www.Crossover-agm.de Nightwish-DVD-Preview   22.05.2006   Gera, UCI
von rls

Das Ende einer Ära: Seit dem 21.10.2005 ist Tarja Turunen nicht mehr Leadsängerin von Nightwish; sie wurde unmittelbar nach dem letzten Konzert der großen Welttour zum "Once"-Album von Bandkopf Tuomas Holopainen entlassen. Über das Wie und Warum ist in den seither vergangenen Monaten viel geschrieben, auch gerüchtet und spekuliert worden, und man wird gewahr, daß Nightwish nach Stratovarius schon die zweite große finnische Band in kürzester Zeit sind, wo ein offensichtliches Kommunikationsdefizit Sprünge im Bandgefüge hinterlassen hat, wenngleich die beiden Situationen primär eigentlich nicht vergleichbar sind. Sei's drum, wir wollen uns hier nicht in Spekulationen ergehen, sondern breiten die Fakten aus: Das Konzert am 21.10.2005 in der Hartwall Arena in Helsinki war nicht nur das letzte der "Once Upon A Tour 2004/2005", sondern auch das letzte mit Tarja Turunen am Frontmikro, zugleich aber auch das größte Hallenkonzert der bisherigen Bandgeschichte: Über 11000 Fans sollen anwesend gewesen sein. Dieses Konzert wurde selbstverständlich mitgefilmt und erscheint nun als DVD unter dem passenden Titel "End Of An Era" (ob es zum Zeitpunkt der Mitschnitt-Entscheidung schon einen Arbeitstitel gab bzw. wie dieser lautete, entzieht sich meiner Kenntnis; in der Abschrift eines Rock Hard-Interviews, geführt am 22.10.2005 und publiziert spätestens Mitte November, wird der Titel jedenfalls schon genannt); einige Tage vor DVD-Veröffentlichung gab es bundesweit in einer Handvoll Kinos die Möglichkeit, vorab schon mal in die DVD reinzuschauen, wobei sich die Vorführung auf den Konzertteil beschränkte, die Extras (u.a. eine ausführliche Dokumentation) also hinter den Kulissen blieben.
Eine der Vorführungen fand im UCI in Gera statt, und dort begab ich mich frohen Mutes hin, stellte allerdings fest, daß es nicht wie bei regulären Filmen ein "Vorprogramm" gab, sondern man offensichtlich pünktlich angefangen hatte. Meine paar Minuten Verspätung kosteten mich also den Opener "Dark Chest Of Wonders" (und natürlich auch alles, was vor diesem noch zu sehen gewesen sein mag, vielleicht den "Anfeuerungsring" vor der Show) sowie die erste Hälfte von "Planet Hell". Der Set ähnelte selbstredend dem "Grundset", der bei der "Once"-Tour dominierte (man vergleiche hierzu meine Livereviews aus Leipzig und vom Open Air aus Dresden), war gemäß des Konzertstatus allerdings noch etwas erweitert worden und kam so auf runde zwei Stunden Nettodauer. Auffällig war die Präsenz von gleich drei Coverversionen ("Over The Hills And Far Away", "High Hopes", "The Phantom Of The Opera"), auch "Ever Dream" hatte sich noch im Set gehalten, wohingegen zu meiner Enttäuschung auch bei dieser großen Show die Zeit des kometenhaften Aufstiegs der Band unbeleuchtet blieb, also explizit "Oceanborn"-Material mal wieder durch völlige Abwesenheit glänzte und "Sleeping Sun" so der älteste Track war. Dafür hatte man es wenigstens fertiggebracht, bei der umfangreichen Präsenz von "Once"-Material (womit ja zu rechnen war) zumindest zwei der drei Schwächeanfälle außen vor zu lassen ("Dead Gardens" und "Romanticide"), der dritte ("The Siren") blieb allerdings im Set (er ist der kleinste Problemfall von den dreien) und verdrängte "Higher Than Hope". Damit ist klar, daß neben den üblichen Verdächtigen wie dem Schlußgong "Wish I Had An Angel" auch "Ghost Love Score" wieder komplett im Set stand - und noch einer, der sonst nur in reduzierter Form aufführbar wäre und deshalb zumindest in den beiden von mir besuchten Gigs unerklungen blieb: Das Indianerepos "Creek Mary's Blood" wurde an diesem Abend dadurch möglich, daß John Two-Hawks mit seiner Frau eigens nach Finnland gereist kam, und er legte eine ausgesprochen eindrucksvolle Performance auf die Bretter, erst solistisch mit einer Nummer namens "Stone People" und dann gemeinsam mit der Band in besagtem Song, das zwar in meiner direkten Gunst auf "Once" mittlerweile von "Ghost Love Score" überholt worden ist, nichtsdestotrotz aber ein erstklassiges Exempel für orchesterunterstützten Soundtrackmetal bleibt. Das Orchester kam übrigens komplett aus der Konserve, auf die ersten Darbietungen von Nightwish gemeinsam mit Orchester muß man also noch ein wenig warten. Die Technikabhängigkeit führte allerdings dazu, daß der musikgestalterische Freiraum für die Band relativ knapp bemessen blieb; die einzigen markanteren Variationen gönnte sich Keyboarder Tuomas ausgerechnet im Intro von "Nemo". Alle Musiker gaben sichtlich ihr Bestes, von Tarjas leichter gesundheitlicher Angeschlagenheit bemerkt man überhaupt nichts (von etwaiger Angespanntheit der anderen vier Bandmitglieder, die schon vorher von dem anstehenden Herauswurf wußten, auch nicht), Licht und Effekte stimmen ebenfalls, und wenn die Kamera mal in die riesige, tatsächlich bis auf den letzten Platz gefüllte Halle schwenkt, ist der Vergleich mit Fußballstadionatmosphäre nicht mehr fern. Das Ganze dann noch unter Kinobedingungen betrachtet wird zu einem echten Erlebnis, und man ahnt angesichts der mimisch-gestisch reichen Bilder auch, warum die Band immer noch "Slaying The Dreamer" in der Setlist läßt, obwohl es sich hierbei nicht gerade um eine kompositorische Sternstunde handelt. Wenigstens gibt's ringsherum noch genügend Sternstunden (siehe Setlist unten - sie ist komplett auf der DVD gelandet, kein Song fehlt), und die Bildschnittcrew hat gute Arbeit geleistet, denn zumindest mir ist keine Szene aufgefallen, bei der man aktiv gemerkt hätte, daß sie nicht aus der abendlichen Konzertaufzeichnung, sondern aus der am gleichen Vormittag in der leeren Halle realisierten "Sicherheitskopie" stammt. Perfekte Illusion also, wobei allerdings anhand zumindest der zwei von mir gesehenen Gigs der Tour hinzugefügt werden muß, daß diese Illusion auf einer sehr sicheren Grundlage steht und daß man das Gefühl hat, die gerade beim Dresden-Gig deutlich spürbar gewordene Routine sei vor der Hartwall-Kulisse deutlich verblaßt.
So bleibt die DVD das letzte Zeugnis der Ära Tarja Turunen bei Nightwish. Wer in Tarjas Fußstapfen treten wird, steht zum Reviewzeitpunkt noch nicht fest (sicher ist lediglich, daß es erneut eine Frontfrau geben wird, also keine komplette Gesangsumstellung ansteht); man darf also gespannt sein.

Setlist:
Intro
Dark Chest Of Wonders
Planet Hell
Ever Dream
The Kinslayer
The Phantom Of The Opera
The Siren
Sleeping Sun
High Hopes
Bless The Child
Wishmaster
Slaying The Dreamer
Kuolema Tekee Taiteilijan
Nemo
Ghost Love Score
Stone People
Creek Mary's Blood
Over The Hills And Far Away
Wish I Had An Angel



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