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Tarja, Leaves' Eyes, Markize   16.05.2011   Leipzig, Haus Auensee
von rls

Viermal hat der Rezensent Nightwish in der Ära Turunen live gesehen, die ersten Solotouren der 2005 geschaßten Sängerin allerdings verpaßt und zudem bis heute, von einigen Songs abgesehen, keinen richtigen Zugang zu ihrem Solodebüt "My Winter Storm" (Solodebüt nur dann, wenn man die Weihnachtsplatte nicht einrechnet) gefunden. "What Lies Beneath", das neue Album der Finnin, hat sich gar bis dahin noch überhaupt nicht in seiner Sammlung eingefunden, aber so blieb zumindest spannend, was von der zugehörigen Tour zu erwarten wäre. Das Haus Auensee war zwar nur zur Hälfte gefüllt (und dementsprechend mit Vorhang geteilt), aber für einen Montagabend und diesen Musikstil ist das für Leipzig doch schon eine recht beachtliche Zahl.
Hinter Markize verbargen sich nicht etwa die plötzlich mit latinisiertem Bandnamen antretenden Russen Markisa um Sängerin Jelena Sokolowa, sondern eine andere Band mit Frontfrau, die bereits 2010 als Support von Tarja gespielt hatte und unverständlicherweise erneut verpflichtet worden war. Auf der Bühne stand nämlich eine relativ dreiste und nicht besonders gute Evanescence-Kopie, die sich von den offensichtlichen Vorbildern außer in der Qualität fast aller Komponenten eigentlich nur in der Stimmfarbe der Sängerin und im häufigeren Gebrauch von verzerrten Vocals, für die ein Extramikrofon auf der Bühne stand, unterschied. Der äußerst gewöhnungsbedürftige Sound machte zwar Detailanalysen schwierig, da viel in den viel zu dominanten Tiefen vor allem der Drums unterging, aber etliche Baustellen konnten auch so diagnostiziert werden. Viele der Melodielinien sprachen entweder für extreme Abstimmungsprobleme oder für ein jenseits aller gängigen Modelle gelegenes Harmonieverständnis, die beiden Soli des Gitarristen in den sechs Songs hätte man ob ihrer kuriosen Mixtur aus Einfallslosigkeit und Pseudo-Atonalität eigentlich auch noch weglassen können, und die Kleiderwahl der Sängerin ließ nur noch entfernt erahnen, daß die Dame in einem dem Original ähnlichen Zustand gar nicht mal so unansehnlich sein dürfte. Auch das Publikum wurde mit dem sampledurchsetzten Gothic Rock nicht so richtig warm und beschränkte sich auf Höflichkeitsapplaus und gelegentliches Mitklatschen eines groovigen Parts; so richtig böse war jedenfalls niemand, als Markize die Bühne verließen.
Da waren Leaves' Eyes schon von einem anderen Kaliber, aber auch sie konnten nicht über die ganze Spielzeit hinweg überzeugen, was an einer Summe von kleinen Einzelproblemen lag. Zum einen drehte auch hier der Soundmensch einfach zu laut auf und riß die Regler der Drums gegen Ende dann nochmal in die Höhe, so daß auch hier manche Feinheit der Studiofassungen auf der Strecke blieb. Auch die Aufgabe, den richtigen Gitarristen jeweils lauter zu drehen, damit man Gitarrenleads auch hören kann, wurde nur partiell erfüllt, in "Elegy" beispielsweise nicht. Und das Mike-Oldfield-Cover "To France" hätte nicht sein müssen; es hinterließ zumindest an diesem Abend einen ziemlich holprigen, eher bemühten Eindruck, obwohl es stilistisch durchaus nicht schlecht in den melodischen angedüsterten Metal der norwegisch-schwäbischen Freundschaft eingepaßt worden war. Anhand der beiden Opener vermutete man zunächst eine komplette Abwesenheit Alexander Krulls, aber zum dritten Song kam er dann doch noch auf die Bühne, hinterließ anfangs allerdings einen deutlich übermotivierten Eindruck (ausgerechnet im ätherisch-entrückten Intro von "My Destiny" zum Mitklatschen auffordern muß man doch nun wirklich nicht), bevor er sich stimmungsmäßig etwas zu normalisieren begann und seine Aufgabe eines "Einpeitschers" trotzdem noch gut erfüllte. Seine Frau Liv-Kristine hielt sich diesbezüglich etwas zurück, aber wenn sie etwas sagte, dann hatte das auch Hand und Fuß; zudem konnte sie gesanglich überzeugen, wenngleich manchem Altfan das ätherische Element der frühen Theatre Of Tragedy bei Leaves' Eyes vielleicht etwas fehlen wird; die deutlich gesteigerte Stimmkraft kompensiert diesen kleinen Makel, wenn es denn überhaupt einer ist, jedenfalls problemlos. Von den neuen Songs überzeugte vor allem das auch als Single ausgekoppelte "Melusine", das ohne Umschweife auf den Punkt kommt, während man sich in die gewagte Harmonik von "Étaín" noch genauer hätte hineinhören müssen. Eingerahmt wurde der Set von den beiden Epen "Spirits' Masquerade" und "Frøya's Theme", die insgesamt auch den stärksten Eindruck hinterließen. Das Outro "Mot Fjerne Land" kam vom Band, und schnell wurde klar, daß es trotz allgemein guter Stimmung im Publikum keine Zugabe geben würde.
Setlist Leaves' Eyes:
Spirits' Masquerade
Velvet Heart
Take The Devil In Me
My Destiny
Étaín
Melusine
Elegy
To France
Frøya's Theme
Mot Fjerne Land (Outro)
Dann wurde es geheimnisvoll: Ein semitransparenter Vorhang mit Tarjas Konterfei verhüllte die Bühne bis auf einzelne Schemen, und er fiel auch während des Intros noch nicht; selbst der Opener "Anteroom Of Death" erklang noch fast komplett im "verhüllten" Zustand, bevor dann die Sicht auf das bühnenaktive Sextett freigelegt wurde: Drummer Mike Terrana rechts und Cellist Max Lilja links jeweils auf einem Podest, Keyboarder Christian Kretzschmar hinten mittig, Gitarrist Alex Scholpp halblinks, Bassist Kevin Chown halbrechts und die Chefin natürlich mittig, überall und nirgends zugleich - eine originelle und wirkungsvolle Anordnung. Daß das Material vom neuen "What Lies Beneath"-Album den Set dominieren würde, war ja vorher zu ahnen - daß es das aber so stark tun würde, wie ein Blick auf die Setlist unten zeigt, überraschte aber doch. Indes - eine positive Überraschung, denn die Neulinge entpuppten sich überwiegend als live sehr starke orchestral angehauchte Rock- bzw. Metalsongs, die das etwas orientierungslos wirkende "My Winter Storm" wahrscheinlich auch in der Studiofassung vergessen lassen können werden. Interessanterweise hielten auch viele der neuen Songs das Tempo eher im niedrigen Bereich, was sich an diesem Abend als günstig erwies, denn höhere Terrana-Schlagzahlen im klanglich tieferen Bereich führten besonders in der zweiten Sethälfte und im Zugabenteil zu manchem klanglichem Brei, der ansonsten trotz nicht eben niedriger Lautstärke eben nicht angerührt wurde (nur Lilja hatte das Problem, oft von anderen tiefen Instrumenten akustisch verdeckt zu werden). Apropos Terrana: Er hatte sein Drumkit so weit nach oben ausbreiten lassen, daß sein Spiel einen äußerst interessanten optischen Effekt erzeugte - allerdings könnten die teils sehr hoch gehängten Becken auch ergonomische Gründe haben, zeichneten sich manche "Kreiswirbel" doch durch äußerst harmonische Bewegungsabläufe aus. Mit Setposition 7 war das Drumsolo ungewöhnlich früh eingeplant, und es dauerte diesmal auch nicht die quälenden zwölf Minuten vom Rage-Gig 1999 in Freiberg, sondern nur etwa die Hälfte, dazu noch deutlich geschickter durcharrangiert als damals, indem im Schlußteil das hintere Drittel von Gioacchino Rossinis "Wilhelm Tell"-Ouvertüre eingesampelt wurde und Terrana diese praktisch drumseitig begleitete - eine gute Idee mit hohem Unterhaltungswert! Tarja selbst war offensichtlich bester Laune und zudem in gesanglicher 1a-Form - so selbstbewußt muß man erstmal sein, Songs wie "In For A Kill" oder "Until My Last Breath", die extreme Höhen fordern, ans Konzertende zu legen. Auch selbstbewußt: Das Alice-Cooper-Cover "Poison" (ein Song, den wohl wirklich das gesamte Publikum hätte mitsingen können) wurde nicht gespielt. Spannende Frage war natürlich, welche Nightwish-Songs in der Setlist auftauchen würde - auch hier wieder eine Überraschung, die von Selbstbewußtsein zeugt: Mit "Nemo" hätte wohl jeder gerechnet, aber auch diese Erwartungshaltung mißachtete die Finnin einfach, ohne daß man ihr dafür hätte böse sein können. Schließlich bekam man als Ersatz Seltenheiten aus dem Nightwish-Repertoire, mit denen nicht unbedingt zu rechnen war. Obwohl: Auf "End Of All Hope" hätte man auch von selber kommen können, schließlich ist da die Textzeile "Angels they fall first - but I'm still here" drin, die quasi eine Art Selbstmotivationshymne der Sängerin bilden könnte. Gerade dieser Song geriet dann soundbedingt aber vom Beglückungsfaktor her eher in niedrigere Gefilde, was auf die beiden anderen Holopainen-Beiträge nicht zutraf: "The Siren" hatte man von der Konserve her gar nicht mehr so mitreißend in Erinnerung, und "Higher Than Hope" wurde in einen aus vier Songs bestehenden Akustikblock eingebettet, als dessen Opener es eine ausgezeichnete Funktion abgab. Das Publikum freilich goutierte alles, was die Sopranistin (die aus ihrer Karlsruher Studienzeit offensichtlich immer noch ein bißchen Deutsch kann, was sie in einigen der Ansagen unterbrachte) und ihre finnisch-amerikanisch-deutsche Hintermannschaft ihm vorsetzten, und die freudige Partystimmung wurde denn auch mit drei Zugabesongs belohnt. "Sie hat kein Problem ohne Nightwish", bemerkte ein Besucher beim Hinausgehen - und er dürfte recht haben.
Setlist Tarja:
Anteroom Of Death
My Little Phoenix
I Feel Immortal
Dark Star
I Walk Alone
Falling Awake
Drum/Instrumental Solo
Little Lies
Underneath
The Siren
Acoustic: Higher Than Hope/We Are/Minor Heaven/The Archive Of Lost Dreams
Ciaran's Well
In For A Kill
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End Of All Hope
Die Alive
Until My Last Breath



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