirkungsvollen Refrain, der hervorragend mit dem umliegenden Material korrespondiert. Jordan Rudess gönnt sich und seinen Mitstreitern in "Endless Sacrifice" bei Minute sechseinhalb ein kammermusikalisch anmutendes, witziges Zwischenspiel, in dem die Themen nur so hin und her fliegen. Und wenn Petrucci und Rudess sich mal gegenseitig von der Leine lassen und so hemmungslos zu frickeln beginnen, wie man das von ihnen einfach erwartet, bleiben nicht nur den Musikern unter der Hörerschaft die Kinnladen offen stehen - das Hochgeschwindigkeitssolo zum Ausklang von "This Dying Soul" ist ein gutes Beispiel für die unglaublichen Fähigkeiten der beiden, das Instrumental "Stream Of Consciousness" (jawohl, auch dieses über 10 Minuten lang) ein noch besseres, und trotzdem zerpflücken die instrumentalen Eskapaden, in die sich auch die Rhythmusgruppe ansatzweise gerne einreiht, das Gesamtbild nicht. Im Gegenteil: Im Schlußteil besagten Instrumentals packt Petrucci einfach mal eine fast traditionelle und eingängige Gitarrenmelodie aus, die er über einem wechselnden instrumentalen Background etwa eine Minute lang variiert - und solche Melodien suchen Gitarristen weltweit schon krampfhaft, seit Helloweens "Keeper I" erschienen ist. Da fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, daß die einzigen wirklich einprägsamen Gesangslinien in den Refrains zu finden sind, während James LaBrie für die Strophen recht schwierige Aufgaben zugefallen sind, die er mal mit fast sprechgesangartigem Deklamieren, mal mit kurzen Verzerrereinlagen, bisweilen auch mit einfachen Tonrepetitionen löst, was das livehaftige Mitformulieren je nach Herangehensweise erleichtert oder erschwert. Das abschließende "In The Name Of God" faßt das komplette Album in knapp 15 Minuten noch einmal zusammen (wer um Minute 9 mal kurz an Rimski-Korsakow denkt, liegt nicht ganz falsch, obwohl Petrucci zwar ähnlich spielt, aber den berühmten Hummelflug nicht kopiert) und transportiert Lyrics, welche zur düsteren Optik des Albums passen, indem sie (wenngleich wenig reflektiert) Dinge aufzählen, welche die Menschheit im Namen Gottes so alles verbricht. Aber wie gesagt: Außer in den heruntergestimmten Gitarren findet die düstere Optik keinen Widerhall in der Musik auf "Train Of Thought", das sich zu Recht in eine Reihe mit den drei weiter oben genannten Meisterwerken der Frühzeit stellen darf, wiewohl deren abstruse Genialität nicht ganz erreicht werden kann.
Kontakt: www.dreamtheater.net, www.elektra.com

Tracklist:
As I Am
This Dying Soul
Endless Sacrifice
Honor Thy Father
Vacant
Stream Of Consciousness
In The Name Of God



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