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von rls

DESERT: Star Of Delusive Hopes   (Sleaszy Rider Records)

Nanu, was ist denn mit Desert passiert? Hatten die russischstämmigen Israelis auf ihrer "Prophecy Of A Madman"-EP noch eine recht eigenständige Interpretation des Progressive Metals gespielt, so rückt der Opener des neuen Albums "Star Of Delusive Hopes", "The Unsubdued", ein ganzes Stück davon ab, verstärkt die damals noch eher dezenten düsteren Elemente, nimmt auch den Progfaktor weiter heraus und gerät somit phasenweise fast in die melancholische Metal-Richtung, wie man sie eher aus Finnland gewöhnt ist, also von den sperrigeren HIM-Alben oder Bands wie Entwine. Gerade einen solchen Song an die vordere Position zu setzen kann Chance wie Risiko sein - mancher Altanhänger wird möglicherweise verständnislos mit dem Kopf schütteln und sich ein weiteres Hineinhören sparen, während möglicherweise Menschen, die mit der bisherigen Ausrichtung wenig anfangen konnten, über einen solchen Song leichter Zugang zum neuen Material der Band finden. Das hat sich nämlich, wie die meisten der noch folgenden acht Songs zeigen, nicht gar zu stark gewandelt, wenngleich das düstere Element tatsächlich einen etwas größeren Raum einnimmt, allerdings weniger als generelle Ausrichtung des Songwritings, sondern als gezielt eingesetzte Klangfarbe, wofür nicht zuletzt wiederum die Aufteilung der Gesangslinien auf Fronter Alexei Raymar und Bassist Vadim Shulman sorgt, wobei erstgenannter die klaren und traditionsmetallischen Elemente beisteuert und letztgenannter die düsteren und extremen. Arbeitsteilung herrscht übrigens auch beim Songwriting: Es folgen jeweils zwei Songs von Gitarrist Max Shafranski und Keyboarder Oleg Aryutkin aufeinander, und das kleine interne Duell entscheidet Shafranski schließlich mit dem Titeltrack an neunter und letzter Position der 44 Minuten für sich. Trotzdem wirkt das Material homogen und wie aus einem Guß - eindeutige Elemente, die eine Zuweisung an einen der beiden Komponisten zulassen würden, lassen sich nicht feststellen, wenn man davon absieht, daß der Keyboarder in seinen eigenen Songs hier und da eine geringfügig tragendere Rolle bei der Inszenierung von Soli, Fills und anderen Elementen spielt (wer entdeckt den nicht dem Keyboard zugewiesenen augenzwinkernden Verweis gen Judas Priests "Breaking The Law" im vom Tastenmann komponierten "Letter Of Marque"?). Aber er rückt sich nicht ungebührlich in den Vordergrund, sondern stellt sein Können in den Dienst der Band, die sich somit klar vom eher selbstdarstellerischen Anspruch mancher Kollegen im Progbereich abhebt. Nicht verleugnen können (und wollen?) Desert ihre osteuropäischen musikalischen Wurzeln - etliche Melodielinien haben diesen melancholischen Unterton, wie man ihn bei russischen Bands häufig findet, und ähnlich wie bei den kurioserweise im gleichen Update vertretenen Bulgaren Krossfire fallen einem als Vergleichsband auf russischer Seite als erstes Catharsis ein, die in der Gesamtbetrachtung auch näher an Desert als an Krossfire lagern. Aber Catharsis hätten garantiert nie einen Song wie "Soul Of A Wanderer" geschrieben - eine exzellente Mixtur aus Moonspell und HIM mit leichtem Traditionsmetaleinschlag, durchaus anspruchsvoll, aber geradlinig von Zohar Telor untertrommelt, damit prinzipiell tanzbar und ein theoretischer Dauergast in mitteleuropäischen Düsterzappelbuden, wenn, ja, wenn Desert keine israelische Band auf einem eher kleinen griechischen Label wären, sondern aus dem hohen Norden kämen und ein entsprechendes Marketingbudget hinter sich hätten. Vielleicht hilft den Wüstenbewohnern die Connection zu Joakim Broden von den sich ja szeneintern mittlerweile großer Beliebtheit erfreuenden Schweden Sabaton, der in "Lament For Soldier's Glory (Order 227)" als Gastsänger zu hören ist: Zwar klingen Desert deutlich anders als Sabaton, aber doch nicht so anders, daß es nicht umfangreiche Überschneidungen in den potentiellen oder realen Fanschichten geben dürfte. Traditionsmetallische Herzen schlagen in den Desert-Mitgliedern nämlich durchaus auch, wie speziell der Gitarrenarbeit anzuhören ist. Dazu kommt ein gewisser Hang zur Theatralik, der im Power Metal ja durchaus zum guten Ton gehört und den sowohl Produzent Nick Savio (der für Legionen von Italometalalben verantwortlich zeichnete) als auch Mixer/Masterer Andy LaRocque (der bekanntlich bei King Diamond involviert war) naturgemäß nicht nur nachvollziehen konnten, sondern auch deutlich herausgearbeitet haben. Daß es am Klangbild nichts auszusetzen gibt, versteht sich bei solchen Beteiligten von selbst, und auch die optische Gestaltung der Innenseiten des Booklets überzeugt, während das Cover eher unbeholfen wirkt und den einzigen größeren Schwachpunkt einer ansonsten restlos überzeugenden, stilistisch allerdings schwer einzuordnenden Metal-Scheibe aus dem Nahen Osten darstellt. Freilich bleibt offen, in welche Richtung sich die Bewohner Beer-Shevas weiterentwickeln werden: Zunächst haben sie mit Sergei Nemichenitser einen Zweitgitarristen in die Band aufgenommen (er war noch nicht an der Einspielung von "Star Of Delusive Hopes" beteiligt, wird aber im Booklet bereits vorgestellt), dann allerdings ihre Rhythmusgruppe ausgetauscht - ergo ist mit Shulman auch der Zweitsänger von Bord gegangen. Ob bzw. wie er ersetzt wird, darauf darf man anhand künftiger Zeugnisse der Band gespannt sein. Derweil lohnt "Star Of Delusive Hopes" eigentlich für fast alle Metaller, deren Interessenspektrum irgendwo zwischen Sabaton und Moonspell liegt, zumindest einen intensiven Hörtest, wahrscheinlich aber auch einen Kauf.
Kontakt: www.sleaszyrider.com, www.desertband.com

Tracklist:
The Unsubdued
Massada Will Never Fall
Letter Of Marque
Victim Of The Light
Release Me
Soul Of A Wanderer
Whispers
Lament For Soldier's Glory (Order 227)
Star Of Delusive Hopes



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