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Chemnitz rocken! Vorrunde 3: Too Little Cage, The Oceanic Bliss, Molllust   02.03.2012   Chemnitz, Schauspielhaus
von rls

Zum bereits vierten Mal wird der Nachwuchswettbewerb "Chemnitz rocken!" ausgetragen, und der Rezensent freut sich, bei der dritten von insgesamt fünf Vorrunden in der Hinterbühne des Schauspielhauses von feiner Pausenmusik begrüßt zu werden: Die Klänge von Tristania haben zudem den Vorteil, daß sie bestens in den Set der ersten Band überleiten. Molllust (auf einen solchen Bandnamen muß man erstmal kommen) betiteln ihren Stil mit Opera Metal, liegen damit freilich einen Deut daneben, denn typische Opernstrukturen wie die Verteilung jeweils bestimmter Gesangspartien auf fest definierte Sänger treten in ihrem Schaffen nur an einigen Stellen auf. Man versteht freilich, was sie meinen, wenn man sie nur auf der Bühne sieht: Links hinten steht eine Geigerin, vor ihr sitzt eine Cellistin, und am auffälligsten agiert die in ein langes weißes Kleid gehüllte Sängerin, die vor sich noch das Keyboard stehen hat und sowohl optisch als auch von den Bewegungen her irgendwie an eine leicht modernisierte Variante von Desireless erinnert. Die anderen drei Bandmitglieder sind männlichen Geschlechtes: eine Rhythmusgruppe sowie ein Gitarrist, der den lyrischen Sopran der Keyboarderin gelegentlich mit leicht pathetischen Baritonklängen flankiert oder eben sich an einigen Stellen Handlungsduette mit ihr liefert, übrigens durchgehend in deutscher Sprache. Eine solche Besetzung ist natürlich irre schwer abzumischen, und so hört man an diesem Abend die Cellistin nur in den ruhigeren Passagen, und auch die Sängerin ist trotz sehr empfindlich eingestelltem Kopfmikro in den tieferen Lagen kaum auszumachen - das Material würde man aber gerne mal in konservierter Form hören, um die unzweifelhaft vorhandene Ideenvielfalt etwas genauer analysieren zu können und festzustellen, ob beispielsweise die etwas schrägen Harmonien im Intro von "Lied zur Nacht" (die Songtitel sind nachträglich hinzugefügt worden - die Sängerin macht zeitsparenderweise kurze unprätentiöse Ansagen und verzichtet völlig auf das Ankündigen der Titel) so konzipiert waren oder nicht. Die doomigen Riffs in "Tanz des Feuers" erinnern bisweilen sogar an einige Passagen vom Torchure-Debüt aus dem Jahre 1992, auch wenn zu bezweifeln ist, daß dieses auf die noch recht jungen Musiker entscheidende Prägungen ausgeübt haben dürfte. Besonders der Setcloser "Kartenhaus" überzeugt mit seiner Mixtur aus lyrischer Zurückhaltung und für Molllust-Verhältnisse wildem Gebretter, und die Stimme der Sängern hat man schon zuvor, nämlich im beeindruckenden hohen Schlußton von "Lied zur Nacht", ins Herz geschlossen. Letztgenanntes Prädikat trifft aber scheinbar nicht auf alle Anwesenden zu: Molllust, die aus Leipzig stammen und an diesem Abend zum ersten Mal in Chemnitz spielen, werden artig beklatscht, mehr aber auch nicht, und in Bühnennähe wagt sich auch niemand, obwohl die weiblichen Bandmitglieder eigentlich kein Abschreckungspotential entfalten ...
Das tut das einzige weibliche Bandmitglied von The Oceanic Bliss auch nicht, wobei das Quintett, nachdem Molllust schon keinen einzigen Songtitel in den Ansagen vorkommen ließen, noch einen Schritt weitergeht: Es verzichtet komplett auf Ansagen - die dreieinhalb Songs werden per Einspielungen, die die Anlage übrigens bedenklich knistern lassen, zu einem großen Block verbunden. Dreieinhalb Songs in 30 Minuten (jede Band hat in bewährter Weise diese Spieldauer zur Verfügung, um das Publikum für sich einzunehmen) lassen vermuten, keinen Punkrock vorzufinden, und so ist es denn auch: The Oceanic Bliss spielen Progressive Metal, und allein dafür, daß sie in den neuen Bundesländern, wo selbst Prog-Leuchttürme wie Toxic Smile kein Bein auf den Boden bekommen, dieser Sorte Musik frönen, gehört ihnen ein Orden für Wagemut und Durchhaltevermögen verliehen. Bis sich diesem ein zweiter für außergewöhnliches Songwriting hinzugesellt, könnte es noch einen Moment länger dauern, aber zur Analyse ihres Schaffens braucht man sowieso mehr als nur ein einmaliges Liveerlebnis und würde sich, wenn man nicht sowieso zur im Mai erscheinenden Debüt-Konserve greift, vor allem in den Gitarren einen noch geringfügig differenzierteren Sound wünschen. Ideenreichtum kann man der Band jedenfalls keineswegs absprechen, und die Sängerin scheint zumindest hier und da in verschiedene Rollen schlüpfen zu müssen - jedenfalls wechselt sie ihren Gesangsstil oder zumindest Gesangsausdruck öfter und klingt mal fast gelangweilt oder apathisch, mal packend oder gar fordernd, und die Rolle der gelegentlichen Sprechgesänge wäre auch noch genauer zu ergründen. The Oceanic Bliss bauen ihren zumeist traditionell geprägten Progmetal (ein nur scheinbarer Widerspruch ...) auf den Gitarren auf, wobei der Bassist und der linke Gitarrist, die auch die Bühnenshow quasi im Alleingang stemmen, in einigen Passagen auch zum Keyboard greifen - bisweilen sogar unter gleichzeitigem Weiterspielen ihres Saiteninstrumentes. Der letzte Song, in obenstehender Zählung als halber interpretiert, weil er irgendwie unfertig wirkt und vielleicht nur ein Fragment zur Auffüllung der Spielzeit darstellte, erklingt dann mit permanentem Keyboard und nur einer Gitarre, wobei der Bediener der letztgenannten zwar technisch beeindruckend spielt (wie die ganze Band übrigens), aber sich so gut wie nicht bewegt und zudem während fast des ganzen Gigs dekorativ die Matte vors Gesicht hängen läßt, als wolle er nicht erkannt werden. Wie auch immer: Potential steckt in dieser Truppe offensichtlich jede Menge, und ab Mai kann man dann nachprüfen, ob dieses auch erfolgreich konserviert werden konnte (die Einladung zur Releaseparty bildet nämlich die einzige Ansage des ganzen Sets, an dessen Ende plaziert).
Im Gegensatz zu The Oceanic Bliss zeigen sich Too Little Cage überaus kommunikativ, und außerdem bringen sie in ihren 30 Minuten doppelt so viele Songs unter wie ihre Vorgänger, nämlich acht an der Zahl. Trotzdem spielen sie keinen Punkrock, sondern Rock'n'Roll klassischer Prägung, also mit deutlicher Fünfziger-Schlagseite und nur gelegentlichen "moderneren" Einflüssen. Dabei bringt es das übrigens mit einem Akustikbaß arbeitende Quartett fertig, ein eigentümliches Konglomerat aus einerseits etwas zu lang ausgewalzten und daher überstrapaziert wirkenden, andererseits aber auch richtig guten und frischen Ideen auf die Bretter zu legen, das noch dazu fast die ganze Zeit tanzbar ausfällt und das bisher in den hinteren Bereichen verharrende Publikum nach vorn lockt und zu Bewegungsaktivitäten animiert. Vor allem der sehr spielfreudige Schlagzeuger schafft das Kunststück, einerseits einen trockenen Tanzbeat zu legen, diesen aber mit vielen originellen Figuren anzureichern, so daß auch das Nur-Hören durchaus nicht langweilig wird. Dazu addiert der Leadgitarrist einige auch nicht gerade genretypische ausladende Soli, und der Sänger greift gelegentlich zur Mundharmonika, um den Hörer an die Herkunft des Rock'n'Roll aus dem Blues zu erinnern. Kurioserweise gelingen Too Little Cage die Eigenkompositionen besser als die Coverversionen: "Cherry Kiss" und vor allem der "Long Hair Boogie" machen, abgesehen vom zu abrupten Ende des letzteren, richtig Spaß, wohingegen die Coverversion eines offenhörlich spanischsprachigen Sommerhits "von 1994 oder so" einen eher seltsamen Eindruck hinterläßt und zusammen mit dem noch nicht in jeder Situation sicher wirkenden Leadgesang eine kleine Baustelle für den Vierer, der zur Hälfte übrigens auch stilechte Elvis-Tollen trägt, darstellt. Trotzdem macht die Truppe jede Menge Laune, und so ergibt sich in der Schlußwertung (jeder im Publikum muß, damit sein Stimmzettel gültig wird, zwei Bands wählen; der Sieger des Abends zieht direkt ins Halbfinale ein, der Zweitplazierte hat noch die Chance auf den sechsten Halbfinalplatz als bester der fünf Zweitplazierten) ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen The Oceanic Bliss und Too Little Cage, das letztgenannte schließlich mit nur fünf Stimmen Vorsprung für sich entscheiden können. Zwei Zugaben dürfen die Sieger noch spielen: das Billy-Idol-Cover "White Wedding", das die genannte These von der Überlegenheit der Eigenkompositionen über die Covers erhärtet, und das fast avantgardistisch endende und vom Leadgitarristen eingebrüllte "Robbery". www.theater-chemnitz.de hält den Interessenten in der "Nachtschicht"-Rubrik über die weiteren Runden auf dem laufenden.



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