www.Crossover-agm.de VOTUM: Metafiction
von rls

VOTUM: Metafiction   (Mystic Production)

Votums Debütalbum "Time Must Have A Stop" bildete 2008 eine der positivsten Überraschungen im Progsektor, zeigte es doch, daß Riverside nicht die einzige Band im polnischen Prog sind, die mit ihrer dunkel gefärbten, hochemotionalen Herangehensweise ein besonders intensives Klangbild erschaffen können. Mit "Anno Domini High Definition" hatten Mariusz Duda und seine Mitstreiter diesen Pfad zugunsten einer technischeren Ausrichtung, was mit der Geschichte dieses Konzeptalbums Hand in Hand ging, partiell verlassen, und es bleibt gespannt abzuwarten, wie nach der wieder in alte Richtungen tendierenden "Memories In My Head"-EP das neue Studioalbum "Shrines Of New Generation Slaves" ausfallen wird. In der Zwischenzeit stellt "Metafiction", das zweite Votum-Album, allerdings deutlich mehr als nur einen Ersatz dar, wenngleich mancher Riverside-Anhänger, der "ADHD" als zu anstrengend für dauerhafte Höreinsätze empfunden hat, das möglicherweise exakt so sehen wird. Diese Sichtweise wird Votum freilich nicht ganz gerecht: Sie schreiben und arrangieren Songs, wie sie auch Riverside schreiben und arrangieren könnten, aber sie kleben keineswegs kopistisch an den Vorbildern, und zudem unterscheidet sich Maciej Kosinskis hellere Stimme ein gutes Stück von der Mariusz Dudas. Daß Votum ursprünglich aus dem traditionellen Metal-Lager stammen, hört man hier und da noch durch, etwa in den zupackenden Passagen von "Glassy Essence", die sich aber perfekt ins Gesamtbild einfügen. "Home" basiert partiell auf einem Baßriff, das der Rezensent in ähnlicher Form auf einer im gleichen Update rezensierten CD schon mal gehört hat: in "Stay With Me" von Roachclip, in seiner Grundidee übrigens von der neunjährigen Tochter des Bandkopfs erdacht. Daß die Votum kennt, dürfte stark zu bezweifeln sei - ergo liegt hier sicherlich kein Fall von Kopismus oder bewußter Anlehnung vor, sondern es sind einfach zwei Leute in ähnlicher Form von der Muse geküßt worden. Die kleinen Verbeugungen vor frühen Amorphis, was bestimmte Keyboardsounds angeht, gibt es diesmal übrigens auch wieder - man höre sich mal genau das Intro von "Stranger Than Fiction" an! Votum rahmen ihren Albumzweitling durch die Neunminüter "Falling Dream" und "December 20th" ein, während das ruhige "Faces" mit seinen nicht einmal vier Minuten den zentralen Dreh- und Angelpunkt markiert. Und schon in "Falling Dream" wird deutlich, daß sie sich wie weiland Riverside die Entwicklungszeit, die sie für bestimmte Ideen zu brauchen glauben, ganz einfach nehmen. Das paßt nun ganz und gar nicht in unsere heutige hektische Zeit und dürfte die Kundschaft, die mal fix in den ersten Song reinhört, von der Kaufentscheidung eher abhalten, denn da passiert lange Zeit scheinbar eher wenig, vollziehen sich die Veränderungen und Spannungsaufbauten eher subtil, bis es dann doch irgendwann mal "vorwärtsgeht", freilich in gesetztem Tempo und mit weiterhin viel Zeit für die Songentwicklung. Etwas vordergründiger erfolgt der Spannungsaufbau dann im anderen Rahmenteil "December 20th", der allein schon dadurch wohlige Erinnerungen an Riversides "The Same River" hervorruft, obwohl die Songs ansonsten eher wenig miteinander gemein haben. Knackiger zu Werke gehen Votum im Inneren des Rahmens, aber auch das bisweilen etwas harschere "Stranger Than Fiction" wird durch harmonisch-hymnische Passagen in seiner Rabiatheit (hier gibt es sogar wieder wilde Schreivocals) abgemildert. Wenn einer der neuen Songs mit Opeth zu vergleichen ist, dann sicherlich dieser - und das ist in doppelter Hinsicht als Kompliment zu verstehen. Einerseits adelt ein Opeth-Vergleich jeden Song, andererseits sind Votum, was diesen Aspekt angeht, ein klein wenig eigenständiger als noch auf dem Debütalbum geworden, und zudem haben sie generell die Dichte der feisten Metalpassagen deutlich reduziert, obwohl nach wie vor beide Gitarristen in der Besetzung stehen und beschäftigt werden wollen. Beibehalten haben die Polen dagegen die Praxis, Maciej Kosinskis Texte noch um einige literarische Zitate zu ergänzen, wobei es sich offenbar diesmal um ein Konzeptalbum über eben Metafiktion handelt, also sozusagen ein literaturwissenschaftliches Thema, dem sich beispielsweise auch Tuomas Holopainen in "The Poet And The Pendulum" bereits gewidmet hat, dort mit explizitem Verweis auf die Literaturtheorie Walt Whitmans, der auf "Metafiction" zwar nicht expressis verbis auftaucht, aber sicherlich direkt oder indirekt einen Einfluß ausgeübt hat. Daß das Artwork des Digipacks und auch das Booklet mit Violett als Leitfarbe spielen, dürfte sicherlich auch kein Zufall sein, die Nightwish-kompatiblen kurzen Keyboardturmeinwürfe in "December 20th" rings um Minute 7 und Minute 9 dagegen wohl schon. So bekommt man von dem polnischen Sextett hier eine knappe Dreiviertelstunde Thinking Man's Metal, der zudem in einem geschmackvollen Digipack (mit Partiallack) serviert wird und Progrock-Gourmets exzellent munden dürfte.
Kontakt: www.votumband.pl, www.mystic.pl

Tracklist:
Falling Dream
Glassy Existence
Home
Faces
Stranger Than Fiction
Indifferent
December 20th



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