www.Crossover-agm.de WISHBONE ASH: Argus "Then Again" Live
von rls

WISHBONE ASH: Argus 'Then Again' Live   (Politur)

Die Praxis, legendäre Alben am Stück aufzuführen, ist nicht mehr ganz neu und hat mittlerweile ja sogar dazu geführt, daß Bands legendäre Alben am Stück aufführen, die gar nicht von ihnen stammen - Dream Theater haben diese Vorgehensweise ja beispielsweise mit Alben von Iron Maiden oder Metallica praktiziert. Im vorliegenden Fall ist das nun so ein kurioses Mittelding, denn die Meinungen, wer das klassische Wishbone Ash-Album "Argus" covern "dürfe", gehen auseinander, da bekanntermaßen momentan zwei Inkarnationen der Band existieren, die auch beide das gleiche Vorhaben in die Tat umgesetzt haben. Die eine Inkarnation schart sich um Martin Turner und tritt, da die Namensrechte bei der anderen Inkarnation liegen, unter dem Namen Martin Turner's Wishbone Ash auf (nach bewährtem Schema u.a. von Andy Scott's Sweet ...). Die andere Inkarnation hat Andy Powell als Bandkopf, und er ist derjenige, der auch nach dem Ausstieg aller anderen alten Mitglieder den Namen am Leben erhielt, mit jüngeren Musikern Jahr für Jahr auf Tour geht und alle Jubeljahre auch mal ein neues Studioalbum einspielt. Deren letztes heißt "The Power Of Eternity", und die gleiche Besetzung ist auch diejenige, die hier auf dem vorliegenden "Argus"-Livemitschnitt vom 6. Mai 2008 zu hören ist, der weiland relativ zeitnah auch auf Tonträger veröffentlicht wurde und nun nach relativ kurzer Zeit schon wieder als Re-Release im Digipack ohne Booklet, aber mit Liner Notes von Andy Powell wiederveröffentlicht worden ist.
Der Mitschnitt entstand im Studio des XM Satellite Radios in Washington, DC vor einer handverlesenen Publikumskulisse, die sich allerdings als sehr begeisterungsfähig erweist, zumindest zwischen den Songs - während das Quartett spielt, hält sich das Publikum weitgehend zurück, und man hört nur mal in "Growing Up" während des Baßsolos von Bob Skeat rhythmisches Mitklatschen. Der Songtitel sollte allerdings aufhorchen lassen, denn ein Song dieses Namens steht gar nicht auf "Argus". Des Rätsels Lösung: Der Set ist länger, beinhaltet nach der Begrüßung durch Radiomoderator George Taylor Morris drei jüngere Songs, darunter das genannte "Growing Up" als einzigen Beitrag vom "The Power Of Eternity"-Album, und als Closer schließlich noch "Way Of The World". Den Kern bildet aber natürlich die komplette Wiedergabe von "Argus" in der von der Studiofassung bekannten Reihenfolge. Daß das Quartett blendend aufeinander eingespielt ist, versteht sich eigentlich von selbst, zumal wenige Tage zuvor "Argus" auch bei einer Show in London schon mal komplett durchgespielt worden war. Daß trotzdem nicht alles so klappt wie angedacht, ist halt der Livesituation geschuldet, und Overdubs scheint's hinterher kaum gegeben zu haben. Vor allem bei den doch etwas schrägen Satzgesängen im Intro von "Time Was" befürchtet der Hörer schon das Schlimmste, aber die dreiköpfige Sangesfraktion fängt sich schnell wieder und macht in der folgenden Dreiviertelstunde eigentlich fast alles richtig. Daß wiederum instrumental nichts anbrennen würde, war klar und bestätigt sich auch eindrucksvoll. Natürlich müssen bei Wishbone Ash die beiden Gitarristen besonders gut miteinander harmonieren, um die bandtypischen Doppelleads einwandfrei herüberzubringen. Aber Jyrki "Muddy" Manninen spielt mittlerweile schon etliche Jahre mit Andy Powell zusammen, und die beiden verstehen sich scheinbar fast blind. Interessanterweise hat man ihre Kanäle im Endmix getrennt belassen, so daß Powells Gitarre aus der rechten Box kommt und Manninens Instrument aus der linken, was eindrucksvolle Vergleiche ermöglicht, die en detail allerdings wohl nur Instrumentenspezialisten interessieren dürften. Der Rest der Hörerschaft freut sich einfach, das zu hören, was die beiden da so machen, und auch die Rhythmusgruppe (neben dem bereits genannten Bassisten Bob Skeat, seit dem 2002er Album "Bonafide" an Bord und damit nach Powell dienstältestes Mitglied der aktuellen Besetzung, noch Drummer Joe Crabtree) fügt sich erwartungsgemäß ins fast perfekte Bild ein. Und dieses Bild enthält dann auch einige selten gesehene Farben: Diverses Material von "Argus" gehört natürlich zu den Standards einer jeden Wishbone-Ash-Show, allen voran "Throw Down The Sword" und "The King Will Come", aber andere der insgesamt sieben Songs hört man live sonst eher selten bis nie und freut sich, die Livequalitäten etwa von "Sometime World" (das von den eben genannten Kategorien unter "selten" fällt) wieder mal anchecken und als ausgesprochen hoch bewerten zu können - aus einer langen ruhigen Einleitung entwickelt sich dann doch noch ein flotter klassischer Rocksong mit witzigen Drumrhythmuseinfällen, diesmal paßgenauen Vocals und natürlich der typischen ausufernden Gitarrenarbeit. Da ist man baß erstaunt, daß die genannten Standards sich gar nicht so weit aus dem restlichen Material herausheben. Das kann man sicherlich nicht mit Ermüdungserscheinungen beim Hörer erklären, der die Standards natürlich schon x-mal gehört hat, so daß sie nichts Besonderes mehr für ihn sind - bei anderen Bands greift diese Erklärung zwar bisweilen durchaus, wie man erst 2010 bei Lynyrd Skynyrd gesehen hat, die in einen insgesamt zweifellos gutklassigen Set eine relativ lahm-langweilige Fassung von "Sweet Home Alabama", die mit dem ekstatischen "Free Bird" und auch viel Material aus der zweiten Reihe nicht mithalten konnte, eingebaut hatten. Bei Wishbone Ash dürfte das anders sein - "The King Will Come" und "Throw Down The Sword" sind nicht etwa aufs Niveau der zweiten Reihe abgesunken (auch wenn man zweiteres tatsächlich schon mit noch mehr Eskapismuspotential gehört hat), sondern die zweite Reihe hat sich zu einer Höchstleistung aufgeschwungen. Und apropos zweite Reihe: Nach dem noch recht unauffälligen einleitenden "Real Guitars Have Wings" (vom instrumental verbliebenen Album "Nouveau Calls" aus dem Jahre 1988) machen auch "Mountainside" (der Opener des 96er Albums "Illuminations") und "Growing Up" reichlich Laune, und das abschließende "Way Of The World" (auch eine selten gespielte Rarität, original vom Album "No Smoke Without Fire" aus dem Jahre 1978) wird zu einer hochgradig begeisternden Fassung ausgedehnt (es ist allerdings im Original schon urlang), nach der das Quartett zu Recht mit viel Beifall verabschiedet wird. Da zeigt sich mal wieder, daß man für gute, nein, erstklassige Rockmusik eigentlich gar nicht so viel braucht und mit welch bescheidenen Mitteln wahre Könner Armeen von Kaninchen aus dem Hut zaubern können. Allenfalls "Warrior" hätte man sich noch einen Tick druckvoller gewünscht. Trotzdem: Wer Siebziger-Rock liebt und Wishbone Ash noch nicht kennt, hat sowieso eine riesige Lücke in seiner Sammlung, und da bietet sich "Argus" als Einstieg zur Schließung natürlich an, egal ob in der Studiofassung oder in dieser Liveeinspielung hier, wobei die vorliegenden knapp 74 Minuten natürlich noch weitere Impulse zur Sammlungskomplettierung in Form der weiteren Songs des Sets bereithalten.
Kontakt: www.wishboneash.com, www.membran.net; zu bekommen u.a. via www.wackelpeter.tv

Tracklist:
Intro: George Taylor Morris
Real Guitars Have Wings
Mountainside
Growing Up
Time Was
Sometime World
Blowin' Free
The King Will Come
Leaf And Stream
Warrior
Throw Down The Sword
Way Of The World



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver