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The Sirens   18.12.2014   Jena-F-Haus
von rls

Das Konzept ist in der überschauenden Betrachtung nicht neu, im konkreten Kontext aber dann doch: Mehrere Protagonisten, die einem bestimmten Subgenre einen markanten Stempel aufgedrückt haben, schließen sich für ein Tourprojekt zusammen und huldigen der Vergangenheit. Das hat es in verschiedensten Konstellationen schon gegeben, im Female Fronted Metal aber noch nicht, und es steckt zudem auch nicht die Idee eines findigen Managers dahinter, sondern die drei Protagonisten haben das alles selber erdacht und zudem nicht zum ersten Mal miteinander kooperiert - eine Art natürlicher Entwicklung also, die, das sei vorweggenommen, zu einem hochinteressanten Ergebnis geführt hat.
Die Rolle der Frau im Metal war lange Zeit eine sehr untergeordnete. Das rührte schon aus den Wurzelgenres her - auch in der Rockmusik der 70er und 60er waren sehr wenige Frauen selbst bühnenaktiv. In den Achtzigern kannte man Sängerinnen wie Doro Pesch (bei Warlock) oder Sabina Classen (bei Holy Moses, wobei ihre stimmlichen Geräusche aber von männlich erzeugten quasi nicht unterscheidbar waren), auch in der zweiten oder dritten Popularitätsreihe war die eine oder andere Frau aktiv, etwa Barbara Malteze (Malteze), Tanja Ivenz (Battlefield) oder, wenn auch nicht als festes Bandmitglied, Lucie Bilá (Arakain). Celtic Frost, Paradise Lost und Anathema setzten im härteren und düsteren Metal teils noch in den Achtzigern, teils in den Frühneunzigern bewußt auf weiblichen Gastgesang, und von dort aus war es dann nur noch ein kleiner Schritt bis zur vollen Emanzipation der Frau als Fronterin einer Metalband, teilweise noch in Duettstrukturen, teilweise aber auch als alleinige Sängerin mit gelegentlichen männlichen Gastrollen oder auch ohne diese. Anfangs noch überwiegend im düsteren Metalbereich verbreitet (Tristania!), erklommen dann Nightwish die nächste Stufe, nämlich den Einsatz von Sopranstimmen auch in traditioneller geprägten bzw. sinfonischen Metalbereichen, und somit kam es zur noch heute ausgeprägten Poly-Gender-Struktur im Metal, der auch als etwas völlig Natürliches wahrgenommen wird. Vor 20 Jahren war das oftmals noch anders, und die Bands der drei Protagonistinnen haben in jener erwähnten Emanzipationsphase Wichtiges geleistet: The 3rd And The Mortal, Theatre Of Tragedy und The Gathering. Erstere veröffentlichten 1994 ein bahnbrechendes, von Kari Rueslåtten eingesungenes Album namens "Tears Laid In Earth", zweitere pflegten seit ihrem selbstbetitelten 1995er Debütalbum die Duettstrukturen, deren weiblichen Teil Liv Kristine Espenaes (heute Espenaes-Krull) beisteuerte, und letztere hatten auf ihren beiden ersten Alben "Always..." und "Almost A Dance" jeweils ein Duo am Mikrofon stehen, das jeweils nach den Alben die Band verließ, während der meisterhafte Drittling "Mandylion" dann im Alleingang von Neuzugang Anneke van Giersbergen eingesungen wurde. Diese drei Sängerinnen haben sich nun unter dem Banner The Sirens zusammengetan, gehen gemeinsam auf Tour, schreiben sogar gemeinsam Songs, verstehen sich offenbar blendend und laden gemeinsam zur Zeitreise in die Vergangenheit ein, blicken aber zugleich auch nach vorn. An diesem Abend ist das F-Haus in Jena zwar nur halbvoll, aber die Anwesenden sind überwiegend Die-Hard-Anhänger mindestens einer der drei Bands und schließen einen festen Ring um die Bühne, anstatt sich im weiten Rund irgendwo zu verkrümeln.
Unterstützung erhalten die drei Sirenen von einer sehr kompetenten fünfköpfigen Band, in der am Keyboard übrigens noch eine vierte Sirene steht, die gelegentlich noch Backing Vocals beisteuert. Auch der eine der beiden Gitarristen hat noch ein Mikrofon vor sich und entpuppt sich als kompetenter Gegenpol für die wenigen Duettpassagen, die eine männliche, zumeist der Marke Rauhbein zugehörige Zweitstimme erfordern, während der andere Gitarrist sein Instrument gelegentlich gegen ein Elektro-Cello eintauscht und damit dem Gesamtklanggewand eine Extraportion Tieftöne verpaßt. Apropos Klanggewand: Das F-Haus ist nicht einfach zu beschallen, gerade wenn viele Instrumente abzumischen sind, und hier und da knistert die Anlage auch verdächtig, als stehe ihr letztes Stündlein unmittelbar bevor. Trotzdem bekommt die Soundfraktion eines der besten Klangbilder hin, die der Rezensent in dieser Lokalität bisher zu hören bekommen hat, wobei hier sicherlich der Vorteil, daß es nicht auf immense Klangwucht ankommt und man die Regler daher ein gutes Stück vom Anschlag weg positionieren kann, ohne daß beim Besucher das Gefühl der Blutarmut aufkommt, eine nicht ganz unmaßgebliche Rolle spielt. Aber fünf Gesangsmikrofone, zudem in dauernd unterschiedlicher Besetzung, wollen erstmal abgemischt sein, und das gelingt an diesem Abend nahezu perfekt.
"Unterschiedliche Besetzung" ist ein weiteres Stichwort. Natürlich singt jede der drei Sängerinnen primär erstmal die Songs "ihrer" Band - aber nicht selten übernehmen die jeweils anderen beiden oder zumindest eine davon Backing- oder auch Leadfunktionen, so gleich im Opener "Treat Me Like A Lady" aus dem Soloschaffen Anneke van Giersbergens, dessen Leadgesangsaufgaben kurzerhand unter alle drei Sängerinnen aufgeteilt werden. Dieses Prinzip bleibt über die gesamten knapp zwei Stunden Programm erhalten, und die Aufgabe der Publikumskommunikation teilen gleichfalls alle drei unter sich auf, wobei die mit einem Deutschen verheiratete Norwegerin Liv Kristine ja mittlerweile fast perfekt Deutsch spricht, auch die Holländerin Anneke einige Deutschkenntnisse beweist und nur die Norwegerin Kari konsequent beim Englischen bleibt. Das Publikum frißt allerdings sowieso allen dreien förmlich aus der Hand, wobei die stärksten Reaktionen ab der Setmitte aufzubranden beginnen, als eine Art Hitfeuerwerk gezündet wird. Klar, auch schon vorher sind der The-Gathering-Smasher "Saturnine" oder "Venus" vom Theatre-Of-Tragedy-Drittling "Aegis" stark bejubelt worden, und auch Karis Solonummer "Exile" ist nicht entscheidend abgefallen, obwohl sie kaum jemandem bekannt gewesen sein dürfte. Aber mit dem "Tears Laid In Earth"-Doppelschlag aus "Why So Lonely?" und "Death Hymn" wird nochmal ein Schalter umgelegt, erst recht, als auch noch "In Motion #1" von "Mandylion" erklingt, das nicht nur dem Rezensenten einige wohlige Schauer über den Rücken geschickt haben dürfte. "Embracing The Seasons", eine der beiden gemeinsamen Neukompositionen, scheint den Set danach zwar unerquicklich früh beenden zu wollen (es hat zudem auch keine Vorband gegeben), aber danach packen die drei Damen noch sechs Zugaben aus, und auch hier jagt ein Glanzlicht das nächste: "Atupoéma" als dritter Beitrag von "Tears Laid In Earth", die Kari-Solonummern "Ride" und "Trollferd" (letztere vom in Norwegisch betexteten "Spindelsinn"-Album und von Kari und Liv Kristine folgerichtig auch in ihrer beider Muttersprache vorgetragen), das themengebende "Siren" aus dem Theatre-Of-Tragedy-Fundus und zur riesigen Freude wohl ausnahmslos aller Anwesender "Strange Machines", der gewaltige "Mandylion"-Opener, den man vielleicht besser ganz ans Ende gesetzt hätte anstatt der zweiten, zwar guten, aber längst nicht so packenden Ensemblekomposition "Sisters Of The Earth". Aber auch mit diesem ganz kleinen dramaturgischen Durchhänger (und dem Wermutstropfen für manchen Altanhänger, daß der Theatre-Of-Tragedy-"Hit" "Der Tanz der Schatten" nicht in der Setlist steht, obwohl man ja einen kompetenten männlichen Duettpartner in der Band gehabt hätte) bleibt die Erinnerung an ein sehr starkes Konzert, nach dem die drei Damen noch geduldig für Fotos und Gespräche mit den Fans zur Verfügung stehen.

Setlist:
Treat Me Like A Lady (Anneke, Liv Kristine & Kari)
Vervain (Liv Kristine & Anneke)
Saturnine (Anneke)
Exile (Kari)
Venus (Liv Kristine)
Silence (Liv Kristine & Kari)
Mental Jungle (Anneke)
Image (Liv Kristine)
1000 Miles Away From You (Anneke & Liv Kristine)
Why So Lonely? (Kari & Anneke)
Death Hymn (Kari)
Love Decay (Liv Kristine & Anneke)
In Motion #1 (Anneke & Kari)
Embracing The Seasons (Anneke, Liv Kristine & Kari)
---
Atupoéma (Kari)
Ride (Kari, Liv Kristine & Anneke)
Trollferd (Kari & Liv Kristine)
Siren (Liv Kristine & Kari)
Strange Machines (Anneke)
Sisters Of The Earth (Anneke, Liv Kristine & Kari)



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