www.Crossover-agm.de NIGHTWISH: End Of An Era
von rls

NIGHTWISH: End Of An Era   (Nuclear Blast)

Schon anderthalb Jahre auf dem Markt, aber irgendwie doch erst jetzt in der Sammlung des Rezensenten gelandet ist die "End Of An Era"-Doppel-CD, das Dokument der letzten Nightwish-Show mit Tarja Turunen am Mikro, aufgezeichnet am 21. Oktober 2005 vor einer fünfstelligen Kulisse in der Hartwall Arena in Helsinki. Selbigen Mitschnitt gibt es bekanntlich auch auf DVD, und die war seinerzeit kurz vor Release als Vorabaufführung in einigen deutschen Kinos zu sehen gewesen; bezüglich diverser grundsätzlicher Dinge kann also auf das Review dieses Previews am 22.5.2006 in Gera verwiesen werden. Die Setlist der Doppel-CD stimmt mit derjenigen der DVD und auch der Show überein, es ist also nichts gestrichen oder exklusiv einem der Formate vorbehalten worden. Nun hat die Konserve allerdings den Vorteil, daß man sie sich mehrmals anschen bzw. -hören kann, während der Preview ja eine einmalige Angelegenheit war, der zudem über die Technik eines modernen Kinosaals lief, die kaum jemand in analoger Weise zu Hause herumstehen haben wird. So verändert sich mancher Eindruck aus dem Preview mit der Zeit dann doch (daß Nightwish mittlerweile eine neue Sängerin gefunden und ein neues Album draußen haben, kann man deutlich erfolgreicher ausblenden), und man entdeckt diverse Dinge, die einem beim einmaligen Schauen bzw. Hören noch verborgen geblieben waren. Zunächst fällt auf, daß Tarja nach knapp anderthalb Jahren Welttournee stimmlich doch etwas angeschlagener gewesen zu sein scheint, als man das vermutet hatte - wenn man sich beispielsweise mal "Over The Hills And Far Away" anhört, bemerkt man, daß sie Schwierigkeiten hat, die Töne korrekt zu treffen, und im Stile einer erfahrenen Sängerin das mit einer "breiteren" Anlage des Tons zu kompensieren versucht. In "Nemo" gelingt ihr selbst das allerdings nicht mehr durchgehend, zudem legt sie hier auch noch eine eigenartige englische Phrasierung an den Tag, die man von ihr eigentlich gar nicht gewöhnt ist. Nichtsdestotrotz vollbringt sie generell schon eine starke Leistung, wenn man nicht mit der Erwartung herangeht, sie würde aus den eher mezzosopranigen Lagen der letzten Alben etwa wieder in die Sopranhöhen der früheren Werke zurücksteigen (die ja in der Setlist sowieso komplett ausgeblendet blieben, "Sleeping Sun" als ältesten Track belassend). Das umgekehrte Phänomen läßt sich übrigens bei Marco Hietala beobachten, der in seinen Gesangsparts auf den Platten noch recht gemäßigt rauh zu Werke geht, live aber the beast deutlich stärker herauskehrt und an manchen Stellen gar einen etwas übermotivierten Eindruck hinterläßt, was in diversen emotional sehr schroff konzipierten Songs wie "Slaying The Dreamer" oder "Phantom Of The Opera" in der DVD-Variante durch die dazugeschalteten schauspielerisch-optischen Effekte abgemildert werden konnte - aber diese Komponente fehlt logischerweise auf der CD. Ähnliches gilt für einige der Ansagen, und bei denen fällt dann auch noch die schauspielerische Einbettung weg. Natürlich ist man immer bis in die Haarspitzen elektrisiert, wenn man einen solch speziellen Gig vor riesiger Kulisse spielt - aber das kann dann eben auch ein wenig nach hinten losgehen. Daß er sich auch perfekt und song- wie stimmungsdienlich im Zaum halten kann, beweist der Co-Sänger im erstklassig umgesetzten Pink Floyd-Cover "High Hopes", das im 2005er Zweig der Tour ins Billing gekommen war (Megadeths "Symphony Of Destruction" verdrängt hatte) und auch die "Highest Hopes"-Best Of beschlossen hatte (allerdings nicht in einem Mitschnitt dieses Abends hier). Um die Ansagen verstehen zu können, muß man übrigens der finnischen Sprache mächtig sein (andere aus nicht-anglophonen Ländern stammende Bands hatten, wenn Livemitschnitte anstanden, mitunter auch vor heimischem Publikum englische Ansagen eingesetzt, etwa Candlemass anno 1990 in Stockholm). Die Orchestersamples in vielen speziell der neueren Songs engten die mögliche Variationsbreite seitens der Band ein gutes Stück ein, aber nichtsdestotrotz suchten die Mitglieder immer wieder nach kleinen Freiräumen, wie man beim genauen Hinhören nicht selten bemerkt, am augenfälligsten im durch Tuomas keyboardseitig angejammten "Nemo" und im kaum versteckten Maiden-Zitat, das "Wishmaster" beschließt, feststellbar aber beispielsweise auch im Keyboardsolo von "Planet Hell", das mit der Studioversion auf "Once" außer der Grundstruktur gar nicht so viel gemein hat. Generell ist der Sound auch für eine normale Stereoanlage gut geeignet, und die Tatsache, daß die Balance der einzelnen Komponenten untereinander bisweilen doch etwas schwankt, unterstreicht, daß man es hier trotz meist sehr großer Reinheit tatsächlich mit Livematerial zu tun hat - so steht Tarjas Gesang in "Bless The Child" über weite Strecken auffällig weit hinten im Mix, aber dafür hat man in ihrer Solostelle die sehr heftige Atmung mit dringelassen, auch der Holperer in der ersten "Wishmaster"-Strophe beim letzten Übergang nach oben wurde nicht geglättet (man hätte mit der gleichen Stelle in der zweiten Strophe "Ausbesserungsmaterial" zur Verfügung gehabt). Erstaunlich weit hinten im Gesamtmix des Albums stehen oftmals die Keyboards von Tuomas - auch hierfür darf "Wishmaster" als Exempel herangezogen werden (hört im ersten Solo mal genau hin!), wobei die ja sowieso das Problem haben, sich frequenzseitig mit den Orchestersamples duellieren zu müssen. Das Liveerlebnis kann also generell schon reproduziert werden, wobei es selbstredend einige Passagen gibt, die auf DVD andere, oft stärkere Wirkungen entfalten, etwa wenn man John Two-Hawks auf seiner Flöte nicht nur "Stone People" spielen hört, sondern ihn auch über die Bühne schleichen sieht (seine durchdringende Stimme entfaltet im Mittelteil von "Creek Mary's Blood" hier allerdings noch direktere Impulse als in der auch schon großartigen Studioversion). Andererseits hat die Tatsache, beim Hören nicht durch Bilder abgelenkt zu werden, auch ihren nicht zu unterschätzenden Reiz. So kann sich letztlich jeder selbst entscheiden, welchem Format er den Vorzug gibt, wobei der Käufer der Doppel-CD ein bildreiches Booklet (ist es nachtretende Absicht, daß Tarja für eine Frontfrau auffällig selten abgebildet ist??) und eine multimediale Software dazubekommt, aber logischerweise die sonstigen DVD-Extras entbehren muß. Die summiert 103 Minuten der Doppel-CD lohnen sich für den Orchestermetalfreund aber auch so (zu LP-Zeiten gab's auch nur die Musik und noch ein paar Livebilder auf Cover oder Inlay, und das hat voll und ganz ausgereicht), und das die bandinterne Situation wunderbar und vielschichtig widerspiegelnde Cover sei abschließend auch noch erwähnt.
Kontakt: www.nightwish.com

Tracklist:
CD 1:
Dark Chest Of Wonders
Planet Hell
Ever Dream
The Kinslayer
Phantom Of The Opera
The Siren
Sleeping Sun
High Hopes
Bless The Child
Wishmaster

CD 2:
Slaying The Dreamer
Kuolema Tekee Taiteilijan
Nemo
Ghost Love Score
Stone People
Creek Mary's Blood
Over The Hills And Far Away
Wish I Had An Angel



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