www.Crossover-agm.de HELLOWEEN: Gambling With The Devil
von rls

HELLOWEEN: Gambling With The Devil   (Steamhammer/SPV)

Die Theorie der zyklischen Entwicklung Helloweens findet eine weitere Bestätigung. Man sehe: Bis "Keeper II" nur Meisterwerke, dann zwei schwächere Alben, "Master Of The Rings" als Wiedererstarkung, "The Time Of The Oath" und "Better Than Raw" erneut Meisterwerke, dann zwei schwächere Alben, "Keeper Of The Seven Keys - The Legacy" als Wiedererstarkung - und mit "Gambling With The Devil" liegt nach bisheriger Einschätzung erneut ein Meisterwerk vor, wenngleich es noch immer einige wenige Songs gibt, die noch nicht ganz gezündet haben, und andererseits auch die ganz dicken Überknaller ausgeblieben sind, von denen "Keeper - The Legacy" in Gestalt der beiden Longtracks immerhin zwei zu bieten hatte. Longtracks fehlen auf "Gambling With The Devil", als ausladendster der zwölf Tracks bringt es "The Saints" gerade mal auf reichlich sieben Minuten - die allerdings gehören wiederum zum Besten, was sich Herr Weikath und seine Mannen jemals aus den Rippen geschnitten haben: Anspruchsvoller Speed vom Feinsten, ein einprägsamer, aber nicht platter Refrain, ekstatische Gitarrenarbeit und als Outro noch ein kurzes Streicherarrangement über das Hauptthema des Songs, wie man das in ähnlicher Form schon einmal bei Seraphim auf ähnlich hohem Niveau vernommen hat. Bis man zu "The Saints" vorgedrungen ist, hat man das jahrmarktsartige Intro "Crack The Riddle" (mit Biff Byford als Gastsprecher - warum mußte man dem aber eigentlich einen Grunzer als zweite Stimme unterlegen?) und "Kill It" schon hinter sich - letztgenanntes ein gutes Beispiel für das ideenreiche Songwriting der neueren Helloween, die es mit der Zeit immer besser fertigbringen, auch obskurere Elemente songdienlich einzufügen und damit der Gefahr einer simplen Selbstkopie ihrer ersten beiden "Keeper"-Alben zu entgehen. Das führt zwar dazu, daß man "Kill It" etliche Male hören muß, aber irgendwann hat man dann die Hauptelemente und ihre Zusammensetzung verstanden und weiß auch, auf welcher Grundlage sich die in der Bridge mal kurz verzerrten Deris-Vocals oder gar die kurzen Kreischeinlagen bewegen. Irgendwie - man verstehe das nicht despektierlich - wirkt "Kill It", als würden die Pet Shop Boys plötzlich anfangen, saugeilen Metal zu spielen. "As Long As I Fall" wiederum stellt Helloweens neue Herangehensweise an fast radiotaugliche Hardrocksongs dar, spricht im Refrain eine interessante Wahrheit aus ("As long as I fall, I don't hit the ground"), beinhaltet trotzdem einige recht abgefahrene Elemente und wurde als erste, allerdings nur in Dateiform erhältliche Single ausgekoppelt. Ein ähnlich gut, vielleicht aufgrund seiner Geradlinigkeit sogar noch besser geeigneter, da im positiven Sinne massenkompatiblerer Singlekandidat wäre "Final Fortune" gewesen, in dem man zudem ganz kurz von Helloween bereits früher verwendete Harmoniefolgen entdecken kann, im Gitarrensound des Soloteils ab ca. 3:15 min ebenfalls einen alten Bekannten wiedertrifft und trotzdem nie auf die Idee kommt, Helloween hätten mangels eigener Einfälle einfach bei sich selber geklaut. Das Pianointro ist auch sowas Ähnliches wie der große Bruder von "If I Could Fly", und irgendwie wirkt der komplette Song so, als sei er derjenige, den Helloween an die Stelle von "If I Could Fly" auf "The Dark Ride" hätten setzen wollen oder sollen, aber noch nicht dazu in der Lage waren. Zwischen "As Long As I Fall" und "Final Fortune" steht allerdings noch "Paint A New World", und dessen Vorbilder finden sich in den Großtaten von "Better Than Raw", unterstreichend, daß es nicht nur Ex-Trommler Uli Kusch war, der losholzende und trotzdem fein ausziselierte Songs an der Grenze zum Thrash schreiben konnte, und warum diese Grenze auf "The Dark Ride" unvorteilhaft überschritten wurde. Das hier ist feinste alte Schule und trotzdem modern - ein Spagat, den nicht viele Bands hinbekommen. "The Bells Of The 7 Hells" leitet eine thematische Trilogie ein. Bekanntlich ist das komplette menschliche Dasein ein permanenter Kampf zwischen der hellen und der dunklen Seite, und das sowohl intern wie extern - bisweilen nimmt das Ganze tatsächlich den Rang eines Glücksspiels ein, und manche gewinnen, während viele andere verlieren; gleichzeitig fungiert die Grundfrage aber auch als ein altbewährtes Thema im Metal, und somit sollte die mit reichlich Klischees versehene optische Gestaltung (ein Lyricsheet liegt mir nicht vor) nicht weiter überraschen. "The Bells Of The 7 Hells" (auch der Titel als solcher ist natürlich Klischee pur) wirkt ungefähr so, als ob man "The King For A 1000 Years" vom Vorgängeralbum auf fünfeinhalb Minuten eingedampft hätte, Orchesterbreaks und ähnliche Zutaten inclusive, allerdings muß man sich diesen Song paradoxerweise deutlich öfter anhören als das knapp dreimal so lange "The King ...", bis man ihn verstanden und als weiteres Meisterwerk erkannt hat. Für diesen Prozeß hat die bisherige Durchlaufzahl von "Fallen To Pieces", dem Mittelteil der Trilogie, bisher noch nicht ausgereicht, denn hier habe ich immer noch den Eindruck, Helloween hätten in den knapp sechs Minuten zuviel gewollt und die Überfrachtungsgrenze hier und da unvorteilhaft überschritten, wenn man etwa mal das inmitten des eher modern konzipierten Tracks plötzlich um die Ecke schießende und ebensoschnell wieder verschwindende traditionelle Speedsolo als Exempel heranzieht. "I.M.E." als Schluß der Trilogie wiederum überrascht durch Simplizität, will allerdings auch nicht überzeugen, wenn man mal vom wiederum hervorragenden Solo absieht. Wenn schon simplerer Hardrock, dann so wie im folgenden "Can Do It", das einen gewissen Siebzigergestus mit sich herumträgt, auch von Bassist Markus Großkopfs Zweitband Kickhunter stammen könnte (dort allerdings weniger nach klassischem Melodic Rock, sondern mehr nach klassischem Südstaatenrock geschielt hätte), in den kurzen Solodrumparts die Fortsetzung mit The Knacks "My Sharona" erwarten läßt und einen mit dem typischen Helloween-Humor versehenen Schluß aufbietet: Alle Instrumente brausen noch einmal auf, fallen nach einer typischen Schlagzeug-Schlußhinwendung in einer Fast-Generalpause in sich zusammen, und man erwartet danach einen großen Schlußakkord, bekommt allerdings statt dessen ein fast hilflos ob seines plötzlichen Alleinstehens wirkendes Klavier mit ein paar Drumschlägen als Finale. Hat man sich von dieser Überraschung erholt, sprintet mit "Dreambound" ein eher traditioneller und relativ geradliniger Speedie los, kein ganz großes Highlight, aber der Beweis, daß Helloween auch so etwas noch schreiben können, wenn sie wollen, und daß sie das auf zweifellos hohem Niveau können, ohne daß man jeden Moment an die Großtaten der Vergangenheit (in diesem Fall besonders an einige von "The Time Of The Oath") denkt. Albumintern liegt der Vergleich mit "The Saints" nahe, und der geht unentschieden aus. "Heaven Tells No Lies" bringt es zum Abschluß des Albums noch einmal auf knapp sieben Minuten, und auch die weisen klar in die glorreiche Vergangenheit zurück - keineswegs in die von Queen, wie das Bandinfo behauptet, sondern in die eigenen alten "Keeper"-Zeiten, wenngleich es keinen direkten Querlink gibt und einige Elemente enthalten sind, die man zwar von 3498 anderen Melodic Metal-Bands der letzten Jahrzehnte gehört, aber in einem Helloween-Song eigentlich noch nicht zusammengefügt gefunden hat. Wenn man fremde Bands heranziehen will, dann zwei: Manticora und Wuthering Heights, beide allerdings etwas bombastreduzierter und völlig ohne Blind Guardian-Touch. Auf die Qualität des Songs hat das allerdings sowieso keinen Einfluß - die bleibt so hoch wie die nahezu des kompletten restlichen Albums. Ob sich diese Einschätzung nach einer doppelten oder dreifachen Anzahl der Hördurchläufe (die Zahl bisher liegt knapp vor der Zweistelligkeit) noch halten läßt, bleibt natürlich abzuwarten, aber nach derzeitigem Eindruck kämpft "Gambling With The Devil" trotz der genannten kleinen Schwächeanfälle mit Nightwishs "Dark Passion Play" (das ja auch kleine Schwächeanfälle zu verzeichnen hatte - aber ein komplett perfektes Album habe ich dieses Jahr noch nicht gehört) um den Titel "Album des Jahres 2007" und gehört in jede vernünftige Metalsammlung.
Kontakt: www.helloween.org, www.spv.de

Tracklist:
Crack The Riddle
Kill It
The Saints
As Long As I Fall
Paint A New World
Final Fortune
The Bells Of The 7 Hells
Fallen To Pieces
I.M.E.
Can Do It
Dreambound
Heaven Tells No Lies
 




www.Crossover-agm.de
© by CrossOver