www.Crossover-agm.de TARJA: What Lies Beneath
von rls

TARJA: What Lies Beneath   (Universal)

Trotz einiger starker Songs hinterließ das Tarja-Solo-Debüt "My Winter Storm" einen bisweilen noch etwas unkoordinierten und zusammengewürfelten Eindruck. Das ändert sich mit "What Lies Beneath" nachhaltig, obwohl diverse Rahmenbedingungen durchaus ähnlich geblieben sind. Die Chefin schreibt die Songs mit wechselnden, aber meist nicht ihrer mittlerweile scheinbar halbwegs festen Soloband zugehörigen Songwritern, auch die Studiobesetzungen variieren - und doch hinterlassen die elf neuen Songs einen deutlich homogeneren Eindruck als der skizzenhafter wirkende Vorgänger, obwohl die prinzipielle Stilvielfalt durchaus erhalten geblieben ist und sich nur die Prioritäten ein wenig in rockende bzw. metallische Richtung verschoben haben. Allzu leicht macht es sich Tarja dabei freilich nicht: "Until My Last Breath" wäre ein relativ geradliniger, flotter und zugänglicher, aber trotzdem interessant arrangierter Opener gewesen - statt dessen aber eröffnet "Anteroom Of Death" die 55 Minuten, und dessen Arrangement muß man etliche Male hören, bis man alle Wendungen verinnerlicht und als Bestandteile eines kleinen Meisterwerkes begriffen hat. Beginnend mit dem Stimmen von klassischen Instrumenten, entfaltet sich hier ein Wechselspiel aus Klassik- und Metalparts, das im Mittelteil noch durch ein aberwitziges Chorarrangement gekrönt wird und in dieser Passage wohlige Erinnerungen an die Großtaten der Savatage-Spätphase hervorruft, obwohl grundsätzlich hier natürlich eine ganz andere Baustelle beackert wird (für besagten Part zeichnen übrigens Van Canto gasthalber verantwortlich und wissen damit viel stärker zu überzeugen als auf ihren eigenen, häufig eher bemüht wirkenden Platten). Daß Tarja mit "What Lies Beneath" in der Gesamtbetrachtung wieder deutlich näher an Nightwish heranrückt, wenngleich sie, wenn man schon Parallelen ziehen will, von "Once" aus den Schritt zu "Dark Passion Play" nicht mit vollzieht, sondern eher einen zur Seite macht, dürfte dem Altanhänger dabei nur recht sein, und es ist ja auch legitim, daß sie die Musik weiterhin macht, die sie in den knapp zehn Nightwish-Jahren offensichtlich sehr liebengelernt hat - ebenso verständlich ist auch, daß sie nach der recht schmerzhaften Trennung mit "My Winter Storm" erstmal bewußt vom Nightwish-Sound abrücken wollte. Die Interviews zu "What Lies Beneath" sprachen denn auch eine relativ versöhnliche Sprache, und die 2011er Tour offenbarte eine Tarja, die sich mit Selbstbewußtsein ihrer Vergangenheit stellt, aber zugleich auch klarmacht, wo ihre Zukunft liegt. Von der hübschen, aber nicht weiter weltbewegenden Ballade "Rivers Of Lust", die vielleicht die stärksten Parallelen zu "My Winter Storm" in sich trägt und im Outro dann doch noch richtig berückend-sanfte Gesänge der Chefin auffährt, und (leider) dem bärenstarken epischen Closer "Crimson Deep" abgesehen, tauchte ja auch das komplette neue Album in der Setlist auf. Zu Recht! Hier finden sich etliche songwriterische Perlen, die zwar den abstrus-genialen Würfen eines Tuomas Holopainen nicht immer ganz das Wasser reichen können, aber aus dem Genre des orchestralen Metals trotzdem noch turmhoch herausragen. Den beeindruckend gemeisterten Spagat zwischen Anspruch und Eingängigkeit demonstriert wie erwähnt bereits das Eingangsdoppel "Anteroom Of Death"/"Until My Last Breath". "I Feel Immortal" wurde als Single ausgekoppelt und verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig winzige Details für den Gesamteindruck eines Songs sein können - für die Singleversion wurde nämlich ein Teil des Intros weggeschnitten, und somit entsteht zunächst eine andere, viel basischere Atmosphäre als hier in der Albumversion, wobei deren geheimnisvollere Attitüde deutlich stärkere Eindrücke hinterläßt. Songs wie "In For A Kill" oder "Little Lies" wiederum machen Gitarrist Alex Scholpps Vergangenheit bei den Farmer Boys deutlich - das Riffing tendiert in eine etwas modernere Metalrichtung, geht freilich mit dem Orchester, dem Gesang und all den anderen Komponenten trotzdem eine hervorragende Legierung ein. Für die Orchesterparts zeichnet übrigens das Slowakische Nationalorchester verantwortlich - ein weiteres Exempel für den häufig angewendeten Schachzug, für Orchesteraufnahmen osteuropäische Orchester heranzuziehen und damit kostensparend zu arbeiten, aber trotzdem prima Ergebnisse zu erzielen. Dazu kommt allerdings noch Ex-Apocalyptica-Cellist Max Lilja, der beispielsweise das etwas orientalisch angehauchte "Dark Star" noch um eine ganz andere Klangfarbe bereichert und 2011 auch zur Livebesetzung gehörte. Und auch ansonsten ist die Gästeliste beeindruckend - da steuerte etwa Joe Satriani ein Gitarrensolo zu "Falling Awake" bei, da singt Phil Labonte in "Dark Star" ein starkes Duett mit Tarja, und die Ballade "The Archive Of Lost Dreams" sieht neben Living-Colour-Drummer Will Calhoun, den wohl sein Bandkollege Doug Wimbish, der die Baßgitarren des Albums einspielte, angeschleppt hat, auch noch den Gitarristen Marzi Nyman aktiv, mit dem Tarja sonst in der Formation Harus spielt. Trotzdem verzettelt sich Tarja nicht - wie bereits erwähnt klingt "What Lies Beneath" wie aus einem Guß, überzeugt von der ersten bis zur letzten Minute fast durchgängig und sollte jedem Freund des Orchestermetals zumindest einen intensiven Hörtest wert sein, während alte Nightwish-Anhänger, bei denen "My Winter Storm" eher Verwirrung ausgelöst hatte, bedenkenlos zugreifen können.
Kontakt: www.tarjaturunen.com, www.vertigo.fm

Tracklist:
Anteroom Of Death
Until My Last Breath
I Feel Immortal
In For A Kill
Underneath
Little Lies
Rivers Of Lust
Dark Star
Falling Awake
The Archive Of Lost Dreams
Crimson Deep
 




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