www.Crossover-agm.de TARJA: Colours In The Dark
von rls

TARJA: Colours In The Dark   (Ear Music)

Nach dem etwas zusammengewürfelt wirkenden Tarja-Debüt "My Winter Storm" hatte sich bereits auf dem zweiten Album "What Lies Beneath" eine bärenstarke kompakte Mannschaftsleistung gezeigt, trotz der Tatsache, daß auch hier eine große Anzahl verschiedener Köche im Brei rührte. "Colours In The Dark" kann diesen großen Schritt vorwärts logischerweise nicht reproduzieren, aber das muß es auch gar nicht - es würde schon genügen, das Niveau des Zweitlings zu halten, und das gelingt Frau Turunen-Cabuli problemlos, wobei der Drittling aber in einigen Belangen dann doch über den Zweitling hinausgeht. So hat beispielsweise die Experimentierfreude hier und da einen Tick zugenommen, ohne aber die Songs zerfasern zu lassen, wenngleich man manchen von ihnen durchaus häufig hören muß, um alle Wendungen in ihrer Bedeutung zu erfassen. Nehmen wir als Beispiel nur mal "Lucid Dreamer" her, wo man annimmt, der ausführliche Ambientpart würde direkt ins Songende mäandern - plötzlich aber packt die Songwritingfraktion nach fünfeinhalb Minuten das Hauptthema aus Edvard Griegs "Aases Tod" aus, läßt dieses zunächst von den klassischen Instrumenten spielen, wandelt es aber danach auch noch in eine Metalfassung um. Solche Direktinspirationen aus der Welt der klassischen Musik (Tarja ist ja bekanntlich studierte Sopranistin) fand man auf den bisherigen Soloalben nicht, auf "Colours In The Dark" hingegen gibt es sie gleich im Doppelpack. Den Grieg muß man wie erwähnt etwas suchen, mit an Maurice Ravels "Boléro" angelehnten Klängen fällt der Opener "Victim Of Ritual" dagegen gleich ins Haus, verarbeitet sie allerdings zu einem ähnlich vielschichtigen Epos wie sein Platzgenosse "Anteroom Of Death" auf dem Vorgängeralbum. Ausgerechnet "Victim Of Ritual" zur ersten Single zu machen spricht für Tarjas Selbstbewußtsein - es hätte durchaus "kommerziellere" Kandidaten gegeben, etwa "500 Letters", die Ballade "Until Silence" oder "Never Enough". Letztgenannter Song könnte ein wenig die Farmer-Boys-Vergangenheit von Gitarrist Alex Scholpp beleuchten, wäre man anhand seines Höreindrucks zu mutmaßen geneigt (man erinnert sich an "In For A Kill" oder "Little Lies" vom Vorgängeralbum, wo dieser Eindruck ebenfalls hatte entstehen können), wenn denn Scholpp nicht songwriterisch gänzlich unbeteiligt gewesen wäre und lediglich bei der Einspielung den Tracks natürlich noch seinen Stempel aufgedrückt hat. Auch hier gibt es für den Hörer allerdings eine Überraschung: Wenn er vermutet, es sei schon alles gesagt, baut sich plötzlich eine große, fast postrockige Wand auf, die sich in der Intensität über längere Zeit schrittweise steigert. Die einzige Tarja-Alleinkomposition, "Mystique Voyage", fällt mit ihrer allerdings auch themengemäßen zurückhaltenden Instrumentierung, die hinter einer Art Vorhang verborgen zu sein scheint, ein wenig aus dem eher große Gesten dominieren lassenden Gewand der anderen Songs, während die einzige echte Fremdkomposition zugleich ein richtiges Cover ist, dessen Wahl zudem ähnlich überraschend ausfällt wie weiland Alice Coopers "Poison" vom Debütalbum: Tarja wagt sich an "Darkness", den Opener von Peter Gabriels 2002er "Up"-Album, und findet eine gute Balance zwischen Originaltreue und vorsichtiger Metallisierung. Den wohl stärksten Refrain wiederum hat "Neverlight", eine Komposition, an der Ex-In-Flames-Kopf Jesper Strömblad entscheidenden Anteil hatte. Wer freilich auf eine Antizipation von deren Frühwerk gehofft hatte, wird enttäuscht - wenn man hier In-Flames-Elemente vorfindet (und man kann beispielsweise die nervösen Strophenriffs durchaus dort einsortieren), dann handelt es sich um die In Flames des neuen Jahrtausends und nicht um die, die zusammen mit Dark Tranquillity den Melodic Death Metal göteborgischer Prägung popularisierten. Trotzdem ergibt die Kombination aus diesem nervösen Riffing und dem zugänglichen Refrain ein interessantes Songganzes. "Colours In The Dark", das trotz seiner farbenfrohen Optik und der vielklangfarbigen Instrumentierung lyrisch eher düster ausgefallen ist, gipfelt im Epos "Medusa", das einer sehr gelungenen Stunde die Krone aufsetzt und mit Justin Furstenfeld von Blue October als Gastsänger einen interessanten Gegenpol zur allerdings auch enorm vielseitig eingesetzten Stimme der Chefin aufbietet. Wer sich den Digipack zulegt, bekommt dort noch den Downloadcode für einen elften Song namens "Into The Sun" mitgeliefert und steht wie häufig in jüngerer Zeit vor dem Problem, wie er das Hardcover plus bedruckter Plastikhülle vernünftig in sein Standard-Regal stellen soll, ohne es beim Hineinstecken und Herausziehen zu beschädigen. Wenigstens sieht die Gestaltung wirklich edel aus und rundet damit eines der stärksten Alben des Jahrgangs 2013 würdig ab. Pflichterwerb für Orchestermetalanhänger! (Auch wenn das Orchester den Bookletangaben gemäß diesmal aus der Konserve zu kommen scheint; jedenfalls ist keins namentlich erwähnt.)
Kontakt: www.tarjaturunen.com, www.ear-music.net

Tracklist:
Victim Of Ritual
500 Letters
Lucid Dreamer
Never Enough
Mystique Voyage
Darkness
Deliverance
Neverlight
Until Silence
Medusa



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