www.Crossover-agm.de AYREON: Universal Migrator Part II - Flight Of The Migrator
von rls

AYREON: Universal Migrator Part II - Flight Of The Migrator    (Transmission Records)

Teil 2 des neuen Ayreon-Werkes ist tendenziell etwas metallastiger ausgefallen als der eher traditionelles Spacerockterritorium pflügende Teil 1. Ich weiß zwar nicht, welche Pappnase auf die Idee gekommen ist, diesen 2. Teil als speedmetalorientiert anzupreisen (es muß ein Mensch gewesen sein, der sich lediglich die ersten und die letzten drei Minuten der CD angehört und die Gastsängerliste angesehen hat, denn abgesehen von diesen Aspekten und dem Song "Through The Wormhole" hat "Flight Of The Migrator" mit Speed Metal ungefähr soviel zu tun wie Boca Juniors Buenos Aires mit Energie Cottbus [Glückwunsch zum Aufstieg!!!]), aber grundsätzlich ist die stärkere Gewichtung auf traditionsmetallischen Gesang und riffbetontere Songstrukturen unverkennbar.
Unser Marskolonist setzt sich also wieder in seinen Dream Sequencer und läßt sich zurückbeamen - diesmal aber in die Zeit vor dem Urknall: "I travel all the way back to the period before The Big Bang where matter, energy and time itself all intermingle in the chaotic unformed vacuum of proto space". Das dorten herrschende Chaos wird paradoxerweise musikalisch zwar mit den heftigsten Passagen der kompletten zwei CDs umgesetzt, allerdings bleiben die Sounds im harmonischen Speed Metal-Rahmen und sind gar noch mit schönen Melodien ausgepolstert. Vielleicht wäre hier ein fünfminütiges Jazzgrind-Soundgebräu a la Brutal Truth, Alboth oder gar John Zorn noch aussagekräftiger gewesen. Jedenfalls kreiert der Urknall eine Urseele (nicht umgekehrt, meint Lucassen; obwohl man auch dieses Bild in der Story unterbringen könnte und damit gleich noch einen interessanten religiösen Aspekt hätte herausholen können - Lucassen wird das aber sicher nicht grundlos so gehalten haben), die sich augenblicklich teilt, wobei die einzelnen Teile auseinanderstreben und das komplette Universum mit Leben erfüllen oder zumindest beseelen. Symphony X-Sänger Russell Allen setzt diese Geschehnisse im großangelegten "Dawn Of A Million Souls" mit gebührender Anerkennung um. Unser Marsianer folgt dem Seelenteil, der als finales Ziel die Erde hat, und bestaunt unterwegs eine Reihe kosmischer Phänomene, die die Grundlage für die Folgesongs bilden. Da ziehen etwa ein Quasar und ein Pulsar vorbei ("To The Quasar" - musikalisch dem 1. Teil am ähnlichsten und von Helloweens Andi Deris eingesungen), und dann scheint der Weg durch ein Schwarzes Loch zu führen ("Into The Black Hole", zehn Minuten tonnenschwerer Epic Metal, mit dem ich erst nach mehreren Durchläufen etwas anfangen konnte, der aber mittlerweile einer meiner absoluten Lieblinge des Albums ist und der die unglaubliche Masse eines solchen Gebildes musikalisch perfekt umsetzt, zumal Wieder-Maiden-Fronter Bruce Dickinson eine gewaltige Gesangsleistung abliefert), das sich beim Durchflug als Wurmloch entpuppt ("Through The Wormhole", hier singt Fabio Lione von Rhapsody), nur leider zur falschen Einflugschneise der Galaxie M31 führt, denn ein gewisser Planet Y stellt sich als lebensfeindlich heraus ("Out Of The White Hole", Vocals von Stratovarius-Fronter Timo Kotipelto). Schlußendlich kommt die Erde aber doch in Sicht, nur gibt es diesmal technische Probleme, denn der Dream Sequencer, der bisher treue Dienste geleistet hat, gibt seinen Geist auf, und unser Marsianer stirbt - jedenfalls körperlich. Seine Seele indes vereinigt sich mit dem migrierenden Seelenteil zu genau dem Teil, das dem kosmischen Puzzle noch fehlt und das gleichzeitig das Wissen aus der Zukunft in sich trägt, daß es mit dem blauen Planeten so rapide abwärts gehen könnte, daß der lokal-finale Big Bang keinesfalls mehr in unvorstellbarer Ferne liegt. Damit kehrt Lucassens Fantasy-Story mit einer wichtigen Botschaft in die Realität zurück, einer trotz aller Schwierigkeiten positiv (auf Katastrophenverhinderung) ausgerichteten zudem, die im Schlußtrack "The New Migrator" entsprechend musikalisch umgesetzt wird (ein bedeutungsschwangerer erster Teil mit der Seelenvereinigung und ein speedig-fröhlicher zweiter Teil, der zwar "Hilfe" schreit, aber weiß, daß es im Prinzip nur besser werden kann und demnach Pessimismus fast ein Ding der Unmöglichkeit ist).
Natürlich schafft Lucassen es nicht, über die kompletten 20 Songs beider CDs (Gesamtspielzeit 135 Minuten!) ein einheitlich hohes Niveau zu halten, aber bis man alle Details dieses Mammutwerkes entdeckt hat, sollte doch sehr viel Zeit vergangen sein, in der man sowohl musikalische Finessen als auch lyrisch-philosophisch interessante Nachdenkeaspekte ausgraben kann. Damit hat der Holländer mit seinem 24köpfiges All-Star-Musikerteam mehr geschaffen, als 90 % der momentanen Besiedler der deutschen Charts es in 100 Jahren auf die Reihe kriegen würden. Kopflastig klingt "Universal Migrator" aber trotzdem zu keiner Zeit, und das zeichnet einen wahren Könner aus: Intelligente Platten machen, aber nie durchscheinen lassen, daß man die Intelligenz mit Schöpfkellen gefuttert haben muß. Wer an dieser Intelligenz teilhaben will, aber im Plattenladen um die Ecke nicht fündig wird, der melde sich mal bei Transmission Records, PO Box 2078, 3140 BB Maassluis, Niederlande, Email double@caiw.nl

 




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