www.Crossover-agm.de SAVATAGE: Poets And Madmen
von Christian

SAVATAGE: Poets And Madmen   (Ear-Music/Edel Distribution)

"Poets And Madmen" ist das letzte Album einer der genialsten Bands aller Zeiten. Im Original erschienen im Jahr 2001, ist es das Werk, das einen würdigen Schlusspunkt unter das unvergessene Schaffen setzt, das noch einmal alle Stärken der Band vereint und das seltsamerweise das umstrittenste in der Diskographie bleibt.
Die vier Vorgängeralben (nach weiteren sieben wiederum davor) waren geprägt von Zak Stevens' Stimme, der das Mikro 1992 von Jon Oliva übernommen hatte. Letzterer musste schließlich die Konsequenzen seines exzessiven, aber ungeschulten Kreischens erfahren. Seit Beginn der Bandkarriere war der wahnsinnige Gesangsstil Markenzeichen und auch Anlass zur Warnung von Seiten mehrerer Sängerkollegen (soweit ich mich erinnere, auch gar von Ronnie James Dio). Niemand könne das auf Dauer durchhalten, war der Tenor der Warnungen. Seltsamerweise hat es von 1981 bis 1992 und von 2001 bis heute prächtig funktioniert. Und seltsamerweise hat der Mountain King just in diesem Zeitloch seine Gestalt komplett verändert. Man kann jetzt in alle möglichen Richtungen spekulieren, aber nicht hier. Jeder denke sich seinen Teil. Auch der tragische Tod seines Bruders gehört nicht in dieses Review. Entscheidend ist allein eins - Jon singt wieder. Zu Beginn der Aufnahmen zu "Poets And Madmen" war alles noch in Ordnung im Bandlager. Während der Aufnahmen verließ Gitarrist Al Pitrelli die Band in Richtung Megadeth. Einige Monate später schmiss auch Sänger Zak Stevens alles hin und verließ die Band. Zu diesem Zeitpunkt waren etliche Basic Tracks bereits fertig aufgenommen, angepasst an Zaks Stimmlage. Jon entschied sich notgedrungen, ans Mikro zurückzukehren, einige der Songs mussten in veränderter Tonart neu aufgenommen werden. Jon erwähnt in den Liner Notes, daß nichts ohne Grund geschieht - die neuen Takes waren besser als die alten, irgendwie dunkler und passender zur Atmosphäre des Albums. Nun aber zur Musik. Weil das Album so viel geschmäht wurde, sei mir die der Verteidigung dienende Ausführlichkeit verziehen. Am Sound ist gegenüber der Originalausgabe nichts geändert worden.
Das Album beginnt mit "Stay With Me Awhile" klassisch und typisch Savatage. Die Atmosphäre erinnert etwas an "Handful Of Rain". Piano, Chöre, Heavy-Rock. "There In The Silence" ist ein weiterer wunderbarer, stampfender Heavy-Rocker. Erster Berggipfel ist "Commissar". Ein dermaßen genialer Song ist auf keinem der letzten vier Alben vertreten. Epischer Aufbau, Tempowechsel, Ohrwürmer, Soli, Riffs, Riffs, Riffs. "I Seek Power" ist schlicht typisch Savatage, OK, vielleicht etwas langatmig. Aber am Schluss wird nochmal der Knüppel aus dem Sack geholt. "Drive" ist genau, was es verspricht - ein guter Song mit Drive. Tolles Riff, tolles Arrangement, tolles Solo, klasse gesungen, ein hervorragender Rocksong in knackigen reichlich 3 Minuten.
Und nun: Das alles überragende Epos. "Morphine Child", ein über 10-minütiger, ganz typischer Savatage-Hammer. Das Piano, die Gitarrensounds, der dramatische Aufbau, Satz-Gesänge. Und endlich wieder Jon Olivas diabolisches Krächzen - man genieße den titelgebenden, musicalartigen Mittelteil. Klassischer kann nichts nach Savatage klingen. DAS ist der würdige Schlusspunkt-Song, an den man sich erinnern sollte.
Selbst was auf dieser Scheibe vielleicht ein "B"-Song ist, wäre zum Beispiel auf "Dead Winter Dead" ein "A"-Song. Beispiel: "Man In The Mirror". Auch hier wieder A-Qualität ist "Surrender". Enthält sogar einen schüchternen Jon-Oliva-war-schonmal-jung-Gedächtniskreischer! Und dieser Aufbau. Welche Band außer Savatage reiht ein Musical-Arrangement an die nächste Mini-Oper - und bleibt heavy und Rock'n'Roll? Nightwish ganz sicher nicht.
"Awaken" wiederum zeigt, dass die Band mit einem Fingerschnips auch ganz ohne Bombast einfach mit einer prägnanten Basslinie und einem göttlichen Riff ein Monster erschaffen kann - reduziert auf exakt das, was Savatege Ende der 80er ausgemacht hat. Das Teil hätte genau so auf "Power Of The Night" oder "Hall Of The Mountain King" stehen können.
Und nun wechseln wir abschließend wieder zurück zur letzten Savatage-Phase. "Back To Reason" ist das hoch-emotionale Epos, das den Schlusspunkt unter ein geniales Werk setzt, mit Spannungsbogen bis zur zarten Pianoballade.
Die Songs sind gut bis herausragend, kein einziger Totalausfall. Die Produktion ist knackig, transparent und heavy. Die Instrumentierung kommt ohne überflüssigen Ballast aus. Drums, Bass, zwei Gitarren, sehr präsentes Piano (typisch Savatage), hier und da äußerst dezente Keyboardflächen, geisteskranker Frontgesang und ein paar Chöre. Fertig ist der perfekte Savatage-Sound. Bleibt die Frage, was IRGENDWER an diesem Album auszusetzen hat? Alleine schon der vielgelobte Vorgänger "The Wake Of Magellan" hat im direkten Vergleich viel mehr mittelmäßges Material. Ich gehe so weit, jemandem, der einsteigen will, weil er Savatage nicht kennt, "Poets And Madmen" zu empfehlen, solange "Gutter Ballet" nicht zur Hand ist.
Was bietet der Re-Release Neues? Die neuen Liner Notes von Jon Oliva sind ausführlich, äußerst interessant, offen und kurzweilig. Die beiden Bonustracks wurden gegenüber der letzten Auflage ausgetauscht. Als ersten Zusatz gibt es nun "Tonight He Grins Again" (Original auf "Streets") in einer nagelneuen Akustik-Version mit Piano und Akustikgitarre, völlig brillant gesungen von Jon Oliva. Die Version zeigt, welches unglaubliche Spektrum - in Ton und in Gefühl - der Meister in seiner Stimme unverändert draufhat. Meterdicke Gänsehaut. Man muss sich fragen, warum er jemals aufgehört hat zu singen. Oder hat er inzwischen Dämonen bzw. dämonische Substanzen besiegt?
Zweiter Bonus ist "Sleep" (im Original auf "Edge Of Thorns"), ebenfalls akustisch, gesungen von Zak Stevens. Weniger spektakulär als Bonus eins. Nett. In diesem direkten Vergleich beweist sich meine völlig subjektive Meinung zu den beiden Stimmen von Savatage. Zak Stevens ist toll, aber er konnte nie Jon Oliva am Gesang ersetzen. Diese Tiefe, diese dämonischen Laute, diese Zerbrechlichkeit, diese Schreie, diese Leidenschaft.
Eine zugegebene Peinlichkeit ist das bekloppte Cover. Wäre nicht der klapsige Drache vor dem Mond, wär's zumindest noch gerade so in Ordnung.
So. Nochmal schreib ich nicht so viel zu einer Scheibe. Es ist wohl mit mir durchgegangen.
Kontakt: www.savatage.com, www.ear-music.net

Tracklist:
01. Stay With Me Awhile
02. There In The Silence
03. Commissar
04. I Seek Power
05. Drive
06. Morphine Child
07. The Rumor
08. Man In The Mirror
09. Surrender
10. Awaken
11. Back To Reason
12. Tonight He Grins Again (Acoustic Version 2011)
13. Sleep (Acoustic Version)
 




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