www.Crossover-agm.de ROACHCLIP: Nightfalls
von rls

ROACHCLIP: Nightfalls   (Pure Rock Records)

Nachdem das 2009er Roachclip-Werk "The Return" überraschend gute Resonanzen erhalten hatte (wobei sich "überraschend" nicht etwa auf mangelnde Qualität bezieht, sondern auf die Tatsache, daß keiner wissen konnte, wie die Reaktionen auf ein neues Werk der über anderthalb Jahrzehnte inaktiv gewesenen Band ausfallen würden, und daher die Erwartungen auf einem ganz neutralen Level lagen) und mit Akustikgitarrist Rolf Schmidt gar noch ein weiteres Altmitglied der Band wieder zur aktiven Mannschaft stieß, war klar, daß es nicht bei diesem einen aktuellen Lebenszeichen bleiben sollte. Folgerichtig liegt drei Jahre später nun der Nachfolger "Nightfalls" vor und bringt den Kenner von "The Return" zumindest partiell zum Staunen: Einerseits folgen Roachclip ihrem bekannten Weg traditioneller melodischer Rockmusik mit starker Hardrockneigung weiter, andererseits gestalten sie die 13 neuen Songs enorm vielfältig und fahren Stilelemente bzw. kulturelle Einflüsse auf, die man von ihnen nicht unbedingt vermutet hätte. Dabei geht "Nightfalls" so urtraditionell los, wie nur etwas urtraditionell losgehen kann: "No Reason" ist ein weiterer der für die Band so typischen Midtempo-Hardrocker mit leichtem epischem Anstrich, der sich irgendwo auf halbem Wege zwischen Dio und Magnum plaziert. Aber dann: "Buffalo" stellt erstmals Schmidts Akustikgitarre weiter in den Mittelpunkt, auch wenn im Hauptteil dann doch wieder dampfender Hardrock die Oberhand gewinnt, hier mit leichtem US-Touch ausgestattet und dem Hörer nahebringend, wie Bruce Springsteen nach einem Wechsel ins Hardrocklager klingen könnte. Danach erklingt ein mit Telefonhörersound (ein beliebtes Achtziger-Stilmittel) ausgestattetes französischsprachiges Intro - der zugehörige Song heißt "Le Bon Roi Dagobert", stammt aus der Zeit der Französischen Revolution und ist im heutigen Frankreich als Kinderlied bekannt. Davon gibt's hier eine feiste Rockversion mit leicht folkigem Touch zu hören, und wenn die in Freiburg im Breisgau, also nahe der Grenze zum Elsaß, beheimateten Roachclip in Frankreich spielen, wird gerade dieser Song zu einem umjubelten Höhepunkt, so daß er nunmehr auch regulär auf Tonkonserve vorliegt, obwohl der Bekanntheitsgrad des Originals in Deutschland weit geringer sein dürfte, was seinen Unterhaltungswert aber in keinster Weise schmälert. Ganz anders dann, aber nicht weniger stark: "GL 298", ein kryptisch anmutender Titel für alle Nichtchristen und vermutlich selbst für etliche Nichtkatholiken - das GL ist das Gotteslob, also das katholische Kirchengesangbuch, worin sich eine alte holländische Melodie aus dem 15. Jahrhundert als Kontrafaktur mit dem Text "Gott unser Herr wie bist du zugegen" unter Nummer 298 findet. Roachclip haben dazu einen neuen englischen Text gemacht und die Melodie in einer großen Rockhymne mit Orgelintro adaptiert. Für alle, denen besonders die beiden Stücke an Position 3 und 4 zu experimentell waren, packt die Band dann wieder eine Folge traditioneller Hardrocknummern aus: "It Is You", "Poison Blonde", "1077" und "Praying Mantis", wobei letztgenannter nichts mit der gleichnamigen UK-Band zu tun hat, aber musikalisch in eine durchaus ähnliche Richtung tendiert, also ganz leichte NWoBHM-Einflüsse verwebt, weshalb Fans der Briten durchaus angeraten sei, auch mal Roachclip anzutesten, und zwar nicht nur wegen dieses einen Songs - sie könnten auch unter den anderen 12 auf "Nightfalls" vertretenen noch für sie interessante finden. Ganz nebenbei bemerkt ist "Praying Mantis" auch noch der mit Abstand schnellste Song, den Roachclip in ihrer jüngeren Geschichte geschrieben haben, und das furiose Solo macht richtig Hörspaß; als Bassist und Gastsänger ist hier der bereits auf "The Return" in gleicher Funktion in Erscheinung getretene Arti McCloud dabei. Eine spezielle Bedeutung in der Bandgeschichte Roachclips hat dann der Blues "St. James Infirmary", wiederum ein Traditional, das Sven Bauer und Rolf Schmidt anno 1992 auf der Beerdigung des damaligen Schlagzeugers Nenad Keul, die zugleich zur vorläufigen Beerdigung für Roachclip wurde, spielten. Die Neufassung lebt nicht zuletzt von der rauchig-tiefen Stimme Anja Dufners und bekommt ein paar besondere Farbtupfer durch die gestopfte Trompete von Frank Schmidt - eine sehr emotionale Interpretation ist allen Beteiligten da gelungen, die im Kreis des jungen deutschen Blues, wie ihn etwa Henrik Freischlader verkörpert, problemlos bestehen kann. "Stay With Me" wird durch ein markantes Baßriff geprägt, das die gelegentliche Vererbung musikalischen Talents unter Beweis stellt - es stammt nämlich von Svens Tochter Cosima und wurde von dieser im Alter von neun Jahren auf dem Klavier konzipiert, wonach der stolze Vater einen ganzen Song um diese Idee herumbaute und wieder einen bandtypischen Midtempo-Hardrocker erschaffen hat, der aber eben durch dieses Baßriff einen eigenständigen Anstrich bekommt. Diesen Versuch unternimmt "Suck Duck Rockin'" erst gar nicht - es ist eine AC/DC-Hommage, die beweist, daß Sven gesanglich durchaus einen anständigen leicht tiefergelegten Brian-Bon-Verschnitt hinbekommt. Überhaupt der Gesang: Ganz große Sänger sind er und der ebenfalls singende Bassist Thilo Kromer nach wie vor nicht, aber sie haben durchaus an Souveränität gewonnen. Der reguläre Teil des Albums wird mit der hübschen Ballade "When The Night Falls" (natürlich kein Iced-Earth-Cover) abgeschlossen, textlich übrigens eine Fundgrube für frisch Verliebte, bevor als Bonustrack noch das irgendwie an Boston erinnernde "Fisherman" auftaucht. "The Return" hatte als Boni bereits drei Songs der 1990er Roachclip-LP "Till Morning Light" enthalten, das hier ist nun der vierte, womit die Wahrscheinlichkeit eines Re-Releases der LP in noch weitere Ferne rückt. Aber wenn man die anderen Tracks noch als Boni auf die nächsten Roachclip-Alben (die es doch hoffentlich geben wird) verteilt, ist das auch keine schlechte Lösung ... Das enorm detailreiche Booklet-Layout lag wieder in den Händen von Rainer Schorm, der auch wieder an einigen Texten beteiligt war und nur mit dem irgendwie merkwürdigen Coverartwork keine ganz glückliche Hand bewiesen hat. Das ändert freilich nichts an der musikalischen Feststellung: Wer traditionellen (Hard-)Rock liebt und nichts gegen ein paar originelle Einflechtungen "von nebenan" einzuwenden hat, der kann "Nightfalls" (oder "Night Falls" - so schreibt es das Infoblatt, aber auf dem Cover und dem Backcover ist das in einem Wort durchgeschrieben) bedenkenlos seiner CD-Sammlung zugesellen.
Kontakt: www.rock-zipfel.com, www.puresteel-records.com

Tracklist:
No Reason
Buffalo
Le Bon Roi Dagobert
GL 298
It Is You
Poison Blonde
1077
Praying Mantis
St. James Infirmary
Stay With Me
Suck Duck Rockin'
When The Night Falls
Fisherman
 




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