www.Crossover-agm.de TARJA: The Brightest Void
von rls

TARJA: The Brightest Void   (EarMusic/Edel)

2013 war "Colours In The Dark" erschienen, das dritte Studioalbum Tarjas, und ein Jahr später gab es eine Raritätencompilation namens "Left In The Dark", die hauptsächlich aus Demofassungen dieses Studioalbums bestand. Anno 2016 wird die Struktur nun in reziproker Weise Realität: "The Shadow Self", das vierte reguläre Studiowerk, kommt zwei Monate nach einer Vorab-Raritätencompilation namens "The Brightest Void". Daß diese nicht "No Bitter End" betitelt wurde, macht klar, daß man diesen Release nicht als riesige Quasi-Vorab-Single deuten soll, obwohl der besagte Song in seiner Videoclip-Fassung den Opener von "The Brightest Void" markiert. Selbiges Werk unterscheidet sich allerdings in markanter Weise auch dahingehend von "Left In The Dark", daß nur zwei seiner neun Songs auf der regulären Edition von "The Shadow Self" landen werden, falls die vorab veröffentlichte Tracklist letzteren Werkes auch der tatsächlichen entsprechen sollte. Der andere ist "Eagle Eye", wie schon der Opener ein tarjatypischer angedüsterter Orchestermetaltrack, hier allerdings mit der kuriosen Struktur, daß der auf der Einschweißfolie angebrachte Sticker das Mitwirken von Chad Smith als Verkaufsargument anführt, der in ebenjenem Song trommelt - das muß man, wenn man es rekapitulieren will, dann aber mühevoll im Booklet suchen, denn in der Tracklist, die die markanteren Gäste mit anführt, ist für diesen Song Toni Turunen angegeben, Tarjas jüngerer Bruder, der in diesem Duett die männliche Rolle übernimmt, was er mit einer relativ weichen, melodisch klare Strukturen präferierenden Stimme tut, die gar nicht so weit von Justin Furstenfeld entfernt anzusiedeln wäre, der ja auf "Colours In The Dark" gastiert hatte.
Soweit, so erwartbar - aber Tarja hält auch einige Überraschungen für den Hörer parat. Die erste findet sich mit "Your Heaven And Your Hell" gleich an zweiter Trackposition: Zum einen hätte wohl keiner mit einem Gastauftritt von Michael Monroe auf einem Tarja-Album gerechnet (wenngleich auch der langjährige Hanoi-Rocks-Fronter ja Finne ist, und dieser Volksstamm pflegt zusammenzuhalten), und zum anderen entwickelt sich hier aus einem noch alle Möglichkeiten offenlassenden Intro zunächst eine Nummer mit einem gewissen rotzrockigen, fast punkigen Drive, das dann aber aus dem Mundharmonikasolo in breite Klangflächen mit Solo-Saxophon übergeht (beide Soloinstrumente übrigens ebenfalls von Matti Fagerholm aka Michael Monroe beigesteuert), die fast Pink-Floyd-artig wirken. Punk Floyd sozusagen? Vielleicht - aber es bleibt nicht die einzige Überraschung: "An Empty Dream" verarbeitet das Thema des Films "Corazon Muerte" zu einer düsteren Orchesternummer, in der nur das etwas zu deutlich künstlich klingende Schlagzeug im letzten Part stört, und geht fast nahtlos in "Witch-Hunt" über, eine Nummer, die schon etliche Male live aufgeführt wurde, u.a. auch im Rahmen des "Beauty And The Beat"-Konzertprojektes mit Tarja und Mike Terrana, aber bisher noch nicht als Studiofassung existiert hatte. Die gibt es nun hier - entstanden ist eine Art Düsterpop ohne Gitarren und mit hübschem Orchesterzwischenspiel, so daß man sich das Ganze zwar als Auflockerung, aber weniger als eigenständige Nummer auf einem regulären Studioalbum hätte vorstellen können, ergo der Platz auf der vorliegenden Scheibe wohl der richtige ist. Dagegen beackert "Shameless" wieder das gewohnte metallische Terrain und besitzt sogar einen geringfügig stärkeren Refrain als das eigentliche Zugpferd "No Bitter End", bei dem die ersten Teile auch überzeugen, aber die drei titelgebenden Worte, die am Ende noch angeklatscht werden, an dieser Stelle wie eine Verlegenheitslösung wirken.
Drei Coverversionen schließen "The Brightest Void" ab, und auch hier hätte man mit der Wahl der ersten beiden nicht unbedingt gerechnet: Paul McCartneys "House Of Wax", original von dessen 2007er Album "Memory Almost Full", wird zur düsteren Orchesterrockhalbballade mit leider zu kurzem Cellosolo von Max Lilja, die positiverweise von einem echten Drummer, in diesem Fall Fernando Scarcella, eingespielt wurde und gleich erdiger und authentischer wirkt. Der Titeltrack zum James-Bond-Film "Goldfinger" ist auch kein Stück, das man auf den ersten Hör mit Tarja in Verbindung bringen würde - aber die Chanteuse versucht gar nicht erst Shirley Bassey zu kopieren, sondern bleibt bei ihrer klassischen Stimme, auch die instrumentale Komponente wurde in ihren typischen Orchestermetalstil transferiert, und so entsteht ein stimmiges Gesamtergebnis. Abgerundet wird "The Brightest Void" durch "Paradise (What About Us?)", eine Within-Temptation-Nummer mit Tarja als Gastsängerin, die genau so klingt, wie man anhand dieser Beschreibung erwartet. So erweisen sich in der Gesamtbetrachtung kurioserweise einige der nicht auf "The Shadow Self" stehen werdenden Nummern als die stärksten dieses Vorabreleases, was den Hörer mit einer gewissen nervösen Spannung zurückläßt, welche Überraschungen oder eben Nicht-Überraschungen die Ex-Nightwish-Chanteuse auf ihrem vierten regulären Studiowerk der Anhängerschaft kredenzen wird. An "The Brightest Void" hervorzuheben ist die geschmackvolle Gestaltung mit geprägtem Digipack und der kompletten (!!) Schrift auf Digi und Booklet in partieller Lackierung, was erhöhte Aufmerksamkeit (und einen bestimmten Anstellwinkel) beim Lesen erfordert - schaut man einfach nur geradlinig drauf, sieht man schwarze Schrift auf schwarzem Hintergrund und somit praktisch gar nichts. Angesichts solches Einfallsreichtums verwundert die Aufschrift auf dem eingangs erwähnten Sticker, die mehr als 50 Minuten neue Musik verspricht, obwohl auf der CD nur knapp 44 drauf sind. Gerade bei einem optisch derart anspruchsvoll umgesetzten Konzept sollte man solche inhaltlichen unforced errors zu vermeiden trachten. Aber auch die knapp 44 Minuten machen definitiv Appetit auf "The Shadow Self".
Kontakt: www.tarjaturunen.com, www.ear-music.net

Tracklist:
No Bitter End
Your Heaven And Your Hell
Eagle Eye
An Empty Dream
Witch-Hunt
Shameless
House Of Wax
Goldfinger
Paradise (What About Us?)
 



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