www.Crossover-agm.de
Sonata Arctica, Trick Or Treat   18.04.2014   Leipzig, Hellraiser
von rls

Fröhliche Finnen auf Tour in der Karwoche, Teil 1: Neuneinhalb Jahre ist's her, daß der Rezensent Sonata Arctica erst- und bisher auch letztmalig live erlebt hatte, und da er zudem kein einziges der in der Zwischenzeit erschienenen Alben in Gänze kennt, ergo die Konservenentwicklung nicht mitverfolgt hat, war er umso gespannter, was die Herrschaften um Tony Kakko denn aktuell zu bieten haben würden. Zunächst galt es allerdings die korrekte Konzertbeginnzeit zu ermitteln, da die Hellraiser-Homepage sich noch um 19 Uhr mit "Einlaß: folgt; Start: folgt" aus der Affäre zieht, ergo einerseits der Fakt berücksichtigt werden muß, daß "Start: 21 Uhr" im Hellraiser nicht selten bedeutet, daß die (erste) Vorband um diese Zeit schon mit ihrem Set fertig ist, andererseits aber auch noch Karfreitag ist, an dem durchaus behördliche Restriktionen bezüglich des Konzertendes zu berücksichtigen sein könnten. Der Rezensent ist also 20.10 Uhr da - und landet mitten im Set der Vorband, deren Name vorher nirgendwo angekündigt worden war. Es handelt sich um Trick Or Treat, die man musikalisch bei einem Blindfold-Test sofort in Italien verortet hätte - und damit liegt man auch richtig. Viereinhalb Songs bekommt der Rezensent von ihnen noch mit, und die machen richtig Laune, seien es eher speedige Tracks im typischen Italometal-Strickmuster oder die metallisierte Coverversion von Cyndi Laupers "Girls Just Wanna Have Fun". Trick Or Treat hatten anno 2002 als Helloween-Coverband angefangen, und das hört man auch heute noch eindeutig durch, sowohl musikalisch als auch im Hinblick auf die Attitüde, denn hier gibt es noch die echten "Happy, Happy Helloween", ohne daß das Quintett aber als Klamauktruppe abzuqualifizieren wäre. Dafür stecken auch viel zu gute Musiker dahinter, von denen vier Fünftel übrigens schon bei der Gründung dabei waren (nur der Drummer ist erst seit 2011 dabei) und von denen Sänger Alessandro Conti nicht nur eingefleischten Genrefans noch aus einem anderen Kontext bekannt sein dürfte, nämlich als Sänger der von Luca Turilli geführten Rhapsody-Hälfte. An diesem Abend jedenfalls überzeugt der Mann mit kraftvollem, aber jederzeit klarem Gesang in jeder gewünschten Höhenlage, und auch die Gitarristen zaubern, was das Zeug hält. Einen festen Keyboarder haben Trick Or Treat nicht, und so kommen die gelegentlichen Keyboardlinien vom Band, was freilich das Soundbild hier und da ein wenig zu sehr verunklärt, zumal der Klang allgemein einen Tick zu laut daherkommt. Das stört die meisten Anwesenden allerdings nicht - Trick Or Treat passen bestens zu Sonata Arctica und werden von deren Anhängerschaft (eigene werden sie trotz dreier Alben plus einer Helloween-Coverplatte wohl erst in überschaubarem Maße haben) daher auch ziemlich lautstark gefeiert. Passend zur Tourzeit sitzt auf dem Cover des neuen Albums "Rabbits' Hill, Part 1" übrigens ein Hase, und zum letzten Song kommt Conti mit Donald-Duck-Handschuhen auf die Bühne, was die gute Laune auf hohem Niveau hält.

Sonata Arctica hatten angekündigt, die Tour stehe unter dem Motto "Pariah's Child", was dem Titel des neuen Albums entspricht, diene aber gleichzeitig der Feier des 15jährigen Bandjubiläums. Ergo konnte man knobeln, was die Setlist denn so alles beinhalten würde: etliche neue Songs, klar, aber dann eher einen oldschooligen Set oder einen alle Bandphasen umspannenden und dort vielleicht mit ein paar Raritäten aufwartenden? Der Rezensent hält die beiden ersten Alben "Ecliptica" und "Silence" nach wie vor für absolute Spitzenwerke im Bereich des melodischen Speed Metals, die von den Folgewerken, soweit er sie kennt, nicht übertroffen und auch nicht erreicht werden konnten. Mit "The Wolves Die Young" eröffnet denn auch gleich ein neuer Song den Set und leitet eine Folge von Midtempotracks ein, von denen allerdings keiner dem anderen vom Grundbeat her gleicht und die schrittweise immer mehr "Zug zum Tor" entwickeln - eine Entwicklung, die in "FullMoon" (vom Erstling) und "Black Sheep" (vom Zweitling) vorläufig gipfelt, wobei der Rezensent in der Zwischenzeit auch das ihn anfangs wenig überzeugende "Black Sheep" durchaus schätzen gelernt hat, wenngleich es auf besagtem Album nach wie vor am unteren Ende der Qualitätsstufe steht. So gute Reaktionen diese beiden Songs und auch bereits das an dritter Stelle stehende "My Land" (vom Erstling) beim Publikum auch ernten - man muß auch festhalten, daß die Anwesenden durchaus auch mit dem jüngeren Stoff bereits vertraut zu sein scheinen und etwa "Cloud Factory" ebenfalls enorm positive Reaktionen erntet. Dazu trägt sicherlich auch die offenkundige Spielfreude der Band bei: Alle vier nicht ortsgebundenen Musiker wechseln permanent die Positionen - zu diesen zählt auch Keyboarder Henrik Klingenberg, der zwar links hinten auch ein stationäres Keyboard stehen hat, das Gros des Sets allerdings mit seinem mobilen Instrument über die Bühne springt und in einigen, hauptsächlich älteren Songs sogar beide bedient, jedes mit einer Hand und gegebenenfalls auch mal überkreuzt. Das Klanggewand ist nochmal lauter geworden, bleibt allerdings relativ klar (nur die Gitarrenleads sind bisweilen in ihrer Schrillheit ohne Gehörschutz kaum auszuhalten, obwohl der Rezensent schräg links hinter dem Mischpult steht und nicht wissen möchte, wie es weiter vorne war - aber auch mit Schalldämmung bleibt der Sound noch erstaunlich transparent, was ja auch nicht die Regel ist), so daß man auch deutlich mitbekommt, daß Tony Kakko sich noch stärker als vor neuneinhalb Jahren von den ganz hohen Passagen fernhält, allerdings im Regelfall durchaus nachvollziehbare Alternativen anbieten kann. Und in den eher halbhohen Passagen hört man den Mann nach wie vor aus Legionen von Kollegen heraus - ein Könner ist da am Werk (in den chorischen Passagen kompetent unterstützt von allen anderen Musikern außer Drummer Tommy Portimo), zudem ein sympathischer Entertainer, der nur leider ein etwas merkwürdiges Englisch spricht, so daß man nur die Hälfte seiner Ansagen versteht. Das tut der positiven Stimmung an diesem Abend allerdings keinen Abbruch: Die brillante Halbballade "Tallulah" verleitet zum Träumen, das vielschichtige Epos "White Pearl, Black Oceans..." schraubt zum ersten Mal die Schlagzahl zumindest phasenweise ganz nach oben, und dann geht die Post zum Setende ganz ab: "Kingdom For A Heart" vom Debüt, nach langer Zeit mal wieder im Set, mündet nahtlos in "Wolf & Raven" vom Zweitling ein und läßt bei den Altfans im Publikum, den Rezensenten eingeschlossen, alle Dämme brechen. Den Zugabenteil leitet das neue "Blood" vielleicht einen Tick zu unauffällig ein, aber "San Sebastian" schraubt die Anzahl der "Silence"-Beiträge auf vier (man könnte es zwar auch der "Successor"-Mini-CD zuordnen, wo es erstveröffentlicht worden war, aber wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst) und überspült die Dämme aufs neue, worauf "Don't Say A Word", kaum weniger gefeiert, den überragenden Schlußpunkt auf reichlich anderthalb Stunden melodischen Power/Speed Metal vom Allerfeinsten setzt, die dem Zweifler wieder mal gezeigt haben, wie lebensbejahend und mitreißend Heavy Metal doch sein kann.

Setlist Sonata Arctica:
Intro
The Wolves Die Young
Losing My Insanity
My Land
In The Dark
Cloud Factory
What Did You Do In The War, Dad?
FullMoon
Black Sheep
Tallulah
White Pearl, Black Oceans...
I Have A Right
Kingdom For A Heart
Wolf & Raven
---
Blood
San Sebastian
Don't Say A Word



www.Crossover-agm.de
© by CrossOver