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von ta

OPETH: Ghost Reveries   (Roadrunner Records)

Siebenundsechzig Minuten Neues von Sweden's Finest:
Das elfminütige "Ghost Of Perdition" ist weitestgehend ein traditioneller Opeth-Opener: Breitwandriffing, brutales Grunzen, Dynamik par excellence. Doch schon die zweite Minute kommt plötzlich mit Tool-artigen Rhythmus-Spielereien, die sich durch den ganzen Song ziehen und später sogar mit einer eigenartigen Stimmverzerrung gekoppelt werden. Neu sind auch die Keyboards, die es in dieser Dominanz bisher bei Opeth noch nicht gab. Kein Wunder, ist doch der Posten mit Spiritual Beggars-Orgelkönig Per Wiberg inzwischen fest besetzt. Stimmungsprägend wirkt sein Spiel besonders in den ruhigen Stellen, bei denen der Opethianer sich schlussendlich wieder wie ganz zu Hause fühlt, trotz einiger Neuheiten, die man spätestens ab einer zweistelligen Anzahl von Hördurchläufen nicht mehr missen möchte. Etwas gewöhnungsbedürftig bleiben lediglich und leider die wirklich übertrieben häufigen dynamischen Schlenker (gleich mehrere nur wenige Sekunden lange akustische Intermezzi rufen dann doch Fragezeichen hervor).
"The Baying Of The Hounds" überrascht dann schon etwas mehr. Nicht nur einige abgefahrene, dissonante Gitarren-Abgänge lassen die Ohren spitzen, auch das Mellotron, das sich auf den treibenden Death Metal-Teppich legt, muss als Geniestreich gewertet werden. Selbiges gilt auch für den warmen akustischen Mittelteil, der teilweise für Opeth wirklich sehr neu klingt, und zwar immer genau dann, wenn Wiberg seine Spielereien mit verschiedenen Orgel-Sounds beginnt. Was dann ab ca. der siebeneinhalbsten Minute passiert, ist ohnehin nicht mehr von dieser Welt. Da hätte der plötzliche Wechsel zum Doppelfußpflaster dann wirklich nicht mehr sein müssen.
"Beneath The Mine" ist durchsetzt mit Krautrock-Elementen und perfiden Grooves, die nicht nur einmal an die letzte (hervorragende) Enslaved-Scheibe erinnern. Um eines mehr klingen Opeth ergreifend in jenen Momenten, in denen der Distortion-Kanal schweigt und um ein weiteres mehr wird eben dieser Effekt ungewohnt rabiat mit Wildschwein-Kehllauten beendet. Und um das Paradoxe an diesem Arrangement noch zu verstärken, fällt der Song dann - wenn die Atmosphäre nun schon einmal so aufgebrochen wurde - doch nicht in den schwedischen Todesstahl zurück. Etwas verwirrend, das Ganze, und definitiv auf anderen Opeth-Platten - etwa dem von Band und Presse inzwischen, im Nachhinein völlig unterbewerteten, gigantischen Album "Still Life" - schon besser verwirklicht.
Im ruhigen "Atonement" gibt es dann eine Referenz, die ich bei Opeth nicht erwartet hätte, nämlich eine auf die Australier Alchemist (nicht zu verwechseln mit den Power Metallern Alkemyst!), welche überdeutlich in Percussions und Gitarren, mit denen man wohl Schlangen beschwört, durchschimmern. Der Blubber-Effekt auf Mikael Akerfeldts Stimme, die Synthie-Flächen passen zur hypnotischen Gesamtstimmung nicht weniger als die Reduktion auf ganze zwei Riffs (genauso genommen sogar auf nur eins, das leicht variiert wird); ständige Wiederholung - ein für Opeth völlig neues Element. Doch es wirkt großartig.
"Reverie/Harlequin Forest" hält tatsächlich das Niveau ohne große Abstriche, entpuppt sich als ein kleines Epos, bis ins Detail ausgearbeitet, rhythmisch teilweise erstaunlich unstraight, ausgestattet mit Akustikgitarren, die Berge zum Weinen brächten (die Flageoletts sind der reine Wahnsinn), vom Aufbau her perfekt. Und nur wieder dies: Zu Ende hin gibt es ein völlig unnötiges Stelldichein aus harten und sanften Momenten, das den Fluss des Songs unterbricht und sich auch nach etlichen Hördurchläufen nicht richtig einfügen will. Ärgerlich, aber ertragbar (denn mehr als hörbar, weil gewohnt ausgefeilt sind die Sachen natürlich).
Und reine Sahne gibt es auch mit dem wunderschönen "Hours Of Wealth"! Eingängig, nachvollziehbar zu jedem Moment, doch niemals auch nur mit einem Seitenwink ins Banale, entschwinden Instrumente und Sänger in eine Parallelwelt, in der man bedrückende Träume träumt, die erst eine einsame Gitarre hoffnungsschimmernd (mit Reminiszenzen an, natürlich, Pink Floyd) beendigt. Die instrumentalen Reduktionen (nur Gesang und Mellotron in den langen Strophen) entwerfen eine ähnlich hintergründig bedrohliche Stimmung wie "Weakness", Abschluss der letzten Offenbarung "Damnation".
Und als wäre jetzt eine Pause für den an Geistesblitzen kapitulierenden Hörer nötig, entpuppt sich "The Grand Conjuration" als der Schwachpunkt des ganzen Albums. Völlig zerrissen kommt der Song an keiner Stelle auf den wirklich grünen Zweig. Abgehacktes Riffing und heftiges Growling werden immer wieder abrupt unterbrochen von weiträumigen Tool-Strophen, dynamisch gibt es ein einziges Hin und Her, gegen Ende hin werden die Riffs immer sperriger - was soll das? Das Ergebnis ist mitnichten langweilig, weil ja doch neuartig und abwechslungsreich, aber es fließt zu keinem Moment, und das bei immerhin abermals elf Minuten Spielzeit. Allgemein formuliert: Opeth-Songs sind traditionellerweise komplex. Aber so gut wie zumeist eben erst dadurch, dass sich die Einzelteile ineinander fügen. Und dieses fügende Element fehlt hier. Jeder leichte Anflug von Ärger ist jedoch in dem Moment verschwunden, in dem "Isolation Years" einsetzt. Ein ruhiger, versöhnlicher Augenblick der tiefen Besinnung, ein Refrain wie von Götterhand. Wären King Crimson-Balladen in den Siebzigern ein wenig trauriger gewesen, würden sie wie "Isolation Years" geklungen haben. Wunderbar.
Was sagt die Endbetrachtung summa summarum? Die Vielfältigkeit des Albums macht jedes einseitige Fazit zu einer unvollständigen Sache. "Ghost Reveries" ist abermals echte Qualitätsarbeit und der Status von Akerfeldt als König der Harmoniegestaltung und der gesamten Band als Meister der Instrumentation (beides selbstredend allein auf das Metal-Genre bezogen) ist zu keinem Moment in Frage zu stellen. Anno 2005 schimmern - besonders ob der neu hinzugekommenen Tastenarbeit - die 70s-Einflüsse klarer denn je durch, sorgen für ein Abnehmen auf der Härteskala auf der anderen Seite und machen deutlich, was für ein begnadeter Prog Rock-Act an Opeth verloren gegangen ist. Abgebaut wurde der Grunzgesang, der inzwischen definitiv den kleinsten Anteil der Stimmenarbeit übernimmt, zurückgegangen sind auch die bekannten Doublebass-Rhythmen von Martin Lopez, bei dem die rein akustische Ausrichtung des Vorgängerwerks deutliche Spuren hinterlassen hat (wobei der hochbegabte Mann natürlich niemals ein reiner Heavy Metal-Schlagzeuger gewesen ist). Diese Veränderungen sind zu begrüßen. Gerade manch heftige Stellen, die keinen Revisionen unterlagen, zeigen deutlich, dass sich das - seien wir ehrlich - gängige Opeth-Rezept der melodiösen Riffberge langsam abnutzt, und gehen teilweise sogar hinter die Veränderungen der letzten drei, streckenweise eher rhythmusbetonten Scheiben bis hin zu "Still Life" (dessen Status unangefochten bleibt) zurück. Genauso muss jedoch gesagt werden, dass sich an mehreren Stellen eine gewisse Unkoordiniertheit in Arrangements und auch in Bezug auf das Zusammenwirken aller Beteiligten zeigt (ähnliche Probleme gab es bereits auf dem überladenen "Morningrise"-Album einmal). Manche Sachen wirken holprig, latent unausgegoren, uneingepasst; die Genialität, welche die Band eben dadurch auszeichnet, dass jeder Musiker etwas anderes spielt, aber das Endergebnis homogen klingt, und welche die Songs eben dadurch auszeichnet, dass jeder Part etwas anderes aussagt, aber das Ergebnis homogen klingt, wird an einigen Stellen angekratzt, macht "Ghost Reveries" nämlich an einigen Stellen sperriger als nötig gewesen wäre. Man merkt, dass sich die Band einer grundlegenden Neuorientierung unterworfen hat (die sich nicht zuletzt an den vielen Parallelen, welche sich plötzlich zu anderen Bands ergeben, feststellen lässt). Insofern kann ich die im Rock Hard-Interview zum Album getätigten Aussagen, es handle sich um das eingängigste Album (W.-R. Mühlmann) und der Fokus liege mehr auf den Songs als ganzen, nicht auf ihren Einzelteilen (Akerfeldt selbst), nicht ohne Weiteres unterschreiben, zumindest dann nicht, wenn es um drei der vier Longtracks des Albums, nämlich "Ghost Of Perdition", "The Baying Of The Hounds" und besonders "The Grand Conjuration" geht. Und ein letzter Kritikpunkt: Die Produktion von Jens Bogren und der Band selbst erreicht nicht die Wucht der formidablen Steven Wilson-Produktionen. Jedem Opeth-Fans, nein: jedem halbwegs vernünftigen Musikfreund sei das Album natürlich (wie alle seine Vorgänger mit Ausnahme des Debüts vielleicht) trotz aller hier angeführten Krümelkritikstatistikelemente allerallerallerwärmstens ans Herz gelegt, denn da, wo Opeth hingehen, kommt beinahe kein anderer hin. Aber wo Opeth hinwollen, wissen sie zur Zeit offenbar auch nicht so genau.
Kontakt: www.roadrunnerrecords.com

Tracklist:
1. Ghost Of Perdition
2. The Baying Of the Hounds
3. Beneath The Mire
4. Atonement
5. Reverie/Harlequin Forest
6. Hours Of Wealth
7. The Grand Conjuration
8. Isolation Years
 




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