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IRON MAIDEN: A Matter Of Life And Death
von rls

IRON MAIDEN: A Matter Of Life And Death   (EMI)

Eine schwierige Platte, zweifelsohne - kaum eine habe ich in den letzten Jahren so oft vor dem Reviewschreiben gehört, bei kaum einer ergaben sich neben Bestätigungen der ersten Hörurteile auch noch so viele Korrekturen, ja Umschwünge bei der Bewertung einzelner Songs, und ich bin mir sicher, daß sich das eine oder andere Urteil bei noch öfterem Hören weiter fröhlich umherrevidieren wird. Aber ein Review ist ja immer eine Momentaufnahme, wenngleich natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern unter bestimmten Voraussetzungen geschrieben. So habe ich das Problem, daß die einzige über mehr als ein reguläres Studioalbum reichende Lücke in meinem Maiden-Bestand ausgerechnet zwischen "Virtual XI", dem letzten Album mit Blaze Bayley am Mikro, und eben der neuen Scheibe klafft, also die beiden Wiedereinstiegs-Dickinson-Alben "Brave New World" und "Dance Of Death" umfaßt; die Stichhaltigkeit der Argumentation aus dem Promoblatt, es habe eine schrittweise Hinwendung zu progressiveren Klängen stattgefunden, die jetzt auf "A Matter ..." kulminiere, kann also weder dementiert noch verifiziert werden. Fest steht aber eins: "A Matter ..." ist auch nach x-maligem Hören nur bedingt progressiver als beispielsweise "Seventh Son Of A Seventh Son", wenn man "progressiver" mit "uneingängiger" übersetzt; die Anzahl einprägsamer Hooks, vor allem im Gesangsbereich, hat ohrenscheinlich tatsächlich abgenommen - vielleicht erscheint das aber auch nur so, weil sie sich auf eine größere Zeitdistanz verteilen, denn "A Matter ..." ist deutlich länger als "Seventh Son ...". Mit zehn Songs knacken Maiden immerhin die Siebzig-Minuten-Grenze, was sie auf den in meinem Besitz befindlichen Studioalben vorher nur auf "The X-Factor" fertiggebracht hatten, und der Titel dieses Albums bietet ein gutes Stichwort, denn das erste Bayley-Album war zweifellos dasjenige, auf dem die Ideen am breitesten ausgewalzt wurden, zudem ein zumeist vergleichsweise bedächtiges Tempo vorherrschte. Die Ursache lag zweifellos im Vorgänger "Fear Of The Dark" begründet, denn hier waren es die beiden Longsongs "Afraid To Shoot Strangers" und besonders der großartige Titeltrack, die am höchsten zu punkten wußten, und so produzierten Harris & Co. in Gestalt von "The X-Factor" kurzerhand ein komplettes Album voller Longsongs mit lediglich "Man On The Edge" als knochentrockenem Kurzklopfer dazwischen. Nun besitze ich wie erwähnt "Dance Of Death" nicht, kann also nicht beurteilen, ob die hohe Longsongdichte auf "A Matter ..." eine ähnliche Ursache besitzen könnte. Auf "A Matter ..." wurde allerdings kurzerhand auch noch die Gattung des knochentrockenen Kurzklopfers eliminiert; am weitesten in diese Richtung tendiert noch der nur reichlich vierminütige Opener "Different World", der trotz seines gar nicht so komplizierten Aufbaus sehr lange braucht, um seine Qualitäten erkennen zu lassen - erst über das gewohnt brillante Gitarrensolo findet man letztlich in ihn hinein und stellt fest, daß es sich doch um ein bißchen mehr als einen kraftlosen Abklatsch von Songs Marke "Be Quick Or Be Dead" (polterndes Altmaterial wie "Charlotte The Harlot" zieht man vom ersten Hören an gar nicht erst mehr in vergleichende Betracht) handelt. Bei den restlichen neun Songs geht unter fünf Minuten Spielzeit nichts mehr, sechs davon überschreiten auch noch die Siebenminutengrenze. Im Gegensatz zu "The X-Factor" haben Maiden diesmal aber nicht den Fehler gemacht, diese Longsongs allzu ähnlich zu gestalten und damit die Daseinsberechtigung einzelner aufgrund zu großer Affinität zu den anderen in Frage zu stellen, wenngleich auch hier nicht jeder Schuß ins Schwarze trifft (vielleicht hätte man sich mit dem Songwriting doch etwas mehr Zeit als gerade mal drei Wochen nehmen sollen, wobei andererseits, wer solch ein in der Gesamtbetrachtung trotzdem eindeutig mehr als gutklassiges Album in drei Wochen schreibt, durchaus ins Reich der Genies aufgenommen werden darf - Manowar sollten sich hieran mal ein Beispiel nehmen). Das Beste ist also, wir gehen die Reihe der Songs mal durch. "Different World" haben wir ja bereits betrachtet, es geht weiter mit "These Colours Don't Run", das bei den ersten zwei, drei Durchläufen gar nicht zünden wollte, sich aber allmählich als Geniestreich entpuppen sollte und tatsächlich ein paar Drumbreaks enthält, die man heute gemeinhin eher aus der Dream Theater-Trickkiste kennt, und damit im Maiden-Kontext durchaus den Terminus "progressiv" verdient. Der nächste Geniestreich folgt gleich auf dem Fuße: "Brighter Than A Thousand Suns" baut seinen knapp neunminütigen, sehr vielschichtigen Songkomplex über einer treppenartigen Gitarrenpassage auf, schraubt in der Songmitte das Tempo auch mal nach oben und wirft dort eines der fiesesten Riffs in den Ring, das man von Maiden zu hören bekam - ein alles andere als eingängiger Song, aber sehr stark und in der Maiden-Historie sein Vorbild am ehesten in "Afraid To Shoot Strangers" findet, wenngleich es keine direkten Parallelen gibt. Etwas zugänglicher ist "The Pilgrim", das wie der große Bruder von "Lord Of The Flies" wirkt, aber von der generellen Songanlage her nicht weiter auffällt und nur durch die gewohnt starke Gitarrenarbeit gerettet wird - das gleiche Verdikt kann auch auf "The Longest Day" angewendet werden. Dieser etwas epischere Song überzeugt zwar zunächst durch den gekonnten Übergang des Intros in den harten Part, aber der Tempowechsel in den Refrain wirkt zu gekünstelt, und erst wieder das wirklich starke Solo versöhnt. Beim Dickinson-Stück "Out Of The Shadows" sind dem Kenner der Historie einige Parallelen zu Dickinsons Solo-Stück "Tears Of A Dragon" sicher schon längst aufgefallen; abgesehen von den ungewöhnlichen Stimmungswechseln hätte dieser Song sicher auch eine brauchbare Single abgegeben, zumindest eine von der Länge her radiotauglichere als der tatsächlich ausgekoppelte Siebeneinhalbminüter "The Reincarnation Of Benjamin Breeg". Der marschiert dafür, sobald das Intro beendet ist und erneut ein für Maiden-Verhältnisse recht fieses und im Song ausgedehnt verarbeitetes Riff die Regie übernommen hat, relativ gradlinig drauflos, und erneut ist das Solo der Höhepunkt des Songs - man will Dickinson nicht zu nahe treten, aber es ist schon komisch, daß Maiden eine der wenigen Metalbands sind, bei der nicht etwa der Chorus den zentralen Part des Songs bildet, über den man den Einstieg findet, sondern meist das Hauptsolo (wiewohl es im mittlerweile über ein Vierteljahrhundert andauernden Schaffen der Band natürlich auch Gegenbeispiele gibt - wer beispielsweise erinnert sich als erstes ans Hauptsolo von "The Number Of The Beast"?). Der etwas kryptische Titel verleitet dann auch zum Griff in Richtung Booklet in der Hoffnung, im Text etwas mehr über die hinter dem Namen steckende Person zu erfahren - diese Hoffnung bleibt unerfüllt, aber dafür kommen in der Gesamtheit der Texte diesmal derart starke religiöse Bezüge zum Vorschein, wie ich sie noch auf keinem meiner anderen Maiden-Alben entdeckt habe. Eines auffälligen Titels wie "For The Greater Good Of God" hätte es als Anker da eigentlich gar nicht mehr bedurft; der zugehörige Song scheint anfangs einer der Oberknaller des Albums zu sein und führt beispielsweise auf sehr geschickte Weise ein paar Kunstorchesterelemente ein, aber beim häufigeren Durchhören beginnt er dann doch etwas abzufallen, was seine Ursache einerseits im zwar einprägsamen, aber wenig innovativen Refrain und andererseits in dessen etwas zu häufiger Repetition findet - Extremfälle wie in "The Angel And The Gambler", wo man locker die komplette zweite Hälfte des Songs hätte streichen können, bleiben im neuen Album allerdings dankenswerterweise aus, obwohl an manchen Stellen durchaus eine Straffung im Bereich des zumindest zu Überdenkenden gelegen hätte. Da gibt's auch in "Lord Of Light" ein paar Momente - den ersten Refrain hätte man beispielsweise nicht gleich noch doppeln müssen; ansonsten ist der Song einer von denjenigen, zu denen ich immer noch keinen Zugang gefunden habe, trotz des coolen Gitarrensyntheffektes im ersten Teil des (ich wiederhole mich) starken Solos. Dafür kommt mit dem Closer "The Legacy" noch einmal ein Volltreffer und ein eher ungewöhnlicher Song im Maiden-Kontext, denn die Akustikparts aus dem anderthalbminütigen Intro werden in den ersten Hauptteil des Songs übernommen und noch zu einer Art hektisch-flirrendem Ton modifiziert, unterbrochen immer wieder von einem der düstersten Riffs, das jemals die Maiden-Schmiede verlassen hat (passend auch zum Thema des Songs, denn es geht mal wieder um die Gefahren des modernen Krieges). Dann kommt ein maidentypischer zweiter Hauptteil in gemäßigtem Tempo, ebenfalls wieder mit eingeflochtenen Akustikpassagen, bevor das Hauptsolo den Krieg dann ausbrechen läßt (man höre mal die Doppelschläge von Drummer Nicko im ersten Teil) und ihn zumindest musikalisch aber auch schnell wieder beendet, wohingegen er textlich dann noch weitergeht. Dieses kleine Koordinationsproblem trübt das Urteil, es mit einem sehr starken Song zu tun zu haben, nicht wesentlich. Bleibt ein Wort zur Produktion zu sagen: Sie ist klar und sauber (die drei Gitarren unterscheide, wer will), aber sie macht für heutige Verhältnisse erstaunlich wenig Druck - im Vergleich zu beispielsweise Seraphims "Ai"-CD muß ich meine Stereoanlage zwei Lautstärkestufen weiter aufdrehen, damit das gleiche Volumen aus den Boxen kommt. Aber das ist kein Problem (zu dem es manche zu machen neigen - ob der Sound zum Verwaschen neigt, wenn man die CD über eine discokompatible Anlage laufen läßt, kann den meisten Heimhörern ja egal sein). Dazu kommt ein offensichtlich "The Legacy" illustrierendes Cover, das trotz seines düsteren Szenarios genug Leute zum Zugreifen bewegt hat, um das Album in der Veröffentlichungswoche gleich mal auf Platz 1 in Deutschland charten zu lassen, was auch nicht gerade häufig einer "harten" Band hierzulande gelingt und den schwer zugänglichen Charakter scheinbar ad absurdum führt - aber hier zieht der Bandname allein schon genug; vermutlich hätte das Ding auch dann noch hoch gechartet, wenn Volksmusik draufgewesen wäre. Das ist zum Glück nicht der Fall - statt dessen gibt es 72 Minuten für Maiden-Verhältnisse überdurchschnittlich ideenreichen Metal, der zwar Rußlands Antwort auf Maiden, Arija, nicht von deren spätestens mit "Krestschenije Ognjom" eroberten Platz an der künstlerischen Sonne verdrängen kann, aber sein Zelt zumindest nicht allzuweit davon entfernt aufschlägt. Und wie eingangs erwähnt kann es durchaus sein, daß der Zeltplatz nach den nächsten x Durchläufen noch ein Stück verlegt werden muß.
Kontakt: www.ironmaiden.com

Tracklist:
Different World
These Colours Don't Run
Brighter Than A Thousand Suns
The Pilgrim
The Longest Day
Out Of The Shadows
The Reincarnation Of Benjamin Breeg
For The Greater Good Of God
Lord Of Light
The Legacy
 




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