www.Crossover-agm.de TARJA: Left In The Dark
von rls

TARJA: Left In The Dark   (Ear Music)

Werkstattveröffentlichungen sind in den letzten Jahren zwar in Mode gekommen, aber zumeist handelt es sich nur um Bonustracks einer Erst- oder Wiederveröffentlichung, seltener um ganze Alben mit Material, das aus irgendwelchen Gründen nicht auf Album X oder Y gelandet war. Asia hatten sowas um die Jahrtausendwende mit ihren "Archiva"-Alben schon mal gemacht, das verschollene "Has Anyone Here Seen Sigfried?"-Album von Pavlov's Dog fällt in gewisser Weise auch in diese Kategorie, und nun reiht sich auch Tarja Turunen mit dem programmatisch "Left In The Dark" betitelten 55-Minüter hier ein. Wer schon das reguläre Bezugsalbum "Colours In The Dark" nicht mochte, wird zwar geneigt sein, boshaft einzuwerfen, daß es auch besser gewesen wäre, wenn diese 55 Minuten left in the dark geblieben wären - aber man kann das Pferd durchaus auch anders herum aufzäumen, denn wem die regulären Albumversionen zu bombastisch waren, aber die Songideen prinzipiell durchaus gefielen, der bekommt hier gleich etliche Gelegenheiten, sich von einer geringfügig bis stark veränderten Basis aus nochmals mit den Songs zu beschäftigen. Die stärkste Veränderung haben "500 Letters" und "Until Silence" erfahren, denn diese gibt es hier als 2013er Radiomitschnitte von Vorterix Radio Buenos Aires, und zwar in Akustikfassungen - neben natürlich Tarja sind lediglich Julian Barrett als Akustikgitarrist und Peter Barrett als Bassist mit von der Partie. Und siehe da, die alte Theorie, daß ein guter Song meist in verschiedensten Formen funktioniert, bewahrheitet sich auch hier zweimal. In gewisser Weise reduziert präsentieren sich auch die außer "500 Letters" die erste Hälfte des regulären wie des Werkstattalbums bildenden Songs: Sie sind allesamt als Demoversionen in verschiedenen Stadien enthalten, was bei "Never Enough" in der ersten Songhälfte durchaus bis kurz vors Pilotspurenstadium zurückreicht. Immerhin befinden sich aber auch diese vier Tracks in Zuständen, wie sie von anderen Bands durchaus schon mal als Endfassung auf Platte gepreßt werden, was nicht mal zwingend despektierlich verstanden werden muß, denn auch der Drumcomputer, der in diesem Stadium bei Tarja natürlich noch am Werk ist, kann anderweitig ja durchaus als bewußt gewähltes Stilmittel dienen. "Mystique Voyage" kommt hier noch komplett ohne Leadvocals aus, aber die Vokalisen sind dem vorhangartigen Effekt, den der ganze Song erzeugt, durchaus dienlich, und man kann zugleich schön analysieren, welche Elemente die Kreativfraktion den Songs auf dem Weg bis zum Ergebnis von "Colours In The Dark" noch hinzugefügt hat (die Grieg-Adaption in "Lucid Dreamer" sucht man in der Frühfassung beispielsweise noch vergeblich).
Aber "Left In The Dark" enthält nicht nur "Werkstattfassungen". Peter Gabriels "Darkness" fehlt hier komplett, dafür ist aber "Into The Sun" vertreten, das man bereits als Liveversion von der "Act I"-DVD kannte, das auch auf der "Beauty And The Beat"-DVD enthalten ist und das man als Erwerber des "Colours In The Dark"-Digipacks per Downloadcode herunterladen konnte - zu hören gibt es typischen Bombastrock eher schleppenden Tempos, oft akustisch verbleibend und kein ganz großes Highlight markierend, aber durchaus auch nicht zu verachten. "Deliverance" wiederum steht als Instrumentalfassung auf der CD - das kennt man in ähnlicher Form ja auch von Nightwish, den instrumentalen Unterbau ohne die Leadvocals zu veröffentlichen, um einige Strukturen, die in der Vollversion eher unterzugehen drohen, wahrnehmbarer zu machen. "Neverlight" wiederum ist in einem alternativen Mix vertreten, der das Orchester weiter in den Vordergrund stellt als der auf dem regulären Album vertretene Mix und auch in dieser Version durchaus seine Reize entfaltet, für den Feind neumetallischer Einflüsse vielleicht sogar stärkere als die Albumfassung, deren nervöses Riffing nicht jedermanns Sache gewesen sein dürfte. Selbiges gibt's zwar hier auch noch, aber es steht eben noch mehr anderes daneben, was Aufmerksamkeit erfordert - der Refrain funktioniert in der Ursprungsfassung aber besser, da er mit Extra-Orchester-Dominanz an der Grenze zur Überladung siedelt. Über den bereits erwähnten Radiomitschnitt von "Until Silence" erreichen wir den epischen Closer "Medusa", der hier in einer alternativen, aber "vollen" Version vorliegt: Tarja hatte die Leadvocals einmal komplett eingesungen, um dann Justin Furstenfeld von Blue October zu fragen, ob er einige dieser Linien übernehmen wolle. Die Duettversion landete schließlich auf "Colours In The Dark", die allein mit Tarjas Stimme arbeitende Version steht nun hier und bestätigt das Urteil aus der Albumrezension von damals, daß das Duett durchaus interessant sei, aber auch die Stimme der Chefin schon enorme Vielseitigkeit zeige. Und daß der Song als solcher zu den allerstärksten dieses auch so schon richtig guten Albums gehört, das bewahrheitet sich auch nach Durchhören dieser Fassung ein weiteres Mal. Wer sich darüber hinaus für zeitgenössische künstlerische Strömungen interessiert, bekommt mit dem Digipack bzw. im Booklet von "Left In The Dark" zudem die gelungensten Ergebnisse eines Artwork-Wettbewerbs geliefert. Ob man die CD als Nicht-Tarja-Anhänger haben muß, hängt natürlich wie immer in solchen Fällen am seidenen Faden (im Regelfall sind "normale" Alben eines Künstlers als Einstieg doch besser geeignet, auch wenn es Ausnahmen geben kann, wie oben geschildert), aber für den Tarja-Anhänger sind die Reize auf jeden Fall sehr stark, und es bleibt nur zu hoffen, daß die 55 Minuten nicht in Kürze auch noch als Bonus-CD irgendeiner Tour- oder anderweitigen Sonderedition verbraten werden, wie es heutzutage im Musikgeschäft ja leider gang und gäbe ist.
Kontakt: www.tarjaturunen.com, www.ear-music.net

Tracklist:
Victim Of Ritual (First Demo)
500 Letters (Live At Vorterix Radio)
Lucid Dreamer (Demo)
Never Enough (Demo Progression)
Mystique Voyage (Demo)
Into The Sun (Studio Version)
Deliverance (Instrumental)
Neverlight (Full Orchestra Version)
Until Silence (Live At Vorterix Radio)
Medusa (Tarja's Solo Version)



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