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von ta

RIVERSIDE: Anno Domini High Definition   (Inside Out)

Viertes Album. Vier Worte im Albumtitel. 44:44 Minuten lang (steht zumindest hinten drauf; auf meinem Player sind es nur 44:42 Minuten), ungewöhnlich kurz für eine Riverside-Platte. Hört man sich "Anno Domini ..." an, wird auch klar, warum: Riverside kommen inzwischen schneller auf den Punkt und spielen überhaupt schneller als noch auf den drei Vorgängern. Ist das gut so? Ich bin mir ehrlich gesagt unsicher. "Hyperactive", der Opener des Albums, ist der energischste Song, den Riverside jemals komponiert haben, dem Titel entsprechend richtiggehend hektisch, mit vielen verschiedenen Teilen, kurzen Pausen und verzerrter Hammond-Orgel. Das irritiert erstmal. Natürlich erkennt man in alledem Riverside wieder, besonders die Stimme und das Bassspiel von Mariusz Duda, aber das Ätherische, Atmosphärische, was diese Band zweieinhalb Alben lang ausgemacht hat (Album Nr. 1 & 3 sowie zur Hälfte auch Nr. 2), ist hier nur ansatzweise präsent.
"Driven To Deconstruction" nimmt den Opener gleich wieder zurück: Spätestens beim Gitarrensolo in der dritten Minute wird einem als alter Riverside-Jünger warm ums Herz, und auch die ruhigen Strophen haben die zarte Melancholie, die man von dieser Band hören möchte. Doch ganz zurück schreiten Riverside natürlich auch hier nicht, besonders der harte Refrain muss erstmal verdaut werden.
"Egoist Hedonist" ist eine neunminütige und dreiteilige Prog-Abfahrt geworden, mit Bläsern, lupenreinen Metal-Riffs, einem pumpenden Bass, aber auch Momenten der Ruhe. Auffällig ist, dass diese Momente heuer nicht mehr so ausgekostet werden wie noch auf den Vorgängern; spätestens nach einer Minute muss das Thema gewechselt werden und der Track bleibt dann minutenlang hart. Deshalb wirkt die Melancholie lange nicht so stark wie auf den Vorgängern, eher gehemmt.
Da ist die Hälfte des Albums auch schon um. Die zweite Hälfte von "Anno Domini ..." bilden zwei Elfminüter. Der erste von beiden, "Left Out" ist der Versuch, die alten Fans bei der Stange zu halten: Minutenlange Passagen der Ruhe, über denen sich der weiche Gesang von Duda ausbreitet. Zwar wird auch dieser Track von härteren Stellen unterbrochen, wobei auch die Hammond wieder zum Einsatz kommt, insgesamt geht er aber locker als die Ballade des Albums durch: Stimmungsvoll, dunkel, melancholisch, mit leichten Ambient-Elementen. Und doch fehlt etwas: Das Götterarrangement - die Keyboardspur, die plötzliche Melodie, der Aufbau, der einem die Träne der Rührung in die Augen treibt. "Left Out" ist der ruhigste Song der Platte und deshalb hätte man (ich) am liebsten einen Song, der an die Seite von bspw. "The Same River" (von "Out Of Myself") gehört - dieses Niveau erreicht "Left Out" jedoch nicht.
Der zweite Elfminüter, "Hybrid Times", schlägt dann wieder die deftigere Richtung ein: Furiose Instrumentalabfahrten und Unisono-Passagen, ständig eingestreute winzige Päuschen, in denen mal der Bass oder die Stimme für zwei Töne ohne sonstige Begleitung zu hören sind, ein paar aggressive Shouts, in der achten Minute sogar ein viersekündiger Blastbeat (!) - aber auch ein typisch-sphärisches Gitarrensolo, bei dem man aus jedem Ton Piotr Grudzinski raushört. Der elektronische Ausklang ist in dieser Art neu und durchaus überzeugend.
Wie soll ich das zusammenfassen? Riverside klingen immer interessant, ambitioniert, schaffen es, jedes Prog-Klischee so zu verwandeln, dass es nicht langweilt. Sie haben nach wie vor ein Händchen für gute Melodien. "Anno Domini ..." ist zweifellos ein hochwertiges Album, eine Dreiviertelstunde lehrbuchreifer, abwechslungsreicher, warmer Prog Rock/Metal, wobei das "Metal" diesmal lauter ausgesprochen werden darf. Das ist aber auch die Krux, denn man (ich) liebt sie eigentlich am meisten für etwas anderes, das hier kürzer als je zuvor kommt.
Letztendlich sind diese Belange aber egal, weil gänzlich auf eine subjektive Hörererwartung bezogen, die zu bedienen keine Band verpflichtet ist; Riverside wollten eine Evolution, sie haben sie durchlaufen, und das Ergebnis ist stimmig. Passend zur hektischeren Grundausrichtung behandelt das Album die Tempoerhöhung des Lebens in der modernen Gesellschaft, den unaufhaltsamen Fortschritt und die Menschen, die unter seine Räder kommen.
Kontakt: http://riverside.home.pl/www/riverside/, www.insideout.de

Tracklist:
1. Hyperactive
2. Driven To Destruction
3. Egoist Hedonist
  (i) Different?
  (ii) Hedonist Party
  (iii) Straw Man
4. Left Out
5. Hybrid Times
 




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