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Freedom Call, Vexillum   05.12.2015   Markneukirchen, Framus & Warwick Hall
von mst und rls

Nachdem Markneukirchen dank der Framus & Warwick Music Hall wieder verstärkt auf der schwermetallischen Konzertlandkarte zu finden ist, war es diesmal der Besuch von Freedom Call (und unseres Chefredakteurs), der mich mal wieder zu einem gemütlichen Konzertabend führte. Als wir noch die letzten Meter Fußweg hinter uns brachten, ertönte schon ein ordentliches Gewummer im Markneukirchner Gewerbegebiet. Ganz klar, das Konzert hatte überpünktlich begonnen und wir waren zu spät. Allerdings fanden wir noch während des ersten Songs ("The Hunt" vom 2012er Album "The Bivouac") Einlass, so dass uns ausreichend Zeit blieb, den italienischen Support Vexillum zu hören und zu bestaunen. Ganz ehrlich, vorher hatte ich noch keinen einzigen Ton dieser Band gehört und war entsprechend neugierig.
Dario von Vexillum  Vexillum
Und am Anfang wusste ich noch gar nicht so recht, wie ich die Jungs einordne. Ledermonturen, die irgendwie an eine Mischung aus "300" und "Hobbit" erinnern, dazu teilweise mit (künstlichen) Pflanzen behangen, wahrscheinlich Weinranken oder Efeu, hier müsste Botaniker Ludwig aushelfen (das sieht in der Tat verdächtig nach Efeu aus, und auch die konsultierten Experten im Garten-Pur-Forum waren überwiegend dieser Meinung - Anm. rls), einheitlicher Verzicht auf Hosen und dafür die bequeme Rockwahl und ein permanent unverschämtes Dauergrinsen, das speziell bei Sänger Dario raubtierhafte Züge hatte ('nen Zahnarzt hat der wohl nicht nötig). Die Songs megaeingängig, symphonischer Power Metal mit teils hohem Folkanteil, irgendwo zwischen Elvenking, Ensiferum und Rhapsody of Fire und vor der doch recht übersichtlichen und zurückhaltenden Zuschauermenge dargeboten, als ob man ein Heimspiel vor zehntausend enthusiastischen Anhängern hat. Speziell das nötigte mir immer mehr meinen Respekt ab und mit zunehmender Spieldauer wurde mir ein Dauerlächeln ins Gesicht gemeißelt, das ich den ganzen Abend behalten sollte. Unterhaltsame Musik von Freedom Call und Vexillum mit einem unglaublich hohem Gute-Laune-Faktor, den man heutzutage nicht hoch genug einschätzen kann und den man vielleicht einfach mal genießen sollte. Und genau das habe ich gemacht. Egal, ob bei der sicherlich ungewollten Reverenz an das altbekannte Accept-Gitarrenballett oder den hüpfenden Musikerflummis (dessen ich mich allerdings auf Konzerten nach wie vor strikt enthalte, bei Metal wird gebangt oder die Faust geschüttelt, nix mit Hüpfen), Vexillum schafften es eine wunderbar lockere Stimmung zu schaffen und das Publikum fabelhaft auf die nächsten fröhlichen Melodien, die da folgen sollten, einzustimmen. Auch im Anschluss war man sich nicht zu schade, mit Fans abzuhängen und seinen Sympathiewert noch aufzustocken. In diesem Sinne: Gute Band, guter Start in diesen Konzertabend! (mst)

Freedom Call  Die Sechssaitenfront

Nein, das ist nicht Joey de Maio!
Es gibt ja durchaus nicht wenige Menschen, die das Drittwerk "Eternity" für das stärkste Freedom-Call-Album halten, und auch beim hier schreibenden Rezensenten liegt es im bandinternen Ranking zumindest auf Rang 2 (hinter dem Zweitling "Crystal Empire"). Der Re-Release besagten Albums gießt einerseits natürlich Wasser auf die Mühlen dieser Menschen, andererseits aber auch wieder nicht, denn wenn man den Extratrack "666 Weeks Beyond Eternity" hören will, wird man zum abermaligen Erwerb des schon längst in der Kollektion befindlichen Albums gezwungen. Der Rezensent freut sich trotzdem auf die Tour zu besagtem Re-Release, die einen willkommenen Anlaß gibt, das Originalalbum nach langer Zeit mal wieder in den Player zu werfen und dessen Qualitäten wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, sofern sie überhaupt jemals aus selbigem verschwunden waren - es stand zu erwarten, daß "Eternity"-Material die Setlist dominieren würde. Und das trifft dann auch ein: Zwar berücksichtigen Freedom Call natürlich auch ihr aktuelles Studioalbum "Beyond", und zwar mit "Union Of The Strong" und "Heart Of A Warrior" gleich ziemlich weit vorn, aber summiert gibt es gleich sechsmal Stoff von "Eternity" bzw. siebenmal, wenn man den Re-Release hernimmt, denn "666 Weeks Beyond Eternity" steht natürlich auch im Set und bildet dort einen der wenigen Schwachpunkte, denn irgendwie wirkt es als Fremdkörper, der mit seiner pseudobösen Attitüde samt düsterem Instrumentalteil so gar nicht zum Rest des Schaffens passen will, der düstere Elemente sonst mit weit größerer Eleganz zu verarbeiten pflegte (das leider nicht gespielte "Pharao" als prima Exempel). Kurioserweise steht der andere größere Schwachpunkt in der Setlist gleich dahinter: "Power & Glory" könnte, schließt man die Augen, auch von den Ortsnachbarn J.B.O. gespielt werden, und es wäre auch in deren Set keineswegs zu den Highlights zu zählen. Dafür entschädigen Freedom Call aber mit zahlreichen Perlen im reichlich anderthalbstündigen Set, zu denen ausdrücklich nicht nur die fröhlichen Melodic-Speed-Kompositionen zu zählen sind, sondern auch die Halbballaden "The Quest" und "Bleeding Heart", von denen zweitere interessanterweise den Zugabenteil eröffnet - auch eine eher ungewöhnliche, aber an diesem Abend durchaus paßgenaue Wahl. Das Publikum ist insgesamt bester Laune, die Band ist es sicht- wie hörbar auch, und so entwickeln sich interessante Interaktionen: Sänger Chris Bay trinkt aus einem Colabecher und frozzelt: "Das Mineralwasser bei euch ist aber ganz schön trüb." Antwort aus dem Publikum: "Das liegt am Uran." Andere Enthusiasten gefallen sich in "Vogtland, Vogtland"-Mantras, und die Mitsingparts werden (außer dem in "Power & Glory") in erstklassiger Manier gemeistert, was Bay eine gewisse Verwunderung abnötigt - offenbar hat ihm niemand erzählt, daß er hier in einer Gegend spielt, die nicht umsonst den Beinamen "Musikwinkel" trägt ... Kollege Mario, der im Gegensatz zum Rezensenten die Band schon mehrfach live gesehen hat, bemerkt übrigens, daß Bay deutlich besser bei Stimme sei als etwa auf den Touren mit Blind Guardian und Gamma Ray, während der Rezensent lediglich neutral feststellen kann, daß es am Gesang wenig zu deuteln gibt, solange man ihn denn hört: In der Setmitte meint es der Soundmensch mit den Drums etwas zu gut, so daß man zumindest vorn in der zweiten Reihe, wo es sich der Rezensent gemütlich gemacht hat, außer ihnen und den Leadgitarren nur noch wenig hört - aber irgendwann pegelt sich das wieder ein. Bay erweist sich im Intro von "Metal Invasion" zudem als multitaskingfähig: Gitarre wechseln, neue Gitarre stimmen und gleichzeitig singen - kein Problem! Seine 200 Mitmusiker haben ähnlich viel Spaß wie er, also zumindest die drei, die auf der Bühne stehen (die Orchestersamples und ein paar Chöre kommen vom Band, sind aber im wesentlichen nur hintergründig zu vernehmen), und die mittlerweile ja nicht mehr ganz so neue Besetzung (Drummer Ramy Ali und Baß-Rückkehrer Ilker Ersin, der übrigens optisch einem gewissen Joey de Maio ähnelt, sind seit 2013 - wieder - dabei) zeigt sich auch prima eingespielt, so daß einem großen und unterhaltsamen Metal-Abend nichts im Wege steht und der Vorabend des Nikolaustages daher auch zu einem solchen wird. Die Bandhymne "Freedom Call" (immer wieder brillant: das winzige Arpeggio im letzten Soloteil) schließt den regulären Set ab, und "Bleeding Heart" leitet das große Zugabenfinale mit - natürlich - "Warriors" und "Land Of Light" ein. Feine Sache - auch wenn man hinterher mit Pantera-Konserven rausgeworfen wird, während auf den Monitoren über der Bar Red-Hot-Chilli-Peppers-Videos laufen ... (Auf der Heimfahrt hat der Rezensent dann zufälligerweise einen Boston-Livemitschnitt im Autoradio laufen. Die Theorie, daß Freedom Call für den Melodic Metal das seien, was Boston für den AOR sind, darf diskutiert werden ...) (rls)

Setlist Freedom Call:
Union Of The Strong
The Eyes Of The World
Heart Of A Warrior
Farewell
Island Of Dreams
Metal Invasion
The Quest
666 Weeks Beyond Eternity
Power & Glory
Tears Of Babylon
Freedom Call
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Bleeding Heart
Warriors
Land Of Light

Fotos: mst



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