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HELLOWEEN: Straight Out Of Hell
von rls

HELLOWEEN: Straight Out Of Hell   (Dragnet/Sony)

Teil I

Nach dem weitgehend orientierungslos wirkenden "7 Sinners"-Album wartete der Helloween-Altanhänger mit einer gewissen nervösen Spannung auf das neue Werk "Straight Out Of Hell", die sich nicht eben verminderte, als man las, daß Gastkeyboarder Matthias Ulmer, der für einen nicht unerheblichen Teil der Störfaktoren auf dem besagten Album verantwortlich war, auch diesmal wieder mit von der Partie sein würde. Mit "Nabataea" stellen die Kürbisköpfe den längsten Song, einen Siebenminüter, diesmal gleich an den Anfang und wollen damit scheinbar Wiedergutmachung betreiben: Hier ist durchaus aufwendig arrangierter, aber insgesamt nach einigen Durchläufen durchaus logisch wirkender und damit nicht im negativen Sinne als modern zu bezeichnender Power Metal entstanden, der zudem mit einem merkfähigen Refrain ausgestattet worden ist und als knapp sechsminütige Edit-Version auch als Downloadsingle ausgekoppelt wurde (die physische Single "Burning Sun" bleibt dem japanischen Markt vorbehalten). Mit Komponistennamen läßt sich das Booklet der Normaledition diesmal übrigens nicht in die Karten schauen, so daß man weder die Meisterleistungen noch die Problemfälle zuordnen kann, und auch die Texte bleibt man uns schuldig, so daß nicht eindeutig entschieden werden kann, ob das apokalyptische Cover samt gasmaskentragendem Logo-Kürbis eine Entsprechung im Textgut gefunden hat und ob "Nabataea" reale Ereignisse aus der Geschichte des Volkes der Nabatäer schildert oder deren Namen nur als Symbol verwendet.
Zurück ins musikalische Geschehen - es ist eben bereits angeklungen, daß es auch in der Stunde "Straight Out Of Hell" (so lange dauern die 13 Songs der Normaledition - es gibt längere Special Editions) wieder Problemfälle gibt. Der erste lauert gleich an Position 2: "World Of War" beginnt mit einem begeisternden Melodic-Speed-Einstieg, und der Alt-Anhänger lehnt sich wohlig im Sessel zurück, auf eine Glanztat alter Schule hoffend, und wird von der Strophe unsanft ausgebremst - tiefer gestimmte Gitarren, ein fast numetallischer Ansatz, verschlepptes Tempo und noch weitere Dinge, die bei Helloween schon auf "The Dark Ride" und eben auch auf "7 Sinners" überwiegend zu wenig beglückenden Ergebnissen geführt haben. Der Refrain und das Hauptsolo schalten dann wieder in den klassischen Melodic-Speed-Gestus zurück und verdeutlichen, wie klasse dieser Song bei Befolgung der reinen Lehre hätte werden können. So versucht er die Verschmelzung zweier Welten und scheitert, weil er sie zusammenhanglos hintereinanderstellt. Völlig orientierungslos wirkt danach das nur knapp über dreiminütige "Live Now!", dessen Aufforderung der Komponist des folgenden "Far From The Stars" zum Glück nicht nachgekommen ist: Hier ist ein erfreulich nach gestern oder gar vorgestern klingender reiner Melodic-Speed-Metal-Song entstanden, wie ihn der Helloween-Altfan in dieser Qualität immer wieder gern annimmt. "Burning Sun", von dem es auf der Japan-Single und diversen Special Editions auch eine Jon Lord gewidmete Hammond-Version gibt, baut dann eine andere Verbindung auf: So nahe an Judas Priest wie in dessen Strophen haben Helloween wohl noch nie musiziert, vor allem Andi Deris' Stimme liegt hier recht nah an der Rob Halfords. Aber der Song schafft zugleich das Kunststück, Siebziger-Einflüsse einzuflechten und mit dieser Kombination überraschend modern zu wirken, ohne auf Krampf neuzeitlichen Einflüssen huldigen zu müssen. Matthias Ulmer darf sich hier im Orchesterarrangement des Finales austoben und beschränkt sich ansonsten auf siebzigerkompatible Keyboards, die in der Hammond-Version vermutlich eine Führungsrolle übernehmen werden. Auf "The Dark Ride" stand "If I Could Fly", ein Song, dessen Klavierthema mancher Hörer eine gewisse Ähnlichkeit zu HIMs "Join Me" nachsagte. Wer nun aber wissen will, wie es klingt, wenn Helloween wirklich einen ganzen Song im HIM-Stil schreiben, der höre sich "Waiting For The Thunder" an und bilde sich sein eigenes Urteil. Das folgende "Hold Me In Your Arms" muß alleine schon wegen seines Titels die Ballade des Albums sein, was sich beim Hören dann auch bestätigt. An die Großtaten sowohl der Kiske- als auch der bisherigen Deris-Ära reicht sie zwar nicht heran, aber aufgrund ihres dezenteren Arrangements schlägt sie ihren direkten Vorgänger "The Smile Of The Sun" von "7 Sinners" aus dem Feld. Das nur zweiminütige "Wanna Be God" dürfte weniger als eigenständiger Song, sondern eher als Zwischenspiel zu betrachten sein. Es wirkt etwas collagenhaft, bekommt aber durch seine Widmung an Freddie Mercury noch einmal eine ganz andere Deutungswendung verpaßt: Die Struktur mit lange Zeit ausschließlich Gesang und Drums, denen sich erst zum Schluß eine E-Gitarre hinzugesellt, entspricht der von "We Will Rock You", ist allerdings viel weniger einprägsam konstruiert. Als Intro zum Titeltrack fungiert "Wanna Be God" allerdings nicht, denn seine Motive tauchen dort nicht auf - vielmehr haben wir wieder viereinhalb Minuten interessant strukturierten klassischen Melodic Power Metal vor uns, der keinen Altfan enttäuschen dürfte. Dem werden sich dafür in "Asshole" die Nackenhaare sträuben, und das keineswegs vor Freude. Zwar handelt es sich nicht um einen Versuch Helloweens, Punkrock zu erzeugen, was man anhand des Titels durchaus hätte mutmaßen können, aber statt dessen spielen sie merkwürdigen Nu Metal, den selbst die einprägsame Refrainmelodie und die interessante Leadgitarre nicht aus dem Sumpf ziehen können. Dafür stellt "Years" wieder ein Freudenfest für traditionell orientierte Metalanhänger dar: Helloween verlassen zwar auch hier ihr angestammtes Terrain, wofür maßgeblich der Keyboarder verantwortlich ist - aber diesmal landen sie im klassischen Italometal, der ja per se eine Weiterentwicklung des traditionellen Melodic Speed Metals darstellt, den Helloween weiland mit erfunden haben. Die zurückhaltend intonierten Strophen bedürfen hier etwas der Gewöhnung, aber die interessanten und zugleich zupackenden Bridge- und Refrainparts holen die Kastanien problemlos aus dem Feuer. Die bleiben bei "Make Fire Catch The Fly" ebendort liegen, denn von der eben gefundenen neuen Basis geht es hier noch einen Schritt weiter, und das ist dann eben doch einer zuviel - der Versuch, Italometal mit anders strukturierten Strophen zu koppeln, gelingt nicht, und zudem erinnert der Refrain etwas zu sehr an Stratovarius' "Black Diamond", bevor er die Titelzeile noch eher mühevoll einquetscht. Da reißt das erneut begeisternde Hauptsolo dann nichts mehr heraus. "Church Breaks Down" schließt diesmal als zweitlängster Song das reguläre Album ab, wieder ein vielschichtiges Epos der Marke "Nabataea", das allerdings einige Durchläufe mehr benötigt, bevor es sich komplett zu erschließen geruht.
So bleibt als Fazit der Stunde, daß sich die nervöse Spannung zumindest teilweise in eine Befreiung aufgelöst hat - "Straight Out Of Hell" wirkt deutlich stringenter, logischer und in der Gesamtbetrachtung auch mitreißender als "7 Sinners" und ist damit wieder ein Exempel für die These, daß das zweite Helloween-Album nach einem Labelwechsel oftmals besser ist als sein Vorgänger. Freilich bleiben immer noch genug Baustellen offen, so daß sich das Album in der Gesamtbetrachtung des Bandschaffens angesichts von übermächtigen Klassikern auch der Deris-Ära (ich sage nur "Gambling With The Devil") nur im Mittelfeld einreiht, aber genügend Abstand von den Abstiegsplätzen einhalten kann und für Bandanhänger und generell Freunde eines gewissen Spagats zwischen traditionellem Power Metal und moderneren Einflüssen ohne Abstriche zum Erwerb empfohlen sei.

Teil II

Man könnte ja mal auf die Idee kommen, im Wikipedia-Eintrag zu "Straight Out Of Hell" nachzuschauen. Dort stehen die Komponisten nämlich verzeichnet. Gehen wir also mit diesem neu hinzugewonnenen Wissen nochmal durch die 13 Songs der regulären Edition:
1. "Nabataea": Ein Deris-Opus - von der Position her nicht weiter verwunderlich, denn Deris stellte schon öfter die Opener. Die Ausrichtung überrascht da schon eher, denn wendungsreiche Epen war man von ihm eher nicht gewöhnt.
2. "World Of War": Eine unentschlossene Melange aus dem Hause Gerstner - der Jungspund scheiterte mit ähnlichen Mischungsversuchen schon auf "7 Sinners" gelegentlich.
3. "Live Now!": Eine Kombination aus Deris und Gerstner - hier hat nicht zusammengefunden, was zusammengehört.
4. "Far From The Stars": Wenn die Jungen orientierungslos sind, müssen es die Alten richten: Markus Großkopf hatte schon auf "Pink Bubbles Go Ape" als einziger den Kopf behalten und mit der Single-B-Seite "Shit And Lobster" den besten Song der ganzen Aufnahmesession abgeliefert, und auch hier beweist er wieder Stehvermögen.
5. "Burning Sun": Auch der andere Alte, Michael Weikath, kann's noch. Nuff said.
6. "Waiting For The Thunder": "If I Could Fly" hatte Deris geschrieben, "Waiting For The Thunder" stammt auch von ihm. Noch Fragen?
7. "Hold Me In Your Arms": Kuschelrock war sonst häufiger Deris' Revier, aber hier handelt es sich um eine (gute!) Gerstner-Komposition.
8. "Wanna Be God": Deris auf Mercury-Pfaden. Kann das gutgehen?
9. "Straight Out Of Hell": Wieder Großkopf, wieder ein Treffer.
10. "Asshole": Gerstner verspielt seinen mit der Ballade gewonnenen Credit gleich wieder.
11. "Years": Weikath auf Italometalpfaden - und es funktioniert!
12. "Make Fire Catch The Fly": Deris versucht Weikath hinterherzueilen, aber er erreicht ihn dann doch nicht ganz.
13. "Church Breaks Down": Gerstners Versöhnungsangebot. Angenommen.
So bleibt ein interessantes und vielleicht gar nicht überraschendes Bild: Die Alten machen "Straight Out Of Hell" mit ihren exzellenten Beiträgen zu dem gutklassigen Album, das es ist, die Neuen bemühen sich um Vielfalt, erzielen aber nicht durchgehend Treffer. Drummer Dani Löble war diesmal nicht am Songwriting beteilgt, und "Another Shot Of Life", der Extra-Song der Premium Edition, stammt nochmal von Markus Großkopf. Wäre interessant zu erfahren, ob dieser Song das Gesamtbild bestätigt ... Also auf www.helloween.org im Audio-Teil der Mediathek reingehört! Dort gibt es aber leider nur die ersten anderthalb Minuten zu hören, und die lassen noch nicht erkennen, ob es sich um ein weiteres Meisterwerk handelt, sondern lediglich den Schluß zu, daß es sich nicht um einen Totalausfall handelt. Die Tendenz kann also bestätigt werden, der Zielerreichungsgrad bleibt den Besitzern der Premium Edition zu ergründen offen.
Kontakt: www.helloween.org, www.sonymusic.de

Tracklist:
Nabataea
World Of War
Live Now!
Far From The Stars
Burning Sun
Waiting For The Thunder
Hold Me In Your Arms
Wanna Be God
Straight Out Of Hell
Asshole
Years
Make Fire Catch The Fly
Church Breaks Down


 



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