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Nightwish, Negative   05.08.2005   Dresden, Großer Garten
von rls

Einen Tag nach ihrem diesjährigen Wacken-Gig machten Nightwish noch einen Abstecher nach Dresden, wo sie, wenn mich meine systematische Erinnerung nicht täuscht, noch nie zuvor gespielt hatten. Die Freilichtbühne im Großen Garten erwies sich mit ihrer amphitheatralischen Form als von den Sichtverhältnissen her ideal (die alten Griechen wußten schon, warum sie ihre Freilufttheater in dieser Form bauten :-)) und war auch im Bühnensichtfeld bis auf den letzten Platz gefüllt; nicht so gut gelöst hingegen hatten die Stadtväter seinerzeit die Frage des Parkens, so daß ich meinen fahrbaren Untersatz in einem Kilometer Entfernung an der Christuskirche im hochgelegenen Ortsteil Strehlen abstellte. Zu spät im Büro aufgebrochen und dann vor Dresden auf der Autobahn auch noch im Stau gestanden, war ich erst zehn Minuten nach planmäßigem Anpfiff dort am Parkplatz, und man konnte die Klänge, die aus der noch einen Kilometer entfernten Freilichtbühne drangen, schon mal problemlos als finnisch identifizieren. Klarer Fall: Negative hatten offensichtlich halbwegs pünktlich begonnen und lieferten dem Sie-nur-vom-Namen-und-vom-Schwärmen-einer-hübschen-Frau-her-Kennenden nach der Ankunft an der Bühne noch einen halben Set mit visuell-akustischer Kombination und damit eine handfeste Überraschung: Die Kerls sahen aus wie Finnen (nämlich wie Hanoi Rocks), und sie klangen auch wie Finnen (aber eben nicht wie Hanoi Rocks, sondern mit dieser typischen Melancholie Marke Entwine und Konsorten). Im Gegensatz zu den in dieser Hinsicht eher monotonen Sentenced bastelten Negative ihre traditionelleren Rockeinflüsse etwas vielschichtiger ein, und besonders der Leadgitarrist entpuppte sich als sehr fähiger Vertreter seiner Zunft. Den größten Aktionsradius auf der Bühne entwickelte der wie von der Tarantel gestochen über selbige rennende und oft bangende Bassist, während sich die Bewegungsaktivität des Rhythmusgitarristen auf wenige Schritte beschränkte. Drummer und Keyboarder taten das, wozu sie da sind, und so blieb als Faktor, über den zu reden ist, vor allem der Sänger, der sein leicht androgynes Aussehen durch eine entsprechende gestische Untermalung im Rektalbereich unterstrich, sich allerdings als guter Sänger erwies. Obwohl die Truppe gerade mal seit drei Monaten ihr Debütalbum draußen hat, schien dessen Material schon recht weiten Kreisen des Auditoriums bekannt zu sein, und so fielen die Beifalsbekundungen wie die Zugabeforderungen für eine Vorband ungewöhnlich frenetisch aus. Erfüllt wurden letztgenannte allerdings nicht.
Bei Nightwish war zweifellos zu befürchten, daß sie einfach ihr Programm der letzten Hallentour vom Herbst 2004 nochmal runterspulen würden, da seither ja kein neues Material erschienen ist. Der dem wenig aussagekräftigen Orchesterintro folgende pyrounterstützte Opener "Dark Chest Of Wonders" schien diese Furcht zunächst zu bestätigen (entsprach im Punkt des Mitreißfaktors allerdings durchaus der damaligen Version), und auch das folgende "The Siren" (einer der wenigen schwächeren Songs auf "Once") hatte bereits damals im Set gestanden und die Frage "Warum eigentlich?" aufgeworfen. Danach allerdings kam "Ever Dream", das auf der letzten Tour fehlte (gut, aber nicht weiter auffallend), das bewährt brillante "Deep Silent Complete" brachte den Publikumschor auf Hochtouren, bevor erstaunlich früh Tarjas Umziehpause eingeläutet wurde und die größte Überraschung des Sets hervorbrachte: das Pink Floyd-Cover "High Hopes" (dessen Überraschungsfaktor sich allerdings ein wenig in Grenzen hält, wenn man weiß, daß die Band für Herbst 2005 eine "Highest Hopes" betitelte Best Of plant, auf der dann - wen wundert's - eine Liveversion ebenjenes Songs stehen wird, während der ähnlich betitelte "Once"-Closer "Higher Than Hope" in der Vorab-Tracklist nicht genannt ist), in dem Marcos Stimme zwar bisweilen leicht schwankte, das aber von der Seite der Instrumente her (die man nach geringfügigen Schwierigkeiten im Opener mittlerweile auch alle gut ausbalanciert hören konnte - einzig ein Tick mehr Gitarre wäre wünschenswert gewesen) eine brillante Umsetzung erfuhr, das große Solo in epischer Breite nachvollzog und auch ohne die untermalenden Glocken zu den absoluten Highlights im Set gehörte. Und das trotz "Wishmaster" und "Planet Hell", die das Niveau auf hohem Level zu halten vermochten - selbst "Slaying The Dreamer", diesmal ohne vorgeschaltetes "Dead Boy's Poem" (das leider ganz gestrichen worden war), hatte seinen aus dem pseudoheftigen Schlußteil resultierenden Fremdkörperstatus irgendwie ein wenig verloren, bildete allerdings zusammen mit "The Siren" und der netten, aber unauffälligen Ballade "Kuolema Tekee Taiteilijan" immer noch den schwächsten Teil des Sets. Selbige wurde übrigens von Tarja im Alleingang bestritten, die komplette orchesterinstrumentelle Untermalung kam aus der Konserve, wie man überhaupt besonders Keyboarder Tuomas (den man von oben her natürlich bedeutend besser in Augenschein nehmen konnte als vom Hallenboden aus) immer mal die Arme von den Tasten entfernen sah, obwohl immer noch irgendwelche Läufe erklangen. Klar, daß man die Orchesterpassagen nicht anders reproduzieren kann - aber es gab eben auch Momente, wo sich diese Beobachtung nicht auf die Orchesterpassagen, sondern auf "normale" Keyboardparts bezog. Dafür hatte der Mann genug Zeit zum Bangen, während Gitarrist Emppu die gewaltige Bewegungsfreiheit auf der Bühne am weidlichsten ausnutzte. Tarjas Gesang bewegte sich auf dem gewohnten hohen Qualitätsniveau, und auch ihre Kostümwahl an dem Abend dürfte kaum Zufall gewesen sein, waren doch beide Kostüme im Hauptset jeweils in gelb-schwarz gehalten (lediglich im Zugabenteil wechselte sie zu Weiß). Dieser vermuteten Einfühlung auf den Spielort stand allerdings die Gesamtspielzeit entgegen, die mit nur reichlich 80 Minuten (bei einem Eintrittspreis von jenseits 30 Euro wohlgemerkt) irgendwie arg wie "Dienst nach Vorschrift" roch. Selbst eventuelle Lärmschutzbeschränkungen liefern hier kein Argument, da Negative pünktlich 20.15 Uhr aufhörten und der Bühnenumbau gegen 20.35 Uhr erfolgreich abgeschlossen gewesen zu sein schien, wonach bis zum Showbeginn allerdings noch eine halbe Stunde ungenutzt verstrich. Zumindest musikalisch versöhnte das hochklassige letzte Setdrittel allerdings voll und ganz für derartige Negativa (das Auge durfte sich während des gesamten Sets laufend an Feuersäulen und ähnlichen Gimmicks erfreuen, wobei ich nicht wissen möchte, wie laut die Explosionen im Areal direkt vor der Bühne zu hören gewesen sind): "Nemo" erlebte eine kleine Ausweitung des Pianointros (und versetzte mich gedanklich mal wieder nach außerhalb der Freilichtbühne), "Ghost Love Score" stand wider Erwarten erneut in voller Länge im Set (was für ein Song!), der Zugabenteil eröffnete mit "Over The Hills And Far Away" (noch eine Überraschung der positiven Sorte, wenngleich mit plötzlich ausbleibendem Keyboardsound) und finalisierte mit "Wish I Had An Angel", wonach das Orchesteroutro eingespielt wurde, eine irgendwie geartete Verabschiedung der Band aber ausblieb, was erneut einen gewissen Verdachtsmoment in oben erwähnte Richtung wirft. Vor dem Hintergrund solcher Gigs müssen Nightwish aufpassen, daß ihnen die sympathische Bodenhaftung nicht verlorengeht und sie es sich bei der stabilen alten Fanbasis (die Menge der Trendfans wird sich ja spätestens dann von der Band abwenden, wenn die nächste Studioscheibe keinen Hit wie "Nemo" enthält - deswegen ja vermutlich jetzt die Planungen für eine Best Of, um diesen Kreis noch einmal zu melken) nicht verscherzen - die geniale Qualität vieler ihrer neuerer Orchestermetalkompositionen hin oder her.



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