www.Crossover-agm.de OPETH: Heritage
von ta

OPETH: Heritage   (Roadrunner Records)

Die Entwicklung von Opeth ist einfach Hammer. Vergleicht man den fidelen Melo-Death vom 1995er Erstling "Orchid" mit der Musik, die auf dem neusten Opeth-Output "Heritage" zu hören ist, glaubt man, zwei völlig verschiedenen Bands zu lauschen. Und das ist nicht alles: Auch mit seinen unmittelbaren Vorgängern "Watershed" und "Ghost Reveries" hat das Album erstaunlich wenig gemein. "Heritage" ist die endgültige Abkehr der Band vom Death Metal in jederlei Hinsicht. Der Gesang von Mikael Akerfeldt ist anno 2011 nur noch Gesang, Growls tauchen nicht mehr auf. Die Breitwandriffs der Vergangenheit bleiben auch dort - anno 2011 gibt es nur noch Psychedelic, Krautrock, Jazz Rock, Prog Rock. Auch die komplette Arbeit der Rhythmusabteilung hat nichts mehr mit Death Metal, mit Metal überhaupt zu tun. "Heritage" hat vielleicht eine Handvoll Metal-Momente, wenn überhaupt. Eigentlich sind aber selbst die härteren Passagen des Albums kein Metal, sondern Alternative.
"Heritage" ist allerdings kein Alternative-Album. "Heritage" ist die 57minütige Antwort auf die Frage, wie Opeth geklungen hätten, wären sie Teil der 70er gewesen, das ultimative Vintage-Album. Was auf den Vorgängern an Einflüssen von Wishbone Ash, Rainbow, Pink Floyd, King Crimson und Jethro Tull (inkl. Querflöte in "Famine") durchschimmerte, wird hier auf eine Albumlänge ausgewalzt, ohne dass das Ergebnis jetzt total verkrampft nach 70ern klingen würde. Es klingt eher locker nach 70ern, sehr dynamisch, sehr farbenfroh, sehr experimentell, mit etwas Blues beigemischt. Die Keyboards von Per Wiberg (der nach den Aufnahmen die Band verlassen hat) hauen mehr Mellotron-, Hammond- und Moog-Sounds raus denn je, die Verzerrung auf den Gitarren ist stark zurückgegangen, wie sich die Spielweise, ich deutete es bereits an, sehr verändert hat.
Was sich ebenfalls geändert hat, ist die Grundstimmung des Albums. Opeth-Alben waren meist düster und melancholisch, wenngleich der Vorgänger "Watershed" in dieser Hinsicht bereits farbenfroher wurde. "Heritage" hat nun zwar auch seine düsteren und melancholischen Momente (höre etwa "Häxprocess"), aber sie sind eben das: Momente. Andere Momente des Albums klingen folkig, bluesig, verträumt, verschmust, obskur, mit eigenartigen Tonartwechseln, abrupten Breaks, Passagen, die irgendwie vor sich hindämmern, fast etwas Improvisiertes haben - frühe King Crimson lassen grüßen. Deshalb hat "Heritage" auch nichts mit "Damnation", dem anderen Death-Metal-freien Album von Opeth, zu tun. Dort Zugänglichkeit, Melancholie und Ruhe, hier Widerspenstigkeit, Obskurität und Sturm.
"Heritage" ist im Opeth-Kosmos eine Provokation, es ist der Abschied von der Opeth-Formel, die jedem Album der Band (von "Damnation" abgesehen) seine Struktur verliehen hat, dem Wechsel aus todesmetallischem Donnern und zerbrechlicher Zärtlichkeit. Diese Formel war auch m.E. dringend renovierungsbedürftig, da sie sich totzulaufen drohte, aber sie brachte die Songs und Alben der Band auf den Punkt, alles wirkte streng durchkomponiert. Dieser Effekt fehlt nun auf "Heritage" - der Abschuss der alten Formel hat nicht zur Implementierung einer neuen geführt. Stattdessen klingen Opeth so, als wären sie noch auf der Suche nach einer Neuorientierung, unruhig und fordernd, streckenweise strukturlos. Das ist nichts grundsätzlich Schlimmes, es macht die Reise durch dieses Album zu einer echten Entdeckungstour, aber es erklärt auch, warum "Heritage" nicht richtig in die Gänge kommt, nicht so mitreißt, so ein widerspenstiges Album geworden ist. Dieses Album braucht die Auseinandersetzung.
Was von diesem Album zu halten ist, muss am Ende jeder mit sich ausmachen - zu sehr provoziert die Radikalität kontroverse Reaktionen. Mir ist dieses Album lieber als ein neuer Aufguss der o.g. Formel - in dem Bereich haben Opeth alles gesagt, was es zu sagen gibt. Und auch wenn noch nicht ganz klar ist, wohin die neue Reise geht, die bisherigen Etappen sind spannend und entdeckenswürdig. Erwähnt werden sollte auch die formidable Covergestaltung von Travis Smith, die direkt über der Hölle einen saftigen Baum zeigt, an dem die Köpfe der Band hängen - nur der von Per Wiberg ist im Runterfallen begriffen. Selbstironie, nichts völlig Neues im Hause Opeth, denkt man an Akerfeldts Liveansagen. Ebenfalls in bekannten, düsteren Bahnen bewegen sich die Texte der Songs - "God is dead", "I feel the dark when I see you", "Summer is gone" sind die drei Kernbotschaften des Eröffnungstrios. Der Sommer von Opeth steht indes noch bevor, sind sie doch gerade dabei, ihren zweiten Frühling zu erleben.
Kontakt: www.opeth.com, www.roadrunnerrecords.com

Tracklist:
1. Heritage
2. The Devil's Orchard
3. I Feel The Dark
4. Slither
5. Nepenthe
6. Häxprocess
7. Famine
8. The Lines In My Hand
9. Folklore
10. Marrow Of The Earth
 




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