www.Crossover-agm.de HIM: Venus Doom
von rls

HIM: Venus Doom   (Sire Records)

Ich gebe zu, mich mit HIM nach dem sehr stromlinienförmigen "Razorblade Romance" nicht mehr ausgiebig beschäftigt zu haben, zumal es etwa mit Entwine Bands der gleichen musikalischen Sorte, aber deutlich anspruchsvolleren Kompositionen gab (deren "Gone" von 2001 darf in dem Genre immer noch als kleiner Klassiker gelten). So richtig aufgewacht bin ich bezüglich des Valo-Teams erst 2007 wieder, als der zweite Teil der Raritätensammlung "Uneasy Listening" im Player lag und mit seinem rauhbeinigen Charakter und beispielsweise der erstklassigen Umsetzung von Black Sabbaths "Hand Of Doom" deutlich machte, daß HIM doch mehr auf der Pfanne haben, als man anhand "Razorblade Romance" erahnen konnte. Nun liegt also "Venus Doom", das nächste reguläre Studioalbum, im Player, und ich habe die Band auch live gesehen, wo sie sich um einen Spagat zwischen den teeniekompatiblen Hymnen und dem neugewonnenen Anspruch bemühte, der in ähnlicher Form auch im neuen Material angelegt ist. Natürlich konnte niemand erwarten, daß die Band ihre alten Trademarks komplett über Bord werfen und jetzt etwa titelgemäß reinen süßlichen Doom spielen würde, und das hat sie auch nicht getan. Aber sie erweitert ihre Songs, sowohl dimensional als auch stilistisch. Acht Songs (plus "Song Or Suicide" als reichlich einminütiges Zwischenspiel) in 48 Minuten, also eine Durchschnittslänge von knapp sechs Minuten, bilden das äußere Zeichen, und stilistisch zitieren HIM vor allem zwei Bands: im geringeren Maße Black Sabbath (man höre gleich das Eröffnungsriff des Openers und Titelsongs), im deutlich stärkeren Maße aber Type O Negative, und das nimmt bisweilen Ausmaße an, daß man phasenweise wirklich ein Album der Steele-Combo im Player wähnt, bevor man eine halbe Minute später aber wieder in einen klassischen HIM-Gothicrockpart übergeleitet wird. Selbst in "Passion's Killing Floor" (scheint irgendwo ausgekoppelt worden zu sein, zumindest weist der Coversticker explizit auf diesen Song und das folgende "The Kiss Of Dawn" hin) ist man vor derartigen Überraschungen nicht gefeit, wenn die Band in einem noch relativ typischen, allerdings auch schon von auffällig fetten Riffs untermalten HIM-Song nach einem schon etwas verdächtigen Break bei Minute 3:10 plötzlich auf finsteren Steele-Doom umschaltet. An dieser Stelle angekommen (es ist Song 3), hat man eine ähnliche gekonnte Abdriftung schon im Opener und Titeltrack entdeckt (der sich übrigens in der Gesamtbetrachtung als stärkster der neun Songs entpuppt, wenngleich zum Reviewzeitpunkt noch nicht alle endgültig erschlossen sind - was für HIM als großes Lob angesichts der früher herrschenden Stromlinienförmigkeit zu werten ist - und sich so vielleicht noch ein paar Verschiebungen ergeben könnten), während "Love In Cold Blood" an zweiter Trackposition gegen Songende hin, wo die alten HIM einfach aufgehört hätten, von den neuen HIM noch ein ausgedehntes Siebziger-Hardrocksolo verpaßt bekommen hat. "Sleepwalking Past Hope" bringt die Verquickung von HIM- und Type O-Stilelementen wohl am besten auf den Punkt, denn das Klavierintro hat mehr von HIM (und täuscht eine Ballade vor - eine solche wird man aber auf "Venus Doom" nicht finden, lediglich eine krautrockig-doomige Halbballade namens "Cyanide Sun" ganz am Ende), das Riff danach ist aber urtypisch Type O, und bis zu Minute anderthalb merkt man nur an Villes halbhohem Gesang, welche der beiden Bands hier am Werke ist (daß der Frontmann allerdings nötigenfalls auch bis in Steele-Tiefen vordringen kann, hat er in den zuvor erwähnten Songs bereits mehrfach bewiesen), so perfekt ist die Verschmelzung hier gelungen. Wenn später nach Minute 4:30 ein sinistrer Keyboardlauf einsetzt und Ville den tiefen Gesang wieder hervorkramt, kommt man erneut arg ins Grübeln: Type Him Negative? Erbsenzähler werden der Band möglicherweise vorwerfen, ihren eigenen Stil aufgegeben und sich anderweitig angebiedert zu haben - aber warum sollten die Megaseller HIM es nötig haben, sich irgendwo anzubiedern? Woher diese neue Ausrichtung bei Alleinkomponist Ville Valo kommt, darf getrost offenbleiben - festgestellt werden muß nur, daß sie nicht erst mit "Venus Doom" begonnen haben kann, denn das erwähnte "Uneasy Listening Vol. 2" hatte solche Wurzeln ja ebenfalls schon freigelegt, und Black Sabbath (die auch einen zentralen Einfluß für Type O Negative darstellen) covert man im Regelfall mal nicht eben aus Spaß, weil einem gerade nichts Besseres einfällt. Und allen Zeter-und-Mordio-Schreiern sei gesagt, daß sich etwa mit "Dead Lovers' Lane" auch noch reinrassiger HIM-Stoff auf der CD befindet, der (vielleicht mal abgesehen vom klassischen Hardrocksolo und dem dominanten Riffing an dessen Ende) auch auf "Razorblade Romance" hätte stehen können, wenngleich auch er ein paar mehr Breaks und Wendungen enthält als das damalige Material; "Bleed Well" fällt in die gleiche Kategorie, wobei man hier noch ein wenig The Cult durchzuhören wähnt. "Venus Doom" klingt in der Gesamtbetrachtung also recht sperrig, aber "sperrig" ist hier im positiven Sinne gemeint, also "erarbeitet werden wollend", "auch im fünften Durchlauf noch interessante, bisher noch nicht wahrgenommene Details offenbarend", meinetwegen auch "anspruchsvoll", vielleicht gar "erwachsen", wenn man so will. Mancher Altfan wird überfordert sein, mancher Teenie die Hits vermissen, aber "Join Me" gibt's halt schon, das muß nicht jedes Mal neu geschrieben werden. "Venus Doom" stellt also eine der musikalisch positivsten Überraschungen der letzten Monate dar (textlich wiederum hat sich wenig geändert), "rehabilitiert" HIM auch in den Kreisen, die sie bisher als reine Teenieband abgestempelt haben (der Rechtmäßigkeitsfaktor soll hier nicht diskutiert werden), und entpuppt sich als eines der stärksten Alben an der Grenze zwischen Gothic Rock und Gothic Metal, die uns das Jahr 2007 beschert hat, wenngleich an dieser Stelle niemand von mir verlangen sollte, es vergleichend zu Type O Negatives 2007er Album "Dead Again" zu werten.
Kontakt: www.heartagram.com, www.sirerecords.com

Tracklist:
Venus Doom
Love In Cold Blood
Passion's Killing Floor
The Kiss Of Dawn
Sleepwalking Past Hope
Dead Lovers' Lane
Song Or Suicide
Bleed Well
Cyanide Sun



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