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von rls

ASIA: Archiva 1/2   (InsideOut)

Der Name läßt es schon ahnen: "Archiva" war seinerzeit kein reguläres Asia-Album, sondern eine Sammlung von Songs, die es aus irgendwelchen Gründen nicht auf die Alben "Aqua", "Aria" und "Arena" geschafft hatten, kombiniert noch mit einigen älteren Songs, die ebenfalls in der großen Kiste "Vielleicht später mal zu gebrauchen, sollte archiviert werden" gelandet waren; das coole Rodney Matthews-Coverartwork, auf dem drei Zwerge versuchen, die von einer riesigen radioaktiven (!) Spinne bewachten Asia-Archivtapes zu stehlen, paßt wunderbar dazu. Die Begrenzung auf "Arena" verrät gleichzeitig das originale Erscheinungsdatum der "Archiva"-CDs, nämlich das Jahr 1996; ursprünglich als zwei Einzel-CDs erschienen, kommt der vorliegende Re-Release als Doppel-CD daher. Beiden CDs sind zwei Bonustracks beigefügt, dazu kommen wie in der kompletten Asia-Re-Release-Serie Liner Notes von David Gallant. Die Kommentare zu den einzelnen Songs wurden originalgetreu aus der 1996er CD übernommen (zumindest bei "Archiva 1" - "Archiva 2" stand bisher nicht in meiner Sammlung, aber es ist zu vermuten, daß hier analog vorgegangen wurde; die Originalübernahme reicht sogar so weit, daß man den Tippfehler im Namen von Roger Daltrey übernommen hat) und werfen eindrucksvolle Schlaglichter auf die Entwicklung von Asia in den Spätachtzigern und Frühneunzigern, wobei die kurzzeitige Reunion mit John Wetton, die u.a. die Semi-Best Of "Then And Now" sowie den dutzendweise kursierenden Mitschnitt des Moskau-Gigs hervorbrachte, komplett ausgespart bleibt - interessant daran ist der Fakt, daß Geoff Downes bereits im August 1988 mit John Payne zusammenarbeitete (der dann ab dem 1992er "Aqua"-Album zur zweiten personellen Konstante der Band werden sollte), bevor die zwischenzeitliche Wetton-Reunion zustandekam; man lasse einfach mal seine Gedanken angesichts der derzeitigen Situation im Hause Asia schweifen ...
Zurück zu den eigentlichen Alben: Daß eine solche Archivzusammenstellung kein durchgängiger Knüller wird, liegt in der Natur der Sache bedingt, denn zumindest in manchen Fällen hat es schon seine Gründe, daß die betreffenden Songs es seinerzeit nicht auf die Alben geschafft haben; zudem liegt der eine oder andere noch in einer Art Rohbauversion vor, was man an einigen "Leerstellen" merkt (die im Falle der konsequenten Ausarbeitung sicher noch mit einer Orchestrierung oder ähnlichen Zutaten gefüllt worden wären) und auch an der Tatsache, daß in etlichen Tracks noch ein Computer trommelt, der im Falle des Falles dann sicher noch durch einen humanen Taktgeber ersetzt worden wäre; gerade im Falle des verträumten Instrumentals "The Mariner's Dream" wirkt das Gezischel eher stimmungskillend als -fördernd, in der hübschen Kunststreicherballade "I Can't Wait A Lifetime" hätte man es gleich ganz weglassen sollen, und auch das episch-bombastische "Fight Against The Tide" hätte durch ein organischeres Fundament noch deutlich an Klasse gewonnen (ist aber trotzdem zu den stärksten Songs zu rechnen). Generell fällt auf, daß die größten Treffer überwiegend auf der ersten CD versammelt sind. Da fällt gleich der Opener "Heart Of Gold" drunter, der überwiegend straight nach vorn marschiert, aber auch ein paar schöne Verharrungen mit wehmütiger Gitarre einbaut. Das unauffällige "Tears" haut einen nicht vom Hocker, und auch von "We Fall Apart" genügt nur der Refrain den üblichen Asia-Qualitätsmaßstäben, obwohl das Experimentieren mit einigen fremdartigen Effekten nicht völlig in die Hose geht. Aber an "Boys From Diamond City" kommt das alles nicht heran - ein 1988er Track, der auf jedem Asia-Album ein Highlight abgegeben hätte: unwiderstehlich marschierender Rhythmus, starke harmonische Wendungen, eine Portion Bombast und ein großer Refrain vermengen sich zu einem Ergebnis, das man nur als Volltreffer bezeichnen kann. Ebenfalls sehr stark ist "A.L.O.", das einen fröhlichen Rock'n'Roll-Touch mitbringt (man achte auf das Piano!) und eigentlich für das Electric Light Orchestra bestimmt war, als dieses ohne Jeff Lynne einen Comebackversuch unter der Bezeichnung ELO Part II startete. Zu Demozeiten noch "Quest For The Key" geheißen, nennt sich die Asia-Überarbeitung nun spaßeshalber "Asiatic Light Orchestra". "Reality" fällt nur durch den Refrain auf, der eine normale Vocallinie mit einem verzerrten Einwurf kombiniert, wie man ihn in den Mittachtzigern etwa von Fancy kannte (der Song wurde als Bonustrack des "Aria"-Re-Releases nochmal verbraten), auch "Dusty Road" kann nur als Stangenware, als netter Poprocker bezeichnet werden. Dafür reißt "I Believe" wieder viel Putz von den Wänden, nicht zuletzt aufgrund der knochentrocken hämmernden Orgel und den ebenfalls schön knarzenden Gitarren - der Song entstand, kurz nachdem John Payne an einem Soloalbum von Roger Daltrey mitgearbeitet hatte, und der leichte The Who-Touch ist demnach nicht zufällig. Daß in den Archiven auch sehr starke Balladen vertreten waren, zeigt "Ginger", das eigentlich Intro von "Arena" hätte werden sollen, aber Steve Howe (Gründungsgitarrist von Asia und auch nach seinem Ausstieg gasthalber immer mal wieder auf den Platten dabei) wurde zu spät mit den Gitarrenaufnahmen fertig, und so kam dort letzten Endes ein anderer Song unter dem Titel "Into The Arena" zur Veröffentlichung. Wenigstens tritt "Ginger" nun so noch ans Tageslicht, denn es handelt sich um eine sehr schöne Akustikballade mit perfekter, mitunter leicht spanisch angehauchter Unverstromt-Arbeit von Steve. Als erster Bonustrack des Re-Releases steht eine Editversion von "Anytime" zu Buche, die von der gleichnamigen Singleauskopplung des "Aria"-Albums stammt und auch in der verkürzten Form noch einen hübschen Poprocker darstellt. Wertvoller aber ist der zweite, nämlich eine schöne Akustikversion des Klassikers "Open Your Eyes" als Radiomitschnitt von Juli 2003 - lediglich mit Keyboards, Akustik- bzw. Halbakustikgitarre und Mikrofon bewaffnet, zaubern John Payne und Geoff Downes hier ein wunderbares Stück Musik hin, das demonstriert, daß ein guter Song in vielerlei Arrangements funktionieren kann (wenngleich nicht muß, wie wir noch sehen werden), und das zu Recht mit Applaus des im Radio-Studio anwesenden Publikums belohnt wird.
"Archiva 2" eröffnet mit "Obsession", erneut einem schönen Bombastrocker, der nur den Nachteil hat, daß man als Hörer mitten im Refrain die unwiderstehliche Neigung verspürt, "... cause I'm a military man" weiterzusingen, also in einen anderen der neueren Asia-Tracks überzuwechseln - ein kleines harmonisches Selbstplagiat sozusagen, wobei "Obsession" im November 1991 geschrieben (und 2005 auf dem "Aqua"-Re-Release nochmal verbraten), "Military Man" aber erst auf dem 1994er "Aria"-Album veröffentlicht wurde (wobei ich nicht weiß, inwieweit der Song möglicherweise einer älteren Writingsession entsprungen ist). "Moon Under The Water" stammt von 1988 und landete in einer Spätversion auf Geoffs 1993er Soloalbum "Vox Humana", während es sich hier um die Frühversion mit John am Gesangsmikro handelt - die ersten reichlich drei Minuten leben ausschließlich von Gesang und Bombastkeyboards, bevor dann für eine reichliche halbe Minute doch noch eine komplette Band hinzutritt, was indes nicht unbedingt nötig gewesen wäre. "Love Like The Video" stammt aus dem Fundus der Band The Passion, in der John Payne in den Endachtzigern u.a. zusammen mit Ex-Iron Maiden-Trommler Clive Burr spielte, und ist mit einem Entstehungsdatum von März 1987 der älteste hier vertretene Song, wobei die hier zu hörende Version erst im Herbst 1987 eingezimmert wurde. Auffällig ist die Ähnlichkeit der refrainseitigen Harmoniestruktur mit "She Drives Me Crazy" der Fine Young Cannibals, wobei anzumerken wäre, daß sowohl die hiesige Version unveröffentlicht ist als auch die The Passion-Version nie offiziell konserviert wurde (von der Truppe gab es meines Wissens gar keine Tonträger). Relativ unauffällig schleicht "Don't Come To Me" durchs Unterholz, während das eskapistische Instrumental "The Smoke That Thunders" zwar prinzipiell aufhorchen läßt, aber wieder mal aufgrund der Drums verliert. Eigentlich hätte hier nämlich Carl Palmer als Gast trommeln sollen, doch der hatte keine Zeit, und so sampelte man seine Drums vom "Aqua"-Album und legte sie unter "The Smoke That Thunders" - aber das klingt eben wieder völlig künstlich und steril. Laune macht dann wieder der "Satellite Blues" mit einer dreckigen Gitarre, treibendem Tempo und tatsächlich der einen oder anderen gut versteckten Bluesharmonie. Mit "Showdown" hat sich sogar ein ELO-Cover eingeschlichen, im Original vom 1973er Zweitling der Lynne-Truppe und mit den Kunstdrums sogar deren artifiziellen Charakter reproduzierend, im Generellen aber vergleichsweise unspannend. Letzteres Attribut gilt auch für die Halbballade "That Season", die mal wieder ohne Drums wesentlich begeisternder ausgefallen wäre; lediglich das schöne Solo von Elliott Randall (mit Percussion von Luis Jardin ergänzt) macht richtig Laune (auch dieser Song wurde in der Re-Release-Serie nochmal verbraten, nämlich auf dem "Arena"-Album). "Can't Tell These Walls" werden im Booklet Souleinflüsse zugeschrieben, von denen ich allerdings weit und breit nichts hören kann. Der Song in seiner Anlage ist nicht schlecht, man hätte ihn als typischen Asia-Bombastrocker inszenieren können und wäre damit durchaus gut gefahren, aber in der "halbleeren" Version hier, die nur aus Vocals, ein paar Keyboards und Kunstdrums zu bestehen scheint, verbreitet er pure Langeweile. Auch "The Higher You Climb" ist in der hier verewigten Version nicht mehr als netter Pop - der zur damaligen Zeit (1987!) amtierende Gitarrist Scott Gorham (Ex-Thin Lizzy) hatte scheinbar gerade Urlaub und konnte nur ganz zum Schluß noch ein paar Halbakustische einschmuggeln. Wer das gleichnamige Max Bacon-Album von 1996 besitzt, kann ja mal nachhören, inwieweit sich die dort als Titeltrack präsente Version außer dem Gesang noch in anderen Punkten von der hiesigen unterscheidet (und das gleiche Experiment übrigens auch noch mit "Boys From Diamond City" machen). "Right To Cry" soll an die Cars erinnern - nun habe ich an dieser Stelle eine Lücke in meiner Sammlung, kann das also nicht verifizieren. Der Song schleicht allerdings auch recht unauffällig durchs Land, nur die versteckte Procul Harum-Orgel läßt mal kurz aufhorchen. Der nächste richtige Aufhorcher kommt erst mit "Armenia" zum Vorschein, einem guten atmosphärischen Instrumentalstück, das eigentlich auf einem von Geoff produzierten Benefizsampler für die Opfer des Erdbebens in Armenien von 1989 hätte landen sollen, letztlich aber nicht verwendet wurde. Das ausgedehnte Intro läßt nahöstliche Melodik durchschimmern, und echte Drums hätten auch hier aus einem guten einen hervorragenden Song gemacht. Der erste Bonus rekrutiert sich wieder aus einer Editversion, diesmal "Little Rich Boy" von der gleichnamigen Singleauskopplung aus dem "Aqua"-Album. Sammeltechnisch interessanter ist wiederum der zweite, denn "Turn It Around" kommt in einem "Ethnic Mix", den es bisher nur auf der "Turn It Around"-Promosingle gab - hörtechnisch interessant ist er dagegen weniger, denn auch diese reduzierte Version wirkt insgesamt zu blutleer, was wie beschrieben auf einen guten Teil der beiden CDs zutrifft. Dieses Manko wird aber durch die Latte an Highlights locker aufgewogen, so daß Asia-Anhänger, die die Alben noch nicht im Schrank haben, wohl zugreifen müssen und alle anderen Melodic Rock-Anhänger durchaus auch ein Ohr riskieren dürfen, wenngleich als Grundausstattung einer vernünftigen Sammlung natürlich erstmal das Achtziger-Schaffen von Asia Pflicht ist.
Kontakt: www.insideout.de, www.asiaworld.org

Tracklist:
Archiva 1:
Heart Of Gold
Tears
Fight Against The Tide
We Fall Apart
The Mariner's Dream
Boys From Diamond City
A.L.O.
Reality
I Can't Wait A Lifetime
Dusty Road
I Believe
Ginger
Anytime (Edit)
Open Your Eyes (Acoustic)

Archiva 2:
Obsession
Moon Under The Water
Love Like The Video
Don't Come To Me
The Smoke That Thunders
Satellite Blues
Showdown
That Season
Can't Tell These Walls
The Higher You Climb
Right To Cry
Armenia
Little Rich Boy (Edit)
Turn It Around (Ethnic Mix)
 






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