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Eläkeläiset   19.04.2014   Jena, F-Haus
von rls

Fröhliche Finnen auf Tour in der Karwoche, Teil 2: Alle Jahre wieder durchziehen Eläkeläiset im April für zwei Wochen Deutschland, um es zum Tanzbeinschwingen zu bekehren. Zwei Dekaden lang ist die Band nun schon aktiv, seit längerem auch mit gefestigter Besetzung, nachdem in der Frühzeit ein munterer Mitgliederaustausch stattgefunden hatte (es kursiert das Gerücht, die Band wäre sogar einmal auf zwei Festivals gleichzeitig aufgetreten, was nur mit einem gewissen "Reservemusikerpool" funktioniert). Diesmal ist allerdings das meiste so, wie man es aus den letzten Jahren kennt und liebt - eine Aussage, die im Falle des Rezensenten nicht auf den Veranstaltungsort zutrifft: Der Berichterstatter ist diesmal nicht in der Leipziger Moritzbastei, sondern drei Tage später im F-Haus in Jena dabei, wo er gleich mehrere Überraschungen erlebt. Zum einen beginnt das Konzert tatsächlich bereits 19 Uhr - eine ungewöhnlich frühe Zeit, die aber wohl mit einer Kombination aus Karsamstags-Curfew und anschließender Disco zu erklären ist. Zum zweiten ist eine Anzahl von Menschen anwesend, die in die Veranstaltungstonne der Moritzbastei wohl nur bei doppelreihiger Stapelung gepaßt hätte - allerdings ist auch die Grundfläche des F-Hauses nicht so groß, daß alle Anwesenden genügend Platz zum intensiven Tanzbeinschwingen hätten. Drittens kann man diesmal alle Instrumente im Gesamtmix gut hören, auch Akkordeonist Lassi wird nicht systematisch untergebuttert, und die neuen Zusatzinstrumente von Onni bringt der Soundmensch nach einer gewissen Anlaufzeit auch noch im großen Bild unter. Damit sind wir bei Punkt 4: Onni spielt mittlerweile kaum noch Keyboards - bereits 2011 hatte er gelegentlich zur Violine gegriffen, und drei Jahre später hat er nun auch noch ein Banjo und eine Mandoline am Start. Und wenn wir bei Veränderungen sind: Drummer Kristian hat offensichtlich abgenommen, und Keyboarder Petteri sieht mittlerweile aus wie eine Mischung aus Rolf Herricht (RIP!) und einem Versicherungsvertreter.
Eläkeläiset haben ein neues Album namens "Humppakalmisto" (übersetzt: Humppa-Friedhof) am Start. Von der grundsätzlichen Herangehensweise, alle möglichen und unmöglichen Kompositionen herzunehmen und in Humppa- oder Jenkka-Versionen umzuwandeln, sind sie natürlich nicht abgewichen, aber einige Erweiterungen gibt es doch, und eine davon findet mit dem "Old Man Blues" auch den Weg in den Set - wohl der langsamste Song im Repertoire, der noch dazu durch lange A-cappella-Vokaleinwürfe Onnis unterbrochen und gleichzeitig in seiner komischen Expressivität gesteigert wird (man erinnere sich, daß der Bandname übersetzt "Rentner" heißt, was durch T-Shirt-Sprüche wie "Old is not dead" oder "Everything older than everything else" perfekt ergänzt wird). Sicher eine ungewöhnliche Zutat auf Eläkeläiset-Gigs und zudem kaum vernünftig tanzbar - aber gerade deswegen vielleicht auch eine willkommene Erholungspause an Position 16 des Sets, der wie üblich streng strukturiert ist: Jeder singt in der Reihenfolge Onni, Petteri, Lassi, Martti und Kristian jeweils die Leadvocals zu einem Song, dann geht es von vorn los, und nach fünf Komplettdurchläufen ist der Hauptset beendet. Da der etliche neue Songs beinhaltet (beispielsweise humppifizierte Fassungen von "La Bamba" und "Guantanamera", wie überhaupt das ganze neue Album titelgemäß keine neuzeitliche Pop- und Rockmusik, sondern ältere Vorlagen umwandelt), bleiben folgerichtig diesmal etliche Klassiker außen vor (wer also beispielsweise auf HIMs "Join Me" gehofft hat, hofft vergebens, auch Bon Jovi, Europe und die Scorpions fehlen, und selbst der Nightwish-Anhänger muß bis Song 24 warten, ehe "Nemo" dann doch noch zum Vorschein kommt). Aber es bleibt immer noch genügend feinster Stoff übrig, von welchem dem Rezensenten an diesem Abend im Hauptset Kiss' "I Was Made For Loving You", das durch ZZ Top popularisierte "Viva Las Vegas" und der fulminante Setcloser "Enter Sandman" am meisten zusagen. Da es sich um den letzten Tourgig handelt, bleibt zudem Gelegenheit für einige Scherze der besonderen Art: Im Publikum werden Luftballons verteilt, mit denen dann auch die bösesten Black Metaller (es werden auch Endstille- oder "Panzerdivision Marduk"-Shirts gesichtet) fröhlich um sich werfen, ein Song wird dem "Easter Bunny" gewidmet (man versteht vom wüsten Deutsch-Englisch-Finnisch-Ansagenkauderwelsch diesmal immerhin schätzungsweise zwei Drittel), und Onni entledigt sich irgendwann seines Hemdes, um statt dessen einen weißen und einen schwarzen BH überzuziehen (den einen vor der Brust und den anderen im Nacken), deren ersterer noch mit zwei Luftballons ausgefüttert wird. Sowohl er als auch Lassi rocken gelegentlich auch vor der Tischreihe, hinter der die Band wie üblich sitzt, und auch einige Ausflüge ins Publikum sind wieder dabei. Im Zugabenteil brechen dann alle Dämme: Es gibt nochmal einen Komplettdurchlauf an Leadvocalverteilung und dann noch eine zweite Zugabe aus zwei Einzelsongs, wobei Onni kurz vor Ende der ersten Zugabe zunächst mit den Füßen Keyboards spielt (das hat bei ihm Tradition und ergibt interessante Clusterklänge), das Instrument dann aber diesmal gleich ganz zu Kleinholz verarbeitet und in den letzten Songs dann nur noch seine Saiteninstrumente spielt. Hier kommen dann auch noch diverse andere Klassiker zum Vorschein, etwa "Das Model" (allerdings nicht in der deutschsprachigen Variante - oder Petteris Aussprache hat die Identifikation der deutschen Lyrics nicht zugelassen ...), "Light My Fire" oder "Breaking The Law" und "No Limit", letztere beide diesmal aber nicht zusammengefaßt, sondern als zwei Einzelsongs, die den ersten bzw. den zweiten Zugabenblock fulminant abschließen. Knapp zwei Stunden dauert das, dann sind alle am Ende. Und nun alle: "Humppa! Humppa! Humppa!"



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